Umkehr mit Leib und Seele
Fasten ist wieder gefragt. Freilich sind für viele Menschen dabei eher vordergründige Motive ausschlaggebend: Gewichtsreduktion und der Gesundheitsaspekt. Richtig verstanden ist Fasten – so wie es die Kirche seit ihren Anfängen empfiehlt - ein ganzheitlicher Prozess, der Körper und Seele entschlackt und zur Neuorientierung unserer Beziehung zu Gott und den Menschen dient.
In der derzeitigen Wellness-Bewegung steht das Fasten hoch im Kurs. Abspecken der Figur zuliebe und aus Gründen der Gesundheit und des Wohlbefindens ist in Mode. Wenn das Fasten nicht nur an der Oberfläche, im rein Körperlichen, verhaftet bleiben, sondern ein ganzheitlicher Prozess werden soll, schließt es stets die religiöse Dimension mit ein. Christliches Fasten ist ein Weg des Menschen zu sich selbst, zu seiner Umgebung und zu Gott.
Aktivierung des inneren Arztes. Wir Menschen unterscheiden in uns zwei verschiedene Ernährungsprogramme. Etwas vereinfacht erklärt: Bei Programm 1 ernähren wir uns von außen. Wir essen nach Maß und schöpfen Kraft und Wärme aus der Nahrung. Bei gesunden Lebensmitteln stellen sich Gesundheit, Leistung und Wohlbefinden ein.
Es gibt noch ein zweites Programm: die Ernährung von innen. In diesem Fall fasten wir und fühlen uns auch gesund, leistungsstark und zufrieden. Anders als beim Ernährungsprogramm 1 schöpfen wir Kraft und Wärme aus körpereigenen Nahrungsdepots. Zuvor muss umgeschaltet werden, das heißt wir brauchen eine gründliche Darmreinigung.
Zwar geschieht der Umschaltprozess von Essen auf Fasten, also der Wechsel von Ernährungsprogramm 1 zu Ernährungsprogramm 2, von selbst. Trotzdem ist es wichtig, dass wir dieses Umschalten auch mental mitvollziehen, indem wir auf unsere körpereigenen Kräfte vertrauen und uns bewusst machen, dass die Fähigkeit zum Fasten in uns vorprogrammiert ist. Es ist das Umschalten auf körpereigene Reserven und die Aktivierung des “inneren Arztes“ (Paracelsus). Als Glaubende können wir diesen Prozess auch so sehen, dass wir uns nicht mehr selbst mit der Ernährung abtun, sondern sie vertrauensvoll unserem inneren Meister überlassen. Fasten, das ist freiwilliger Verzicht auf feste Nahrung sowie ungesunde Gewohnheiten. Es bedeutet nicht essen, sondern nur trinken, und zwar sehr viel. Fasten heißt auch, dem Körper gegenüber sensibel sein und tun, was er fordert, zum Beispiel schlafen und sich bewegen.
Fasten ist leichter als weniger essen. Beim weniger Essen, also bei jeder Art von Diät, befindet sich der Körper im Energieprogramm 1. Da die Ernährung von außen geschieht und nicht genügend Nahrung zugeführt wird, hungert der Mensch. Beim Ernährungsprogramm 2, also beim echten Fasten, hat man keinen Hunger, weil der Körper sich das, was er braucht, aus den Depots holt. Fasten ist also ein natürlicher Bestandteil unseres Lebens und hat nichts mit Entbehrung oder Mangel zu tun. Man darf es auch nicht mit irgendwelchen Mode-Diäten vergleichen. Es ist vielmehr eine auf medizinischem Wissen gründende Ernährungsform.
Die Grundeinheit für eine Fastenkur ist eine Woche. Natürlich kann man auch länger fasten.
Suche nach Heilung. Wenn ich nach den Gründen frage, warum die Teilnehmer zu unseren Fastenkursen im Bildungshaus Kloster Schwarzenberg kommen, erhalte ich Antworten wie diese: “Ich suche in dieser Überflussgesellschaft nach einer gesunden Lebens- und Ernährungsweise“; “Ich möchte mich von der Hektik und dem Stress des Alltags frei machen, um eine innere Ordnung und Ruhe zu finden“; “Ich habe eine gesundheitliche Störung, die auf Ernährung zurückzuführen ist und suche Heilung“; “Ich spüre das Bedürfnis, meinen gesamten Körper grundlegend zu reinigen“; “ Ich möchte Gott näher kommen“; “Ich möchte die Gemeinschaft des Fastens erleben“.
Tatsächlich ist Fasten eine Umkehr mit Körper und Geist, mit Leib und Seele. Es lädt zur Besinnung auf sich selbst, die eigenen Gewohnheiten und Gestaltung des Lebens ein und eröffnet häufig neue Entwicklungsmöglichkeiten. Fasten, das ist eine Zeit, in der wir frei und sensibler werden können für Mitmenschen und Gott. Es ist eine Zeit, in der man sich gerade von innen her gedrängt fühlt, sich etwas abzusondern, um still zu werden.
