Räuber und Heilige Zelle an Zelle

25. Januar 2007

In seiner neuen Reihe holt unser Autor Kleinode franziskanischer Spiritualität in die Stube. Die lebendigen Beschreibungen schöpft Pater Anselm aus seinen eigenen Besuchen der Einsiedeleien. Erstes Ziel der gedanklichen Pilgerreise ist Monte Casale.

Im oberen Tibertal liegt die Stadt San Sepolcro. Vom hohen Mittelalter an war sie Durchgangsort für Pilger und Kaufleute, die den Weg von Ravenna nach Rom zurücklegten.
Die Stadt ist der Kreuzungspunkt mit einer zweiten Handelsstraße. Es ist die spätere Königsstraße, welche die Toskana mit den Städten der Marken bis hin nach Ancona verbindet. Etwa fünf Kilometer von San Sepolcro entfernt, am Hang des Apennin, liegt die Einsiedelei Monte Casale, eine der ältesten und best erhaltensten franziskanischen Stätten.
Als Franziskus zum ersten Mal diese Gegend besuchte, gab es an der Stelle des heutigen Konventes eine Burg und ein bescheidenes Hospiz beziehungsweise Hospital für Pilger, das dem Heiligen geschenkt wurde.

Ein neuer Konvent. Franziskus war öfter in Monte Casale. 1212 predigte er in San Sepolcro. Sein letzter Aufenthalt war im September 1224. Er kam damals direkt vom Berg La Verna, wo er auf wunderbare Weise die Wundmale empfangen hatte. Die Fioretti (wörtlich: Blümlein; Legendensammlung über Franziskus) berichten, die Leute hätten ihn damals empfangen wie Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem. In Monte Casale selbst heilte Franziskus dann einen Bruder, der schwer krank war. Der Heilige empfand Mitleid mit dem Kranken; machte mit seiner stigmatisierten Hand das Kreuzzeichen über ein Stück Brot, von dem er gerade aß, und gab es ihm. Da wurde dieser gesund.
Als die Franziskaner 1258 von der Stadt San Sepolcro ein Grundstück für einen neuen Konvent geschenkt bekamen, verließen sie etwa 1268 die Einsiedelei, und Brüder des Dritten Ordens des heiligen Franziskus zogen ein. Diese blieben 252 Jahre, bis im Jahr 1531 die neue Reformbewegung der Kapuziner Einzug hielt. Diese franziskanische Familie ist noch heute dort.
Wir beginnen unseren Weg am Eingang der Kirche. Auf dem Stein links von der Eingangstür sind Höhepunkte des Heiligtums zusammengefasst: „Hier wohnten drei Heilige: Franziskus, Antonius, Bonaventura. Hier haben drei gottlose Räuber wie Heilige gelebt. Hier sind etliche verehrungswürdige Männer im Herrn gestorben. Deswegen: Selig, die in diesem deinem Hause wohnen, Herr.“

Rundgang. Die Kirche selbst ist klein, schmucklos, echt franziskanisch. Der Blick wird sofort auf die Statue der Muttergottes mit dem Kind auf dem Altar gelenkt. Sie ist ein großartiges Werk der Romanik. Franziskus soll sie 1213 aus den Ruinen der Festung hierher gebracht haben. Diese Tradition wird gestützt durch die Inschrift: „Diese Statue der jungfräulichen Gottesmutter, berühmt durch ihre Wunder, wurde vom hl. Franziskus 1213 aus dem Kastell von Monte Casale an diesen heiligen Ort gebracht und aufgestellt.“
Maria hält das Jesuskind nicht fest. Sie streckt es dem Besucher entgegen. Maria bringt Jesus zur Welt und fordert mit ihrer rechten Hand in einer edlen Art den Betrachter auf, Jesus anzunehmen. Ihre linke Hand zeigt: Sie ist da, aber klammert nicht. Maria ist zum Thron für Jesus geworden. Ihr Kind ist kein Kind mehr, sondern der Herrscher der Welt. Das zeigt auch die Segensgeste der rechten Hand.
Der Chor hinter dem Altar ist klein und stimmungsvoll. Er passt zur Armut des ganzen Ortes. Eine besondere Kostbarkeit ist das Herz-Jesu-Gemälde an der Altarwand (15. oder 16. Jahrundert). Es zeigt Jesus den Auferstandenen; ihm zugewandt kniet Franziskus und trinkt Blut aus der Seitenwunde Christi. Dieser wendet sich ihm zu und umarmt ihn. Das Bild erinnert an die Bitte: „Blut Christi, tränke mich!“ Die Botschaft des Bildes lautet: Jesus liebt uns „bis aufs Blut“ und Franziskus lebt aus dem Herzen Jesu, aus dem Herzensblut Jesu Christi; er lebt aus den Sakramenten, die aus der Seitenwunde Jesu entsprungen sind.

