Bruder Wacholderstrauch
Bruder Juniper war unschlagbar in seiner entwaffnenden Schlitzohrigkeit und unbestrafbar in seinem heiligen Ungehorsam. Er ist der heilige Narr, der aus einer tieferen, umfassenderen Weisheit lebt, und deshalb die Klugheit und Gewichtigkeit des Gescheiten in Frage stellt – so die Charakterisierung durch Kapuzinerpater Guido Kreppold.
Der originellste unter den ersten Gefährten des Franziskus ist Bruder Juniper ohne Zweifel. Über ihn hat man auch ob seiner Einfalt am meisten gelacht. Eine Lebensbeschreibung dieses Bruders finden wir in der lateinisch abgefassten „Chronik der 24 Generalminister“, veröffentlicht in den Analecta Franciscana III, 54-64.
WACHOLDERWALD
Schon sein neuer Name beim Eintritt in den Orden ist einzig-artig. Er wählte sich den Namen Frate Ginepro, im Lateinischen heißt er Frater Iuniperus. Es ist die Bezeichnung für den Wacholderstrauch mit seinem sehr widerstandsfähigen Holz. Der heilige Isidor behauptet, dass die Holzkohle des Wacholderstrauches lange glühe. So hat auch Bruder Juniper das Feuer der Liebe in seinem Herzen hochgehalten.
In Anspielung auf seinen Namen soll Franziskus einmal von ihm gesagt haben: „Wollte Gott, meine Brüder, dass ich einen ganzen Wald von solchen Wacholderbäumen (Iuniperus) hätte.“ Franziskus hatte offenbar Spaß an den Schrullen seines Wacholders. Der Bruder hatte etwas Uriges und Rustikales in seinem Wesen. Aber vor einem ganzen Wald solcher Originale hätte ihm doch bange werden müssen.
BEI KLARAS TOD ANWESEND
Auch die heilige Klara schätzte Bruder Juniper sehr. Bei der Schilderung ihres Heimgangs am 11. August 1253 heißt es in ihrer Lebensbeschreibung: „Da sich aber der Herr näherte und schon vor der Tür stand, wollte sie Priester und geisterfüllte Brüder um sich haben, die ihr das Leiden des Herrn und heilige Worte vortragen sollten. Als unter ihnen Bruder Juniperus, der vorzügliche Gaukler des Herrn erschien, welcher oft glühende Worte über den Herrn hervorbrachte, fragte ihn Klara, von neuartiger Heiterkeit durchströmt, ob er etwas Neues vom Herrn zur Hand habe. Er aber öffnete seinen Mund und entsandte aus dem Feuerofen seines glühenden Herzens die flammenden Funken seiner Worte. In seinen Gleichnissen fand die Jungfrau Gottes großen Trost“ (Leben der heiligen Klara von Assisi, 45).
VORBILD AN GEDULD
Bei der Beschreibung des idealen Minderbruders sagt Franziskus, er müsse „die Geduld des Bruders Juniper (haben), der bis zum vollkommenen Stand der Geduld gelangte wegen der vollkommenen Wahrhaftigkeit hinsichtlich der eigenen Niedrigkeit, die er ständig vor Augen hatte, und seine oberste Sehnsucht, Christus durch den Weg des Kreuzes nachzuahmen“ (Der Spiegel der Vollkommenheit, 85). Es ist also die Einfalt, die Geduld, die Demut und die Liebe zum Gekreuzigten, die diesen Bruder kennzeichnen. Besonders auffällig und charakteristisch für Bruder Juniper ist die Art und Weise, wie er diese Haltungen lebte.
MANN DER NÄCHSTENLIEBE
Es war seine Nächstenliebe, die Bruder Juniper dazu trieb, das, was er gerade hatte, an die Armen auszuteilen. So kam es wiederholt vor, dass er nackt in das Kloster zurückkehrte, weil er sogar seine Kleider an die verschenkt hatte, die ihn darum baten. Als sein Guardian ihm daraufhin untersagte, weiterhin seine Kleider zu verschenken, sagte Bruder Juniper dem nächsten Armen: „Ich habe nur diese Kutte, und mein Guardian hat mir verboten, sie wegzugeben. Wenn du sie mir aber ausziehst, werde ich mich nicht dagegen wehren.“ Der Bettler war nicht taub und riss ihm ohne weitere Bedenken die Kutte vom Leib und zog weiter.
Einmal bettelte eine Frau in der Zeit des Weihnachtsfestes in der Grabeskirche des heiligen Franziskus. Bruder Juniper hatte „Kirchenwache“. Ohne lange zu überlegen, nahm der Bruder einige silberne Glöckchen, welche zur Verzierung an der Altardecke hingen, und gab sie der Frau mit den Worten: „Diese Glöckchen sind hier überflüssig.“
MEHLSUPPE GEGEN ZORN
Da war der Küster geschockt und rannte zum Ordensgeneral. Dieser beschimpfte Bruder Juniper so laut, dass er dabei heiser wurde. Als er sich ausgetobt hatte, ließ sich Bruder Juniper oben in der Stadt Assisi einen „tüchtigen Teller Mehlsuppe mit Butter“ kochen. Es war spät nachts geworden, als er heimkam. Trotzdem klopfte er noch beim Ordensgeneral an und sagte ihm: „Mein Vater, als ihr mir heute meine Fehler vorgehalten habt, wurde eure Stimme heiser; ich glaube, vor Überanstrengung. Ich bitte euch, esst diese Mehlsuppe, sie wird euch Brust und Kehle frei machen.“ Doch der Ordensgeneral schimpfte erneut, weil der Bruder ihn aus dem ersten Schlaf gerissen hatte. Juniper antwortete: „Mein Vater, da du nicht essen willst, wo doch die Suppe für dich gekocht ist, halte doch wenigstens die Lampe für mich, so dass ich die Suppe essen kann.“ Der Obere beruhigte sich und beide aßen die Suppe, „weil alles nur aus Ergebenheit, Mitgefühl und Einfalt des Bruder Juniperus geschehen sei“.
