Die Tragbrüder von Basel

30. Oktober 2015

In der Stadt am Rheinknie kamen einige Bürger im August 1800 auf die Idee, eine Art „Sterbeversicherung“ zu gründen, die bis heute besteht.




Sterbeversicherung ist wohl nicht der richtige Ausdruck, denn gegen das Sterben kann man sich so wenig absichern wie gegen den Tod. Im Grunde ging es den „Tragbrüdern von Basel“ ja auch um etwas ganz anderes, nämlich um eine würdige Bestattung ihrer Mitglieder und um die damit verbundenen Kosten.



Die waren oft so erheblich, dass manche Familien sich gar kein einigermaßen würdiges Begräbnis leisten konnten. So wissen wir aus sicherer Quelle, dass Arme, die in der Umgebung von Rom infolge eines Unfalls oder wegen irgendwelcher Händel ums Leben kamen, einfach liegengelassen wurden. Dieser traurige Umstand führte 1538 zur Gründung der Erzbruderschaft vom Guten Tod, die sich jener Verstorbenen annahm, für die die öffentliche Hand nicht aufkam. Noch heute erinnert an der Fassade der Kirche Santa Maria dell’Orazione e Morte eine Marmortafel an das Anliegen dieser Fraternität. Deren Mitglieder verpflichteten sich, „i poveri morti che si pigliano in campagna“, die „armen Toten, die auf freier Flur gefunden werden“, zu bestatten.





Verbundenheit über den Tod hinaus



Der Dienst an den Toten, der in Rom aus christlicher Barmherzigkeit verrichtet wurde, hatte in Basel (und anderswo, wo ähnliche Einrichtungen entstanden) eher praktische Gründe. Die Verstorbenen mussten ja erst einmal vom Wohnhaus zur Kirche und von dort zum Gottesacker getragen werden. Und das war oft keine leichte Sache, zumindest bevor in Basel im Jahr 1868 eine Begräbnisordnung in Kraft trat, aufgrund derer die Stadt einen Pferdespänner zum Transport der Särge kostenfrei zur Verfügung stellte. Also beschlossen einige Bürger im August 1800, eine Gesellschaft ins Leben zu rufen, die es sich (so der Wortlaut der Statuten von 1829) „in Nächstenliebe und bürgerlicher Brüderlichkeit“ zur Aufgabe machte, „nicht nur im Leben treue Freundschaft und Geselligkeit zu pflegen, sondern auch noch im Tod eines Mitglieds durch Tragen und Begleiten der sterblichen Hülle zur letzten Ruhestätte liebevoll und hilfreich mitzuwirken.“



Praktisch bedeutete das, dass die Mitglieder dieser „Begräbnis- und Traggesellschaft“ einen jährlichen Beitrag zu errichten hatten. Aus dieser Rücklage konnte dann ein Teil der Bestattungskosten bestritten werden, wenn einer der Tragbrüder das Zeitliche segnete. Die Mitgliederzahl war vorerst auf fünfzig „Gesellschaftsbrüder“ beschränkt. Aufgenommen wurden lediglich Personen, welche das 50. Altersjahr noch nicht erreicht hatten, begreiflicherweise. Denn die potentiellen Sargträger sollten bei der Bestattung noch einigermaßen bei Kräften sein. Beim Tod eines Mitglieds wurden die Gesellschaftsbrüder wechselweise als Träger aufgeboten. Aus den Sitzungsprotokollen geht hervor, dass 1841 zwei Kandidaten „wegen ihrer kleinen Statur“ zurückgewiesen wurden. Was durchaus verständlich ist. Sonst hätte ja der von sechs Männern getragene Sarg bloß auf vier Schultern gelastet.



Wurde für die Gattin eines Gesellschaftsbruders der Jahresbeitrag bezahlt, hatte die Trägerpflicht auch im Hinblick auf sie Gültigkeit.







Solidarität mit Einschränkung



Für eine möglichst feierliche Bestattung diente unter anderem ein reich verziertes Bahrtuch, das mit dem Wappen der Gesellschaft versehen war und vom „Aufbewahrer“ bei einem Todesfall ins Leidhaus gebracht wurde. Mit diesem kostbaren Überwurf (der inzwischen unauffindbar ist) bedeckte man den Sarg des Verstorbenen.



Die Statuten von 1863 erlauben den Rückschluss, dass der Solidarität durchaus Grenzen gesetzt waren, vor allem wenn es sich um einige vom Schicksal gebeutelte Tragbrüder handelte: „Diejenigen, welche im Armenhaus, im Pfrundhaus oder einer Corrections-Anstalt (Gefängnis?) sterben, verlieren ihre Ansprüche an die Gesellschafts-Kasse, ebenso, wenn eine durch eherichterliches Urteil geschiedene Ehefrau außer des Mannes Wohnung zu sterben käme.“ Im Klartext: Die eine weiße Weste unter dem Traueranzug trugen, wollten unter sich bleiben.







Die Tragbrüder heute



Einmal im Jahr versammelten sich die Tragbrüder zusammen mit ihren Ehefrauen zu einem „Mählin“, will sagen zu einem geselligen Mittagsmahl. Dass es dabei nicht immer gesittet zuging, zeigt eine Bestimmung aus den Statuten von 1871: „Diejenigen, die sich am Essen unanständig benehmen, wie solches schon mehrmals vorgekommen ist, sind von der Mitgliederliste zu streichen.“



Die „Tragbrüder von Basel“ gibt es noch immer. Allerdings handelt es sich inzwischen eher um eine nostalgische Vereinigung. Die Gesellschaftsmitglieder tragen heute keine Särge mehr auf den Friedhof. Nach dem Verlust des alten bedeckt nun ein neues Bahrtuch den Sarg der Verstorbenen. Auf seiner Internetseite wirbt der Verein mit dem Spruch: „Der Tod steht uns nahe, doch wir sind höchst lebendig.“


Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016