Gott an uns heranlassen
Sinnenfreudig ist der öffentliche Advent in unseren Breiten. Die Stille hat sich verkrochen. Den einen wird zur Lust, was andere wie eine alljährliche Last erfahren. Manchen lockt der Hinweis auf die sogenannte „Staade Zeit“ nur ein müdes Lächeln aufs Gesicht. Die äußeren Impulse auf Straßen und Plätzen verstärken eher die eigene innere Unruhe und äußere Umtriebigkeit. So kommt die Seele wahrhaft nicht nach.
Reizüberflutungen sind wir rundherum ausgesetzt: optisch, akustisch, geschmacklich, über Hände und Nase. Es duftet den einen, es stinkt den anderen! Hat Be-sinn-ung noch eine Chance? Und worauf eigentlich? Gilt sie der eigenen Mitte oder am Ende gar dem göttlichen und menschlichen Du?
Die sinnenfrohe Gestaltung drängt etwas in den Hintergrund, was zum Kern des kirchlichen Verständnisses der Adventszeit gehört: ein beherztes Wachen, ein Weg durch Wüste, ein Sich-erschüttern-lassen. Hat das alles eine Chance?
FLEHEN STATT JAUCHZEN
Klare liturgische Vorgaben gibt es. Das Äußere will helfen, das Innere zu bereiten. Eine Einladung zum Wesentlichen! Angesagt ist die Farbe Violett am Adventskranz oder Adventsgesteck mit den vier Kerzen, ohne Deko-Schnickschnack im kargen gottesdienstlichen Raum. Die liturgischen Gewänder sind von dem gleichen Farbton durchwirkt. Ein Signal für Störung und Aufbruch. Flehen statt Jauchzen ist der Grundtenor der alten Adventsweisen. Die Aufmerksamkeit gilt der Wiederkunft des Herrn am Ende der Zeiten: ER darf sich unser von neuem bemächtigen, IHM überlassen wir das Sagen – nicht dem Kommerz und Konsum.
Drei biblische Gestalten weisen auf den Einen hin, der für Mensch und Schöpfung den Glauben an das „Herankommen“ Gottes (lateinisch ad-venire) ganz neu schmackhaft gemacht hat. Diese drei Adventsgestalten sind der Prophet Jesaja, der Täufer Johannes und die Mutter Jesu. Sie bringen uns ein unterschiedliches Warten nahe: das schmerzliche Heimweh nach einer versöhnten Welt, das mahnende Wissen um unsere letzte Verantwortung, die freudige Gestimmtheit in guter Hoffnung. Alle drei Haltungen zielen auf die Begegnung mit dem, der „Heil und Leben mit sich bringt“, so im wohl bekanntesten Adventslied „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“. Trauen wir IHM das wirklich zu – im Blick auf unsere Zukunft als Mensch, Kirche, Menschheit, Welt –, dass er uns heilt und zu einer neuen Schöpfung macht?
GEGEN ANGST UND ENTTÄUSCHUNG
Halten wir ein bei der großartigen Vision des Jesaja von der Völkerwallfahrt nach Zion, die uns im zweiten Kapitel dieser gleichsam prophetischen Bibliothek eröffnet wird. „Zum Berg Zion strömen alle Völker. Viele Nationen machen sich auf den Weg.“ Dies geschieht übrigens am ersten Werktag in jedem Advent als Lesung weltweit! Es gibt einen Anziehungs- und Wendepunkt für die Menschheitsgeschichte, von dem her Weisung und Gerechtigkeit allein von Gott her zu erwarten sind. „Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen.“ Schwerter und Lanzen, die Zeichen unfruchtbarer Gewalt, werden verwandelt zu Gegensymbolen einer heilen Welt, zu Pflugscharen und Winzermessern der Weinlese. „Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen.“
Der Berg Gottes steht bei Jesaja auch für die Überwindung menschlicher Ängste: der Angst des Zu-kurz-kommens, der geistigen Verblendung und Umnachtung, der Angst vor letzter Vergeblichkeit und vor dem Tod. Ist das zu schön, um wahr zu sein? Sind das gefährliche, religiös verbrämte Vertröstungen?
In der Begegnung mit Jesus von Nazaret lassen sich Menschen von ihren Lebenstäuschungen und -enttäuschungen herausführen in die Weite des Lebens und Glaubens. Die heilsame Kraft, die von seinen Worten und Taten ausgeht, wirkt – so dürfen wir mit den Konzilsvätern glauben, die vom „österlichen Geheimnis“ sprechen – auf eine dem Geist bekannte Weise innerhalb und außerhalb weiter. Auch heute wird die verwandelnde Kraft Seiner Liebe, die von Gott her zu uns aufgebrochen ist, verspürt und gemeinsam gefeiert: Wandlung Tag für Tag.
KONTEMPLATION UND KAMPF
Dieses Geheimnis darf nicht in den liturgischen Raum eingesperrt werden. Kontemplation und Kampf gehören zusammen. Es sei daran erinnert, dass der Fall der Mauer nicht ohne die Bewegung ‚Schwerter zu Pflugscharen‘ zu verstehen ist. Eine ihrer treibenden Kräfte, der evangelische Pastor Friedrich Schorlemmer, hat in seinem Brief an Egon Krenz ins Gefängnis ein Zeugnis von Wahrhaftigkeit und Vergebungsbereitschaft gleichermaßen gesetzt.
Es sei darauf verwiesen, dass heute jenseits der großen Öffentlichkeit Frauen und Männer im Geist des Jesaja an Brücken zwischen verfeindeten Völkern und im Binnenraum der Kirchen bauen. Dazu zählt die Einladung des Referats Geistliches Leben der Diözese Würzburg zu einer Begegnungsreise und zu stillen Tagen in Irland während der Pfingstwoche 2013. Dort wird der Begegnung in Belfast mit im Friedensprozess engagierten Gruppen und Personen zu den Hintergründen der sog. „troubles“ jetzt nach dem Friedensabkommen viel Zeit eingeräumt.
DER NÄCHSTE WARTET AUF MICH
Vielleicht gehört zu unserem Adventsweg 2012 eine „Wallfahrt“ in die allernächste Nähe. Dem Herrn den Weg der Gerechtigkeit und Verständigung zu bereiten durch ein Zugehen auf den Nächsten im Sinne des ‚Jedem und Jeder das Seine und Ihre‘ – bei aller berechtigten Suche nach stillen Angeboten ganz für mich. Wir sind so oder so in unserem Advent 2012 in guter Gesellschaft mit den jungen Gemeinden der ersten christlichen Jahrhunderte. Sie verband ein inniger Sehnsuchtsruf: „Komm, Herr Jesus!“ (Apokalypse 22,20). Ich bin davon überzeugt, dass dieser Ruf Hand in Hand ging mit viel Alltag und Achtsamkeit füreinander.