Gefahren. Natürlich gibt es Gefahren des Fastens. Sie werden von den Gegnern besonders unterstrichen, um das Fasten ganz allgemein madig zu machen. Ohne gute Information und Einführung sollte man nicht fasten, man kann vieles falsch machen. Fasten kann durchaus auch einer unchristlichen Lebensverneinung entspringen. Wer sich an den Dingen, auch an den Nahrungsmitteln nicht mehr freuen kann, wer nichts mehr genießen kann, wird am Ende selber ungenießbar. Zu den krankhaften Erscheinungsformen gehört die Magersucht, ebenso wie die Ablehnung der eigenen Leiblichkeit und der Geschlechtlichkeit. Eine Negativform des Fastens ist die übertriebene Angst vor gesundheitsschädigenden Nahrungsmitteln. Nahrungsverneinung oder Nahrungsauswahl werden geradezu zu einem Kult hochstilisiert.
Schon in der Natur gibt es Formen des Fastens beziehungsweise Phasen des Neuwerdens. Dazu gehört der Winterschlaf bestimmter Tiere und der Rückzug der Pflanzenwelt, ehe sie im Frühjahr zu neuem Leben erwachen.
Die bewusste Enthaltung von Speisen erfuhr und erfährt noch heute in vielen Kulturen und Religionen hohe Wertschätzung. Sie wird als Hilfsmittel gesehen, um sich der tieferen Bedeutung des menschlichen Lebens und der Lebenswirklichkeit bewusst zu werden.
Urchristliches Heilmittel. Otto Buchinger, der Wiederentdecker des Fastens, stellte einmal die Frage: “Ist nicht unsere Kirche die eigentliche Hüterin des echten Fastens, welches auch das Heilende in sich schließt?“ Er ist der Meinung, die Kirche habe in den letzten Jahrhunderten dieses “urchristliche Heilmittel“ wie einen Schatz im Acker vergraben und vergessen. Ärzte, Vertreter der Naturheilkunde und Sportler hätten diesen Schatz entdeckt. Buchinger betont, dass er der Kirche gehöre und sie müsse “Anspruch auf ihn erheben“. In seinem “Gutachten für das Heilfasten“ für die Deutschen Bischöfe (1959) schreibt er: “Ich kenne keinen kürzeren, besseren Weg, die vermeidbaren Schäden der modernen Lebens- und Ernährungsweisen kennen zu lernen und zu verhindern, als das urchristliche Heilmittel, das Lieblingsmittel der Großen in Welt- und Kirchengeschichte, das richtige, vollgültige Fasten“. Buchinger drückt hier die Hoffnung aus, dass die Kirche das Fasten neu belebt, es als Mittel zur Vorbeugung und als Lebensschule wiedererkennt und fördert.
Zum Zerfall des altchristlichen Fastenverständnisses trug wesentlich das sich immer mehr ausbreitende Gesetzesdenken bei. Das Fasten wurde nach Vorschriften mit Geboten und Verboten geregelt. Besonders die Moralisten stellten einerseits einen langen Katalog von Fastenforderungen auf, entwickelten aber andererseits ein ausgeklügeltes System von Dispensen (Befreiungen) von diesen Forderungen. Dabei ging das Verständnis für den Sinn und Wert des christlichen Fastens verloren. Die Kirche hielt immer an der 40-tägigen Fastenzeit fest und betrachtete den Aschermittwoch und Karfreitag als “strenge Fasttage“, also Abstinenztage mit einmaliger Sättigung. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil gibt es ein neues Bemühen um den Sinn des Fastens und die Einheit von Gebet, Verzicht und Werken der Nächstenliebe. Der freiwillige Verzicht auf Essen, Trinken und Rauchen wird mit einem Gewinn der “neuen Freiheit für Gott, für den Menschen neben uns und gegenüber den eigenen Wünschen und Bedürfnissen“ begründet. Fasten als freiwillige und eigenverantwortliche Entscheidung ist heute gefragt.
Dreiklang. Die Bibel kennt das gewöhnliche Fasten. Jesus selbst hat es geübt. Fasten in diesem Sinne bedeutet Verzicht auf alle Nahrung in fester und flüssiger Form, aber nicht Verzicht auf Wasser. Es heißt nicht, dass er nicht trank. Obwohl Durstqualen schlimmer sind als Hungerqualen, wollte Satan ihn zum Essen verführen, nicht zum Trinken. Der menschliche Organismus könnte nicht 40 Tage ohne Wasser leben, es sei denn, er würde auf übernatürliche Weise erhalten.
Eine zweite biblische Form des Fastens ist das absolute Fasten. Es gibt in der Heiligen Schrift einige Beispiele dieser Form. Sie beinhaltet den Verzicht auf Essen und Trinken. Normalerweise war sie auf drei Tage beschränkt, weil ein längerer Verzicht mit dem Leben nicht vereinbar ist. Als zum Beispiel höchste Gefahr für das ganze auserwählte Volk drohte, gab Königin Esther den Auftrag: “Geh’ und rufe alle Juden zusammen, die in Susa leben. Fastet für mich! Esst und trinkt drei Tage und drei Nächte lang nichts. Auch ich und meine Dienerinnen wollen ebenso fasten“ (Esther 4,16). Esther war überzeugt, dass eine solch verzweifelte Situation nur durch radikales Fasten gewendet werden konnte.
