Eine Woche der Gnade
200.000 Gläubige pilgerten zur Basilika des heiligen Antonius – zu einem außergewöhnlichen Anlass: Vom 15. bis 21. Februar wurden die Gebeine des Heiligen in einem Glasschrein der Öffentlichkeit präsentiert, zum vierten Mal seit seinem Tod vor fast 780 Jahren. Die Besucher und Verehrer bestürmten den Santo mit ihren Anliegen und überschütteten ihn mit Dank, nachdem sie lange Wartezeiten bei eiskaltem Regen auf sich genommen hatten.
Im Februar hängt Nebel über der Po-Ebene, kalter Regen peitscht ins Gesicht, schneidende Winde pfeifen durch die Gassen – der unangenehmste Monat in Padua. Doch 200.000 Pilger warteten bis zu drei Stunden im Freien vor ihrem Eintritt in die schützende Basilika. An deren Eingang wurden sie zunächst mit einer 52-seitigen Sonderausgabe des „Messaggero di sant’Antonio" und dem 50-seitigen Pilgerführer zur intensiven Vorbereitung, in Gebet und Meditation, auf die berührende Begegnung eingestimmt. Dann der große Moment: Der Pilger umrundet den Kristallschrein mit den Gebeinen des heiligen Antonius. In diesem Augenblick verliert er jedes Zeitgefühl, verharrt in Andacht und muss vom Aufsichtspersonal sanft weitergeschoben werden.
Gott ehrt seine Heiligen
Ist das überhaupt christlich, ein solcher Aufwand um die Knochen eines Heiligen? Die Antwort gab P. Gianni Cappelletto, Provinzial der Paduaner Ordensprovinz, am Beginn der Ostensione. Er zitierte den heiligen Augustinus: „Gott selbst liebkost den Leib seiner Diener. Und wenn die Gläubigen, Diener Gottes wie der Heilige auch, dessen Leib verehren, so tun sie dies zur Glorie des Herrn." Diese Theologenweisheit erfassen die Verehrerinnen und Verehrer des heiligen Antonius intuitiv und schämen sich nicht ihrer Rührung und ihrer Tränen beim Anblick der Reliquien ihres geliebten Heiligen.
Von den Heiligen profitieren
Heiligkeit ist keine Privatangelegenheit zwischen Gott und dem Einzelnen. Padre Gianni zitiert Antonius: „Heiligkeit ist eine soziale Tugend, von ihr profitiert die gesamte Gesellschaft. Heilige sind geradezu der Reichtum einer Gemeinschaft, sie werden zum Wohl aller geboren." Auch dies wissen und praktizieren die Gläubigen und nehmen Antonius beim Wort. Zweitausend Bittsteller pro Stunde ziehen an seinem Schrein vorbei, danken ihm für erwiesene Gnaden und tragen ihre Anliegen vor – und er gibt sie, angereichert durch seine Fürbitte, an den Herrn weiter, damit er sich darum kümmert. So funktioniert die communio sanctorum, die Gemeinschaft der Heiligen. Und wohl dem, der demütig und einsichtig genug ist, dies anzuerkennen!
Meine monatliche Padua-Woche hatte ich so gelegt, dass ich ganz dabei sein konnte. Mehrmals am Tag ging ich hinüber in die Basilika, um Ihre Anliegen, liebe Leserinnen und Wohltäter, dem Heiligen vorzutragen – vor Augen die nicht abreißende Schar von Pilgern: Väter, die ihren Kindern andächtig den Heiligen zeigen; Mütter, die ihrem Baby auf dem Arm den Kopf verdrehen, damit es auf den Heiligen blickt, dann sich und das Kind bekreuzigen und zum Abschied einen mädchenhaften Knicks machen; Frauen und Männer in gesetztem Alter, die ihre Emotion nicht verbergen; viele Handküsschen werden dem Heiligen zugeworfen!
Vertrauen und Anhänglichkeit
Alle sind gut vorbereitet auf diese Minute am Kristallsarg. Zwar gibt es für Gehbehinderte und Hochschwangere einen Sondereingang, ohne Wartezeiten, doch viele schleppen sich mit zwei Krücken den ganzen langen Weg entlang: „Das ist für mich Gebet, das gehört zu meiner Wallfahrt!" Ein 84-Jähriger hat diese Wallfahrt gleich zweimal „durchgestanden". Manche werden von Antonius persönlich eingeladen. Eine Frau aus Friaul erzählt, sie habe vom Heiligen geträumt, habe dann ihren Mann überredet, doch nach Padua zu fahren, und wurde von der
Ostensione überrascht.
Ein junger Paduaner schenkt seinen ersten Monatslohn, weil er endlich Arbeit gefunden hat. Ein anderer gibt eine Monats-
pension, weil der Schwiegersohn wieder im Betrieb übernommen wurde. Danke, weil der Motorradunfall des Sohnes glimpflich ausgegangen ist. Die großen Anliegen sind: ein Arbeitsplatz; Gesundheit für die Familie; Geduld beim Tragen eigener Behinderung; die Bitte um das ersehnte Kind, „damit wir eine Familie werden"; Kraft, die Einsamkeit zu ertragen. Viele Wünsche werden dem Heiligen zugeflüstert, tief aus dem Herzen, oft unter Tränen. Aus dem Vatikan lässt Papst Benedikt wissen, dass er sich den Pilgern geistlich anschließt und wünscht, dass zahlreiche junge Menschen sich ein Beispiel nehmen an Antonius bei ihrer Berufswahl.
Nach getaner Arbeit
Ein solcher Massenandrang ist nicht ohne viele Helfer zu bewältigen. Alle Angestellten des Verlags Messaggero ließen sich in der Basilika einteilen, auch in zugigen Ecken der Kreuzgänge, von 6.15 Uhr bis 21.00 Uhr. Dies gilt auch für Polizei, Feuerwehr, Malteser und viele Ehrenamtliche. Nicht zu vergessen die Patres der Basilika, die – Gott sei Dank – nicht mehr aus den Beichtstühlen herauskamen. Das Bewusstsein, einer heiligen Sache zu dienen – nicht einer politischen Partei oder einem Sportevent – , gab Auftrieb und Befriedigung. Ein ermunternder Blick, ein Zunicken im Vorübergehen – kleine Zeichen für die Atmosphäre von herzlicher Zusammenarbeit. Zur „Belohnung" durften bei der Überführung der Gebeine an den angestammten Platz im renovierten Grabaltar nur die Frati (Ordensleute) und alle Helfer dabei sein – nach getaner Arbeit sozusagen. Nur „Il Santo" ruht sich nicht aus. Für die Heiligen gilt ja, dass sie erst „so richtig loslegen", wenn sie bei Gott angekommen sind und für uns wirksam Fürsprache einlegen können. So dürfen wir auch nach der Ostensione-Woche weiterhin vertrauensvoll rufen: „Sant’Antonio, prega per noi – Heiliger Antonius, bitte für uns!"