Liebe Freunde!

01. Januar 1900 | von

Unsere Zeit ist scheinbar ungeeignet für geduldiges Warten auf Früchte und Gedanken, die in die Tiefe gehen. Es scheint vielmehr die Zeit ungeduldiger und unbefriedigter Gier: Sensationen, Gefühle, Abenteuer, Events - alles muss ausgekostet werden, kann schnell ausgetauscht werden. Ist es nicht so, dass das biblische Gleichnis des Bauern, der auf Wachstum und Reife wartet, nachdem er die Saat ausgestreut hat – es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst, du der Mann weiß nicht, wie (Markus 4,27) – eine längst untergegangene Welt widerspiegelt?
Keine Angst, liebe Leser und Leserinnen des Sendboten, ich möchte mich nicht in ein Lamento über die modernen Zeiten hineinsteigern und dazu in nostalgischen Erinnerungen schwelgen. Dennoch fordern gewisse aktuelle Entwicklungen und Tendenzen in unserer Erlebnisgesellschaft dazu auf, sie distanziert und aufmerksam zu beobachten. Pater Andreas-Pazifikus Alkofer gibt uns am Schluss seines brillanten Themas des Monats einen wertvollen Denkanstoß: Entdecken wir nicht gerade bei den Menschen, die ums Überleben kämpfen müssen, diese Fähigkeit zu feiern und sich zu freuen – die Freude der Kinder in den Entwicklungsländern ist sprichwörtlich – der wir vergeblich nachjagen durch das verzweifelte Anhäufen von Erlebnissen?
Der Weg hin zu einer höheren Lebensqualität, hin zu mehr Lebenstiefe und -intensität – das spontane Ziel eines jeden Menschen – muss offenbar ein anderer sein.
Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen, dass Sie in diesen Sommermonaten mit Ihren Lieben eine Phase der wohl tuenden Erholung für Körper und Geist genießen können. Sie werden sicher Situationen erleben, die Sie darauf stoßen, wie weit verbreitet inzwischen die atemlose Jagd nach dem Erlebnis ist und auch, dass sie mit zunehmender Unzufriedenheit einhergeht. Ein Phänomen, das an das oberflächliche Umwälzen der Wellen erinnert: am Strand lassen sie nur Algen und verrottetes Treibholz zurück.
Die gegenwärtige Erlebnisorientierung verweist auf eine real existierendes Bedürfnis – die Menschen versuchen vergebens ein immer größeres Vakuum an Hoffnung und Liebe zu füllen. Auch in der Kirche findet man nicht selten das christliche Leben auf ein gemaltes Feuer reduziert, das weder wärmt, noch zündet. Was zu einem christlichen Leben gehört, wird genau analysiert und in vielen umfangreichen katechetischen und pastoralen Projekten umgesetzt – aber die Ansätze bleiben oft abstrakt, eine nicht gelebte Möglichkeit. Den vielen Erlebnisforschern unserer Konsumgesellschaft haben wahrscheinlich überzeugende Beispiele eines konkret und freudig gelebten Glaubens gefehlt.
Beim außerordentlichen Konsistorium, der Versammlung von Papst und Kardinälen im Mai, das den Perspektiven der Kirche im dritten Jahrtausend gewidmet war, bemerkte der Erzbischof von Paris, Jean Marie Lustiger, dass wir vielleicht erst am Anfang der christlichen Ära stehen. Es geht darum, die Frohe Botschaft wieder zum Erlebnis zu machen – ein Weg, den wir beharrlich beschreiten müssen, der aber sicherlich Frucht bringen wird: Freude in der Kirche und auf der ganzen Welt.
Es ist der Weg, der schon immer von den Heiligen gegangen wurde. Im Namen des heiligen Antonius wünsche ich Ihnen Pace e bene.

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016