Eine dritte Form ist das teilweise Fasten Hier geht es um Reduktion und/oder Selektion der Kost, nicht um völligen Verzicht. Im Buch Daniel wird geschildert, wie junge Israeliten am Königshof in Babylon fasteten. Es erwies sich, dass einfache, gesunde Kost viel bekömmlicher war als reiche und üppige. In Kreisen, in denen ständig viel gegessen und getrunken wurde, traten zusätzliche Krankheiten auf, die auf diese Ernährungsweise zurückzuführen waren.
Im gleichen Buch Daniel heißt es: “Nahrung, die mir sonst schmeckte, aß ich nicht; Fleisch und Wein kamen nicht in meinen Mund; auch salbte ich mich nicht, bis drei volle Wochen vorbei waren“ (Dan10,3).
Einschränkung der Kost zu Zeiten, in denen man Gott besonders sucht, ist eine wertvolle Hilfe. Zum Verzicht auf Fleisch und Alkohol sollte jedoch auch der Verzicht auf Süßigkeiten in den verschiedensten Formen kommen. Jede und jeder muss seine Form des Fastens finden.
Jesus und das Fasten. Jesus selbst fastete, um sich auf sein öffentliches Wirken vorzubereiten. In der Bergpredigt sagte er: “Wenn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler. Sie geben sich ein trübseliges Aussehen, damit die Leute merken, dass sie fasten“ (Mt 6,16). Jesus setzt das Fasten nicht in das Belieben des Einzelnen und legt Wert auf die lautere Gesinnung.
Auf die Frage der Jünger des Johannes, warum seine Jünger nicht fasten, während sie und die Pharisäer fasteten, antwortet Jesus: “Können denn die Hochzeitsgäste trauern, solange der Bräutigam bei ihnen ist? Es werden aber Tage kommen, da wird ihnen der Bräutigam genommen sein; dann werden sie fasten“ (Mt 9,14-15). Solange Jesus, der Bräutigam, noch bei den Hochzeitsgästen war (die Zeit seines irdischen Wirkens), galt es zu feiern und nicht zu fasten. Freude war angesagt und nicht Trauer. Die Zeit des abwesenden Bräutigams ist jetzt. Jetzt steht Fasten auf der Tagesordnung.
Mit frohem Gesicht. Fasten, beten, teilen. Schon im Alten Testament finden wir diese drei Säulen eines gottgefälligen Lebens. “Es ist gut, zu beten und zu fasten, Almosen zu geben und gerecht zu sein“ (Tob 12,8). Auch der Evangelist Matthäus verbindet im 6. Kapitel der Bergpredigt Almosen geben, Beten und Fasten miteinander. Fasten beruht, ebenso wie Beten und Almosen geben, also mit anderen teilen, auf einer freiwilligen Entscheidung des Einzelnen. Christen sollen sich auch in der Gesinnung beim Fasten von anderen unterscheiden. Sie sollten ihr Fasten nicht als große Leistung oder in Erwartung irgendwelcher Anerkennung vor den Menschen oder vor Gott herausstellen. Sie sollten ihr Fasten auch nicht auf Gewichtsabnahme reduzieren, sondern im Verborgenen und mit frohem Gesicht fasten.
Fasten, beten und mit anderen teilen wurde auch in der Urkirche als Einheit und als wichtiger Weg der Nachfolge Jesu gesehen und gelebt. Fasten ermöglicht, die eigenen Wünsche und Bedürfnisse, Stärken und Grenzen zu erkennen. Fasten fördert die Wahrnehmung, da es zu einer gesteigerten Aufnahmefähigkeit, zu einer lebendigeren Fantasie und Kreativität, zu einer Schärfung der Sinne führt. Dabei kann man aber auch auf brodelnde Gedanken, Begierden, kurzum auf Gefühle, besonders negative, stoßen. Damit ist dem Fastenden ein Übungsfeld für die Zukunft aufgezeigt.
Umkehr des Herzens. Der Fastende wird auch sensibler für die seelischen und leiblichen Bedürfnisse des Nächsten und bereiter, mit ihm zu teilen. Das Fasten dient der Umkehr und der Neugestaltung unserer Beziehungen zu Menschen und zu Gott, denn “das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen...“ (Jer 58,6). In der Apostelgeschichte (13, 2.3) wird das Fasten als Akt der Selbstbesinnung, der geistlichen Standortbestimmung und als Vorbereitung für eine wichtige Entscheidung verstanden. Fasten unterstützt die Reinigung an Leib und Seele, konfrontiert den Einzelnen mit sich selbst und so kann er in Gottesdienst und Gebet auf Gottes Wort neu hören und es annehmen.