NAIV BIS ZUR FOLTER
Rührend ist die Geschichte, wie Bruder Juniper infolge seines komischen Benehmens und seines liederlichen Aussehens in den Verdacht kommt, einen Mordanschlag auf den Tyrannen Nikolaus von Viterbo zu planen. Juniper kommt allein zur Burg. Da er den Wächtern allzu verdächtig aussieht, nehmen sie ihn gefangen und schleppen ihn zum Tyrannen. Man findet bei ihm einen Pfriem, mit dem er Schuhe zu reparieren pflegte, und einen Feuerstein, mit dem er sich unterwegs Feuer zum Aufwärmen machte.
Juniper wird gebunden, gefoltert und misshandelt. Als man ihn fragt, wer er sei, antwortet er: Ein großer Sünder. Auf die Frage, ob er die Stadt verraten wolle, antwortet er: Ich bin ein großer Verräter und verdiene nichts Gutes. Auf die Frage, ob er mit seinem Pfriem den Tyrannen töten wolle und beabsichtige, die Burg anzuzünden, sagte er, er würde noch Schlimmeres tun, wenn der Herr ihm nicht beistehe.
Juniper wird sofort verurteilt, an den Schwanz eines Pferdes gebunden und durch die Stadt gezogen, um dann aufgehängt zu werden. Das schaulustige Volk läuft an der Richtstätte zusammen.
GALGENHUMOR
Einer eilt zum Konvent der Minderbrüder und bittet den Guardian, er solle einem Verräter, der gar keine Rührung zeige, keine Beichte verlange und allem Anschein nach sich um sein Seelenheil und um den Tod gar keine Sorge mache, das letzte Geleit geben. Der Guardian geht zur Richtstätte und erkennt Juniper. Er ist erschüttert von der Grausamkeit, die dem Bruder widerfahren ist.
Auch in dieser furchtbaren Situation bewahrt Juniper seinen Humor. Als ihm der Guardian den eigenen Habit geben will – Juniper stand fast nackt da –, antwortet der verurteilte Bruder: „Lieber Guardian, du bist doch so dick und siehst ohne Habit wirklich nicht gut aus, ich will deinen Habit nicht!“
Der Guardian bittet den Tyrannen um Gnade für Juniper. Der Bruder sei kein Verräter, sondern einer der besten Brüder, den der Orden überhaupt habe. Juniper verzeiht dem Tyrannen, doch dieser stirbt bald danach als Opfer seiner Grausamkeiten eines grässlichen Todes.
NUR GOTT VOR AUGEN
An Bruder Juniper hat sich verwirklicht, was Franziskus im Lobpreis der Tugenden sagt: „Die reine heilige Einfalt macht alle Weisheit dieser Welt und die Weisheit des Leibes zuschanden. Die heilige Demut macht den Stolz und alle Ehren, die in der Welt sind, und auch sonst alles, was in der Welt ist, zuschanden“ (Gruß an die Tugenden, 10 und 12).
Bruder Juniper kümmerte sich nicht um gesellschaftliche Umgangsformen. Das ließ ihn in den Augen der Welt als Naivling erscheinen. Nicht die Menschen waren für ihn Bezugspunkt bei der Frage nach dem richtigen Verhalten, sondern Gott. Oberflächliche Umgangsformen erschienen ihm als Fassaden; vergängliche Dinge wurden zu Belanglosigkeiten.
LEBENSSTATIONEN
Sein Leben verbrachte Bruder Juniper vor allem in seiner Geburtsstadt Assisi, meist in Portiunkula. Hier schloss er sich um das Jahr 1210 der Gruppe von Brüdern an, die zur ersten Generation der Minderbrüder gehörten. Die Stadt Viterbo war Schauplatz mancher seiner Aufsehen erregenden Taten, durch die er seine Selbstverleugnung und Demut üben wollte. In Alviano war das Leben von Bruder Juniper in der Einsiedelei der heiligen Illuminata eng mit dem Leben des Frate Giovanni Amazialbene verbunden. Er weinte untröstlich, als dieser Bruder starb.
Am 6. Januar 1258 verstarb unser Bruder Juniper. 48 Jahre lang hat er ursprüngliches franziskanisches Leben verwirklicht. Er starb in Rom auf dem Kapitolhügel. Papst Innozenz IV. hatte auf diesem Hügel mit den Spenden der ganzen Stadt einen großen Gebäudekomplex errichtet, der neben dem Konvent für die Brüder auch die herrliche Basilika „Santa Maria in Aracoeli“ umfasste. Man achtete die letzte Willensäußerung von Bruder Juniper und bestattete ihn in einer äußeren Ecke des Heiligtums. Heute ruhen seine sterblichen Überreste links neben dem Hochaltar. Seine Tomba trägt den einfachen Hinweis: Ossa fratris Juniperi, socii sancti Francisci, die Gebeine des Bruders Juniper, des Gefährten des heiligen Franziskus.