Sklavin des lebendigen Gottes
Die heilige Thekla ist die Schutzpatronin des syrischen Dorfes Ma’lula, das unser Autor bereits in der Juni-Ausgabe des Sendboten vorgestellt hat. Der Legende nach soll die Schülerin des Apostels Paulus auf Geheiß ihres Verlobten verfolgt worden sein. Dort, wo Gott ihr eine rettende Schlucht auftat, wurde im 4. Jahrhundert ein Kloster errichtet.
Das angeblich schönste Dorf Syriens, Ma’lula, war im Juniheft schon einmal Thema, dabei ging es besonders um das griechisch-katholische Sergioskloster. Die Stadt ist bekannt, weil sie eine einzigartige Sprachinsel darstellt: Ihre Bewohner sprechen noch einen Dialekt des Aramäischen.
Ma’lula hat ein zweites Kloster: Es ist der heiligen Thekla geweiht und das liturgische Zentrum der griechisch-orthodoxen Christen. Die Tradition des in einer Felsenschlucht gelegenen Klosters geht bis ins erste christliche Jahrhundert zurück. Noch heute ist es ein bedeutender Wallfahrtsort. Die Legende erzählt vom Leben der heiligen Thekla, die dem Apostel Paulus während seiner ersten Missionsreise begegnet sein soll. Seine Predigten begeisterten sie so, dass sie gegen den Willen ihrer Eltern zum neuen Glauben übertrat.
Die rettende Schlucht. Das Grab Theklas liegt über dem Kloster. Es wurde eine der ersten Pilgerstätten der Christenheit. Aus dem Felsen tropft eine wundertätige Quelle, um die sich eine Thekla-Legende rankt. Diese berichtet, die Heilige sei über Täler und Berge Kleinasiens bis nach Syrien gezogen. Müde und erschöpft sei sie in Ma’lula auf die Knie gefallen und habe gebetet: „Gott, du hast mich vor den wilden Tieren, vor der Macht des Feuers und der Verfolgung meines Vaters bewahrt. Du hast mir geholfen, die weite Strecke bis hierher zu überwinden.“ Sie stand vor einen unüberwindlichen Felsen. Da teilte Gott in seiner Güte und Allmacht den Felsen, so dass eine Schlucht mit einem kleinen Bach entstanden. Seit dem 1. Jahrhundert trägt der Felsspalt den Namen: Schlucht der heiligen Thekla.
Thekla war als Missionarin nach Syrien gekommen. In Ma’lula wirkte Gott für sie Wunder. Thekla lebte hier in einer Höhle und starb Ende des ersten Jahrhunderts. Heute wird das Thekla-Kloster von griechisch-orthodoxen Nonnen bewohnt, die ihren Klosterdienst als einen Dienst für alle Christen, ja alle Religionen verstehen. Auch Muslime, die nach Jerusalem pilgern, kommen gerne hierher.
Theklas Geschichte. Betrachten wir die Legende von Thekla etwas näher. Über die Heilige berichten auch die apokryphen Paulusakten. Thekla wird dort als Missionarin und Apostolin geschildert, die in Ikonion (das heutig Konya in der Türkei) und Antiochia in Pisidien mit Paulus zusammenarbeitet. Die Paulusakten, welche die „Taten des Paulus“ auf seinen Reisen behandeln, wurden um 150 n.Chr. von dem so genannten kleinasiatischen Presbyter niedergeschrieben. Die Inhalte, die zum Teil mündlich überliefert wurden, sind älter, vergleichbar unserer Apostelgeschichte.
Die Paulusakten berichten, dass Thekla ein schönes, verlobtes Mädchen aus reichem Elternhaus war. Sie hörte Paulus in Ikonion predigen und war seiner Person und seinen Worten über das jungfräuliche Leben und so fasziniert, dass sie ihr Elternhaus verließ und sich von ihrem Verlobten trennte. Dieser wollte sie zurückgewinnen und schaltete den Statthalter ein mit der Begründung, Paulus habe die Stadt Ikonion und seine Verlobte verdorben. Der Statthalter ließ Paulus geißeln und zur Stadt hinauswerfen. Thekla sollte dann im Theater von Ikonion verbrannt werden. Sie wurde jedoch durch Regen und Hagel wunderbar gerettet, denn „obwohl ein mächtiges Feuer aufleuchtete, berührte das Feuer sie nicht“. Thekla begleitete dann Paulus nach Antiochia in Pisidien.
Nach einer weiteren Erzählung wehrte sie sich dort gegen einen mächtigen Syrer namens Alexander, der sie auf offener Straße umarmte, um sie für sich zu gewinnen. Mit eindeutigen Gesten wies sie ihn jedoch zurück. Sie zerriss ihm das Obergewand, riss ihm den Kranz vom Kopf und machte ihn zum Gespött der Leute. Es musste ihr klar sein, dass dieses Verhalten nicht ungestraft bleiben konnte. Alexander klagte sie vor Gericht an und das Urteil verlangte: Thekla sollte durch Tierkampf umgebracht werden.
Doch die Tiere taten ihr nichts und sie wurde freigelassen. Sie folgte Paulus nach Myra und kehrte dann – so sagt es diese Version - nach Ikonion zurück, wo sie eines seligen Todes starb.
