Reif für Toleranz

15. Dezember 2009 | von

 „Als Gruß, so hat der Herr mir gesagt, sollen wir sagen: Der Herr gebe dir den Frieden!" (Test 23). Franziskus übernimmt die Worte, die Jesus seinen Jüngern sagt (Mt 10,12), als er sie in die Welt sendet.



Welt? Da leben Menschen aller Meinungen und Glaubensrichtungen. Auch heute in Europa. Die katholischen Regionen sind längst aufgelöst. Es gibt keine durchgängig christlichen Strukturen. Die Welt ist bis in unsere unmittelbare Umgebung hinein plural geworden.



Wir sind gezwungen, uns täglich neu mit den unterschiedlichen Auffassungen über Gott und die Welt zu beschäftigen. Wir werden angefragt, warum wir so und nicht anders entschieden haben. Und wir sollen selber zu Fragenden werden, die sich dem Dialog nicht verweigern.



Auffallend oft ist Voltaire in der letzten Zeit zitiert worden: „Ich hasse, was Sie sagen, aber ich werde immer dafür kämpfen, dass Sie es sagen können!" Mag einem des anderen Meinung auch nicht gefallen: Das ist noch kein Grund, ihn zu missachten oder gegen ihn vorzugehen.



Doch genau dies geschieht immer häufiger. Die Diktatur einer „political correctness" hat in unserem Land die Oberhand gewonnen. Sie richtet sich nach Trends und Stimmungen. Unwandelbare Werte sind ihr ein Gräuel. Jede eigenständige Meinung wird bekämpft, gern auch mit unlauteren Mitteln. Die Ministranten nicken traurig, wenn ich in der Predigt behaupte, die jungen Leute könnten am Montag ihren Altersgenossen nicht mehr ungestraft sagen, sie hätten am Sonntag gern Gottesdienst mitgefeiert. Oder der 22-Jährige, der am Arbeitsplatz erzählt, er wolle seine Freundin nun heiraten: Er muss sich ducken vor allem, was ihm da entgegengehalten, vielmehr entgegen geschleudert wird.



Woher die Aggression gegen den, der Entschiedenheit zeigt? Sie kommt aus der eigenen Unentschiedenheit. Entschiedene Menschen kann nur ertragen, wer selber entschieden ist. Dafür braucht es ein Fundament. Sonst ist die andere Meinung zuerst nur eine Bedrohung, gegen die man reflexartig ausholt.



Wer einen anderen gelten lassen will statt ihn mit Schmutz zu bewerfen, muss wissen, was bei einem selber gilt. Was man will. Wofür man einsteht. Mit „tolerare" wird im Lateinischen das Wortfeld „aushalten, erdulden, ertragen" verbunden. Im Umkehrschluss heißt das: Wer wachsweich steht, kann nicht tragen. Wird nie tolerant sein. Ihm bleibt nur, wackelnd um sich zu schlagen. Jesus bietet seinen Jüngern eine feste Beziehung zu ihm an. Wer ihn über alles stellt, wie Franziskus es tat, wird reif für Toleranz.



 

Zuletzt aktualisiert: 05. Oktober 2016