Energiewende? So nicht.
Der Frankfurter Zukunftsrat will wissenschaftliche Forschungsergebnisse und Erfahrungen der Politik verarbeiten. Er möchte damit dem hektischen Politikbetrieb mit seinen systemimmanenten Zwängen ein kontinuierliches Denken und Planen über zehn bis zwanzig Jahre zur Seite stellen. Wegen der jeweiligen Folgeschäden darf Kernkraft nicht gegen Kohlekraft ausgespielt werden.
Meinungsbildung gegen den Strom populärer Meinungsmache betreibt der Frankfurter Zukunftsrat. Nach der Katastrophe von Fukushima hat er sich Anfang August diesen Jahres mit einem dramatischen Appell an die Öffentlichkeit gewandt: „Regierungen kerntechnisch führender Länder, insbesondere die deutsche Bundesregierung, haben … populistisch motivierte Schlussfolgerungen gezogen und aktionistisch geprägte Handlungen eingeleitet, die den globalen Problemen nicht gerecht werden.“ Und weiter heißt es: „Ein isolierter vorzeitiger Totalausstieg führender Industrieländer führt nicht zu einer Verringerung sondern wegen des damit verbundenen Know-How-Verlustes sehr wahrscheinlich zu einer Erhöhung globaler Kernenergie-Risiken.“ Der Appell, dem eine ausführliche Begründung folgt, schließt mit der Forderung: „Klimaschäden in Folge der Nutzung von Kohlekraftwerken ereignen sich schleichend und sind deshalb nur sehr allmählich und mit erheblichem wissenschaftlichem Aufwand wahrnehmbar. Die Größenordnung der Folgeschäden ist jedoch vergleichbar. Deshalb darf Kernkraft nicht durch Kohlekraft ersetzt werden. Für alle Energieformen gilt, dass ihre Nutzung auch die Vorsorge für die Bewältigung ihrer Folgen beinhalten muss. Ökonomisch ausgedrückt lautet die notwendige Forderung: Energie muss auch ihre Folgen kosten!“
AUF KÜNFTIGE GENERATIONEN ABGEWÄLZT
Der Zukunftsrat begründet seine Thesen in dem Papier, das unter Federführung von Prof. Dr. Gerhard Kreysa entstand, mit wenig bekannten Fakten zum Thema Atomenergie und Gewinnung von Energie aus Kohlekraftwerken, etwa: „Rund zwei Drittel aller bisher abgebrannten Brennelemente wurden nicht wiederaufgearbeitet. Sie stellen die Altlast der bisherigen friedlichen Nutzung der Kernenergie dar. Ihre direkte Endlagerung würde einen Überwachungszeitraum von mehr als 100.000 Jahren erfordern. Dies ist kommenden Generationen nicht zumutbar. Es ist deshalb eine weltweite Entsorgungsstrategie zu entwickeln. Die beste Methode zur Entschärfung der Altlasten ist die Abtrennung des Plutoniums (und möglichst auch der minoren Aktiniden) und dessen Vernichtung in laufenden Reaktoren durch Einsatz von Mischoxid(MOX)-Brennelementen.“ Zu gut deutsch: Wer jetzt alle Atomkraftwerke abschalte, versündige sich an den nachfolgenden Generationen, weil er keine Lösung habe für das Abbrennen des vorhandenen Plutoniums.
Zur Diskussion um neue Kohlekraftwerke äußern sich die Experten ebenfalls. Sie gehen mit dem Vorhaben, den Anstieg von CO2 in der Luft durch Endlagerung nach dem CCS-Verfahren zu lösen, hart ins Gericht: „Die deutsche Politik war nach einem halben Jahrhundert der friedlichen Kernenergienutzung nicht fähig, Standorte für die Endlagerung radioaktiver Kernenergieabfälle verbindlich zu definieren und durchzusetzen. Sie wird deshalb auch keine Standorte für die Endlagerung von Kohlendioxid durchsetzen. Damit wird das Versprechen sauberer Kohleenergie zu einer nicht einlösbaren Illusion. Deshalb sind Kohlekraftwerke zum Ersatz von Kernkraftwerken nicht verantwortbar.“ Hinzu kommt, heißt es aus dem Umfeld des Zukunftsrates, dass das CCS-Verfahren die Energieleistung eines Kohlekraftwerkes um etwa 12 Prozent reduziert.
Der Appell des Frankfurter Zukunftsrates bietet keine Gesamtlösung zur Bewältigung der Energiewende. Für ihn ist jedoch klar: „Das Problem der nuklearen Entsorgung ist ungelöst. Das Problem der fossilen Entsorgung wird massiv unterschätzt. Die Politik muss beide Probleme als gleichrangig anerkennen.“
„Die geistige Elite muss mehr politische Verantwortung übernehmen und ihre Ergebnisse interdisziplinär zu kurzen, ganzheitlichen Konzepten zusammenführen, um Deutschland vor dem süßen Brei zu schützen“, sagte Kulturhistoriker Prof. Dr. Manfred Pohl auf der ersten Pressekonferenz des von ihm 2008 gegründeten Frankfurter Zukunftsrats. Mit dem Kapuziner Bruder Paulus Terwitte aus Frankfurt/M. wollte Prof. Pohl ausdrücklich jemanden in diesem Rat, der „täglich mit Gott im Gespräch ist“, wie er dem franziskanischen Ordensmann anlässlich des Einladungsgespräches sagte.
Die Thesen „Energiewende nach Fukushima? – Thesen des Frankfurter Zukunftsrates zur künftigen Energieversorgung“ sind nachzulesen auf der Internetseite:
www.frankfurter-zukunftsrat.de