Aktive Christin. Es heißt, dass Thekla sich danach sehnte, Paulus selbst einmal sehen zu dürfen und ihn die Botschaft von Jesus Christus verkündigen zu hören. Während nun Paulus in der Hausgemeinschaft ihres Nachbarn Onesiphorus lehrte, saß sie drei Tage und drei Nächte am Fenster und lauschte seinen Worten. Sie aß und trank nichts, um kein Wort zu versäumen. Nachdem Paulus verhaftet worden war, schmuggelte sie sich heimlich ins Gefängnis, damit der Apostel ihr dort von den Großtaten Gottes berichten konnte. Weil Paulus sich vor nichts fürchtete und in seinem Verhalten den Freimut Gottes zeigte, wuchs auch ihr Glaube. So hatte Thekla keine Angst mehr vor neuen Prüfungen und wurde innerhalb kürzester Zeit zu einer Verkünderin, die andere für Christus gewinnen konnte. Bevor sie nach Seleuzia aufbrach, ging sie in das Haus zurück, in dem sie durch Paulus das Wort Gottes näher kennen gelernt hatte. Hier im Haus des Onesiphorus sprach sie ihr Glaubensbekenntnis: „O, mein Gott und Gott dieses Hauses, in dem mir das Licht aufstrahlte, Christus Jesus, du Sohn Gottes, du warst mein Helfer im Gefängnis, mein Helfer im Feuer, mein Helfer unter den Tieren: Du bist Gott, und dir sei die Ehre in Ewigkeit, Amen.“
In den Hausgemeinschaften der frühen Kirche waren Frauen als aktive Christinnen durchaus keine Besonderheit.
Als Märtyrerin verehrt. Der letzte Satz der Thekla-Akte lautet: „Sie erleuchtete viele durch das Wort Gottes und entschlief dann eines sanften Todes.“ Trotzdem steht sie als Märtyrerin in den Heiligenlegenden. Nicht nur in Seleuzia, wo sie gemäß den Paulusakten starb, wurde sie verehrt, sondern auch an vielen anderen morgen- und abendländischen Orten weihte die Menschen Kirchen auf ihren Namen.
Das Zentrum der Verehrung war nicht in Ma’lula, sondern auf einem Hügel bei Seleuzia (heute bei Silifke an der Südküste der Türkei), wo zurzeit der Pilgergin Aetheria (Ende 4.Jh.) ein großes Heiligtum mit einer Mönchskolonie bestand. Um das Jahr 500 ist dort eine große Wallfahrtskirche mit vielen Zusatzgebäuden bezeugt. Die Stätte, die noch heute durch die Ruinen der Kirche geprägt wird, heißt Maryemlik (Marienhügel). Doch der Kult strahlte in das ganze Morgen- und Abendland aus: Thekla-Heiligtümer gab es in Bethphage bei Jerusalem, in Lybien und in Rom. Zu diesen Heiligtümern zählt auch das Kloster in Ma’lula. Auf Zypern heißen fünf Orte Hagia Thekla.
Thekla trat mutig und entschlossen für ihren Glauben ein. So wurde sie zweimal zum Tode verurteilt, zweimal wurde das Urteil vollstreckt und zweimal überlebte sie das Martyrium. Die Theologin Anne Jensen schreibt in einer beachtenswerten Arbeit über Thekla: „Das Ansehen, das Märtyrer beiderlei Geschlechts, die dem Tod entgangen waren, in den Gemeinden genossen, war teilweise größer als das der Bischöfe, denn sie waren in einem ganz anderen Sinn als die Nachfolger der Apostel Zeugen der Auferstehung, da sie wie Christus selbst das Todesschicksal auf sich genommen hatten und so gleichsam für die Realität der Auferstehung, an die sie glaubten, den Beweis erbrachten. Nicht der Tod definierte das Martyrium, sondern das Bekenntnis vor Gericht trotz der Todesgefahr.“
Geglaubt und überlebt. Beim Tierkampf solidarisierten sich sogar die weiblichen Tiere mit Thekla; keine der Bestien berührte sie. Anne Jensen konnte gute Gründe für die Geschichtlichkeit dieser Szenen nennen. Auf die Frage des Statthalters, warum denn keines der Tiere sie berührt habe, legte Thekla ein Glaubenszeugnis ab: „Ich bin Sklavin des lebendigen Gottes. Ich habe an Gottes Sohn, der ihm gefallen hat, geglaubt. Deswegen hat keines der wilden Tiere mich berührt. Denn er allein ist der Weg zur Rettung und die Grundlage für das Leben ohne Tod. Er ist die Zuflucht der Bedrängten, die Erquickung für alle, die in Not sind, der Schutz für alle Verzweifelten. Kurzum: Wer an ihn nicht glaubt, der kann nicht leben, sondern wird für immer tot sein.“
Die katholische Kirche hat sich 1969 gegen den Kult der apokryphen Heiligen gewandt, doch ist Thekla im christlichen Orient populär geblieben. Am 24. September, ihrem Jahrestag, schließen sich ganze Scharen von griechisch-orthodoxen Gläubigen aus Damaskus der Dorfprozession hinauf zum Kloster an. Noch berühmter ist das Kreuzfest am 13. September, das mit einem Feuerwerk begangen wird.