Berühmte Zellenbewohner. Von diesem Chor aus führt eine kleine Tür in die alten, noch erhaltenen Zellen der Einsiedelei. In der ersten Zelle lebte der berühmte Ordensgeneral Bonaventura (1257 – 1274). Die zweite Zelle beherbergte Antonius von Padua. Es dürfte im Jahr 1230 gewesen sein, als er das kalte Klima des La Verna nicht vertragen konnte und sich nach Monte Casale zurückzog. Die Zellen sind klein, eng, kahl, nur mit einem Fensterchen ausgestattet.
Geht man in die Kirche zurück, kann man sie hinten rechts durch einen in den Felsen gehauenen Durchgang verlassen. Man kommt zum Oratorium des heiligen Franziskus. Sowohl der Gang wie die Felswand sind ursprünglich, also gewachsener Fels. Zur Zeit des Franziskus war man hier noch unter freiem Himmel. An dieser Stelle hatte der Heilige sein Lager. Später errichtete man an der westlichen Seite eine Art Wand, so dass ein einfaches Oratorium entstand. Kostbar – aufgrund ihres Alters – ist die Pietà in diesem Raum. Sie ist aus Ton, in der Sonne gebrannt und wird dem 14. Jahrhundert zugerechnet. Vielleicht wurde Michelangelo, der nicht weit von Monte Casale, nämlich in Caprese geboren wurde, für sein berühmtes Erstlingswerk, die Pietà der Peterskirche in Rom, von dieser Statue inspiriert. Man geht weiter in den Kreuzgang, der noch kleiner ist als jener von San Damiano in Assisi. Auch hier hat sich die frühe franziskanische Architektur erhalten. In der Mitte des Vierecks liegt eine Zisterne. Der kleine Glockenturm passt zur Harmonie der heiligen Stätte. Es sind nur noch wenige Schritte bis zur alten Klosterpforte, wo sich die Episode mit den drei Räubern ereignete. 

 
Vorbildliche Räuber. Die Fioretti erzählen, wie drei berüchtigte Räuber nach Monte Casale kamen und von Bruder Angelo, den sie um Essen baten, wutentbrannt davongejagt wurden. Als Franziskus am Abend nach Hause kam und von Bruder Angelo davon erfuhr, tadelte er ihn und verwies auf das Beispiel Jesu: „Deshalb befehle ich dir im Namen des heiligen Gehorsams, sofort mit dem Brot und dem Wein, die mir als Almosen gereicht wurden, den Dreien nachzulaufen, über Hügel und Täler, bis du sie gefunden hast, um ihnen in meinem Namen diese Gaben zu übergeben. Demütig wirst du vor ihnen niederknien und ihnen die Sünde deiner Hartherzigkeit bekennen. In meinem Namen wirst du sie bitten, vom Bösen abzulassen, Gott zu lieben und ihn nicht mehr zu beleidigen. Wenn sie sich bessern, so verspreche ich ihnen, künftig für ihre leiblichen Bedürfnisse zu sorgen und sie mit Speise und Trank zu versehen“ (Fioretti, Kap. 26).

Franziskus unterstützte Bruder Angelo durch sein Gebet. Tatsächlich rührte die Vorgehensweise die Herzen der Räuber an, so dass sie sich bekehrten und sogar die Aufnahme in den Orden erbaten. Sie führten fortan ein vorbildliches Leben und starben in Monte Casale.

Franziskanisches Idyll. Biegt man von der Pforte nach rechts ein, kommt man auf die Terrasse des Klosters. Ein besonderer Friede liegt auf dieser Stätte. Die Aussicht ist großartig: Links der Berg mit den drei Kreuzen, rechts das Afratal und in der Mitte ist der Blick frei hinunter ins Tibertal auf die Stadt San Sepolcro. Der Besucher kann auch den Speisesaal für Pilger aufsuchen, der den Platz rechts abschließt und sich an den Felsen schmiegt.
Heute gibt es wenige Stätten, die von solcher franziskanischer Prägung sind.
Die Konventsgemeinschaft besteht aus vier Kapuzinern, von denen drei Priester sind. Die Brüder sind besonders freundlich und bescheiden. Sie pflegen den Geist der Armut, das Gebet und die Geschwisterlichkeit.
Wer auf dem Vorplatz steht, kann auf die verschiedenen Terrassen schauen, die den Garten prägen. Da sind Hühner, Enten und Tauben, da wachsen Trauben, Obst und Gemüse. Die Brüder ernähren sich vor allem aus den Produkten des Gartens, und einer übernimmt das Kochen. Dem aufmerksamen Beobachter entgeht auch nicht die Wäsche, besonders die Habite, welche dort zum Trocknen aufgehängt werden.
Das erste Apostolat der Brüder ist das Gebet. Hinzu kommen die Begleitung und Seelsorge der Pilger, die das Heiligtum besuchen und seelsorgliche Aushilfen in der Umgebung. Auch ein schlichtes Gästehaus mit gut 30 Betten steht zur Verfügung. Hier kann man franziskanische Gastfreundschaft erleben.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016