Nähe verändert alles
Schwester Alexa Weißmüller OSF trat 1964 in den Orden der Franziskanerinnen von der ewigen Anbetung (Olpe) ein. Nach dem Theologiestudium arbeitete sie in einer Gemeinde, bevor sie Noviziatsleiterin ihres Ordens wurde. Später übernahm sie auch die Leitung des Juniorates und Aufgaben in der Provinzleitung. 1993 zog sie in einen neuen Konvent in der Nähe des Kölner Hauptbahnhofs. Heute arbeitet die 57jährige als Obdachlosen-Seelsorgerin in Köln, gemeinsam mit Bruder Hermann-Josef Schlepütz OFM (im Bild rechts). Schwester Alexa, wie kamen Sie zu dieser Tätigkeit? Das war absolut nicht geplant. Ich hätte mir das früher auch nicht vorstellen können. Das ist einfach so gewachsen. Als wir 1993 nach Köln zogen, bin ich vier Wochen lang alle Straßen der Umgebung abgegangen, um zu sehen, wo wir hier wohnen und was hier für Menschen leben. Nach vier Wochen war ich mitten in der Szene. Sechs Jahre bin ich nun drin. Vor drei Jahren wurde dann eine Stelle für die Wohnungslosenseelsorge eingerichtet. Können Sie etwas über die Situation der Leute auf der Straße sagen? Es sind viele Männer und Frauen - und zwar aus allen Schichten. Ich kenne jemanden, der war Unternehmer. Dann verunglückten seine Frau und seine Tochter tödlich. Das hat er nicht verkraftet, er kam ans Trinken und dann auf die Straße. Ich möchte jedem sagen: Trag´ die Nase nicht zu hoch, es kann dir morgen passieren. Worin besteht Ihre Arbeit? Als ich vor sechs Jahren die ersten Kontakte bekam, war ich beflügelt von dem Gedanken, daß ich vielleicht viele vom Alkohol wegbringen könnte. Das war und ist eine Illusion, weil das von dem Gedanken ausgeht, daß ich weiß, was der andere Mensch braucht. Aber das ist falsch. Sie tragen auf der Straße immer Ihr Ordenskleid... Für die Menschen auf der Straße bedeutet das Ordenskleid etwas. Es ist für sie eine Art Zuwendung von der Kirche, und das suchen sie, weil es auch sehr viel Enttäuschung gibt. Mein Traum wäre, daß einmal ein Bischof mit auf die Straße ginge. Dann fühlten sie sich nicht so vergessen, sondern sehr geehrt. Ich spüre eine große Sehnsucht der Menschen, von der Kirche mehr beachtet zu werden. Belastet Sie diese Arbeit nicht sehr? Ja, die Arbeit belastet manchmal sehr, vor allem die Ohnmacht, einfach nicht viel tun zu können, was die Situation verändert. Aber ich habe auch selten soviel an Gotteserfahrung erlebt wie in dieser Zeit. Ich habe intensive geistliche Erfahrungen gemacht. Hat Ihre Arbeit mit den Menschen auf der Straße auch Ihr eigenes religiöses Leben beeinflußt? Ja, ich habe heute mehr Fragen als Antworten. Früher dachte ich, ich hätte viele Antworten. Das sehe ich heute als Eigenbetrug an. Auf vieles weiß ich keine Antwort, und ich versuche dann, auch keine zu geben, sondern einfach die Sprachlosigkeit auszuhalten. Das hat mir auch viel innere Unruhe genommen. Ich brauche gar nicht alles zu wissen und zu lösen. Manches wächst und ereignet sich. Meine Aufgabe ist die Aufmerksamkeit, den richtigen Moment zum Handeln zu spüren. Was kann der Einzelne mit Blick auf die Wohnungslosen tun? Es ist vor allem eine Frage des Bewußtseins: Daß ich nicht denke Ach, Gott, da ist ja schon wieder ein Betrunkener, sondern Da steht ein Mensch. Und daß ich den zunächst mal angucke, wenn er mich anspricht. |