150 Jahre Lourdes
Kalter Wind und Regen peitscht von den Pyrenäen herunter, als am 8. Dezember 2007 im Heiligtum von Lourdes das große Jubiläumsjahr eröffnet wird. Der 14-jährigen Bernadette Soubirous erschien hier vor 150 Jahren die selige Jungfrau Maria. Noch immer gilt ihre Einladung an die Pilger: „Kommt, trinkt aus der Quelle, wascht euch in diesem heilsamen Wasser!"
Bei der traditionellen Lichterprozession am Vorabend, als Vigilfeier, ziehen bis tief in die Nacht hi-nein die Menschen durch den Heiligen Bezirk, mitten in der Stadt gelegen, und singen das Ave Maria. Am Morgen dann versammeln sich mehrere Tausend Gläubige zur internationalen Messfeier in der riesigen unterirdischen Basilika Sankt Pius X., um gemeinsam Dank zu sagen für all das Wunderbare, das sich in diesen 150 Jahren zugetragen hat.
Die schöne Dame. Alles begann am 11. Februar des Jahres 1858. Die 14-jährige Bernadette Soubirous sammelt Holz am Ufer des Flusses Gave, begleitet von ihrer Schwester und einer Freundin. Bernadette durchlebt keine unbeschwerte Kindheit: ihr Vater, Müller von Beruf, ist pleite; die Lebensbedingungen der Familie sind hart. Als sie nun am Flussufer ihrer Aufgabe nachgeht, bemerkt sie eine „schöne Dame" über einer Grotte. Zwischen dem 11. Februar und dem 16. Juli des Jahres 1858 wird diese schöne Dame 18-mal wiederkommen und mit ihr sprechen. Am 24. Februar gibt sie dem jungen Mädchen den Auftrag: „Geh zu den Priestern und sag ihnen, sie sollen hier eine Kapelle bauen, und man soll hierher in Prozession kommen." Am 25. Februar 1858 gräbt Bernadette nach den Anweisungen Mariens in der Erde, da kommt eine Quelle reinen Wassers zum Vorschein (ohne jegliche thermalen oder therapeutischen Eigenschaften), die nie versiegt ist. Sie ist für alle ein Symbol der Reinigung, für die Christen eine Erinnerung an ihre Taufe. Erst bei der 16. Erscheinung am 25. März gibt sich die Dame im lokalen französischen Dialekt zu erkennen: „Que soy era Immaculada Councepciou" [Ich bin die Unbefleckte Empfängnis]. Damit bekräftigt sie gewissermaßen das Dogma, das vier Jahre zuvor von Papst Pius IX. verkündet worden war.
Anerkannte Wunder. Die Pilger drängen sich um Bernadette. Da sich die Fälle von Heilungen häufen, wird bereits 1859 ein Professor der Medizinischen Fakultät von Montpellier mit der ärztlichen Überwachung beauftragt. Am 18. Januar 1862 erfolgt das Urteil der Kirche durch den Bischof von Tarbes, Exzellenz Laurence: „Die Jungfrau Maria ist der Bernadette Soubirous tatsächlich erschienen." Damit ist die Wallfahrt nach Lourdes anerkannt. Seitdem werden die Menschenmengen immer größer, die zur Grotte von Massabielle strömen; inzwischen sind es sechs Millionen Pilger im Jahr. Was die Heilungen betrifft, so sind sie nicht mehr zu zählen. Da gibt es zuerst einmal die Heilungen von körperlichen Leiden; zu jeder Pilgerfahrt gehören die langen Reihen von Kranken, die auf Bahren getragen oder in Krankenstühlen geschoben werden. Die kirchlichen Autoritäten verhalten sich klug: Seit 1858 haben siebentausend Menschen erklärt, dass sie geheilt wurden; doch die katholische Kirche erkennt davon offiziell nur 67 Heilungen als „Wunder" an. Papst Johannes Paul II. erklärte den 11. Februar, den Gedenktag Unserer Lieben Frau in Lourdes, zum Welttag der Kranken; auf diese Weise machte er die Verbundenheit der leidenden Menschen mit der Jungfrau von der Grotte sozusagen offiziell.
Gereinigt und genährt. Darüber hinaus gibt es auch, ohne dass dies nach außen zu sehen ist, Heilungen geistlicher Art. Sie gehen mehr oder weniger in die Tiefe, sind mehr oder weniger lang anhaltend. Die Zeugnisse darüber gehen in die Millionen; die Menschen fahren nach Hause, „gewaschen" im Wasser der Bäderabteilung, „gereinigt", weil sie von der Quelle getrunken haben, genährt, weil sie wieder den Weg zu Beichte und Eucharistie gefunden haben, nun erneut gestärkt in ihrer christlichen Hoffnung.
Zur Eröffnung des Jubiläums am 8. Dezember 2007 war als Päpstlicher Legat der indische Kardinal Ivan Dias entsandt worden. Dass Papst Benedikt dafür Kardinal Dias wählte, ist bedeutsam: In Rom ist er beauftragt mit der Leitung der Kongregation zur Evangelisierung der Völker; und nach Lourdes kommen Besucher aus aller Welt. Er ist Inder, und die indischen Pilger, die jedes Jahr zur Grotte kommen, sind äußerst zahlreich. In seiner Homilie am Hochfest der Unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria ging Kardinal Dias bewusst auf den tiefen Sinn der Erscheinungen ein: „Die heilige Jungfrau ist vom Himmel herabgestiegen wie eine Mutter, die sich sehr viele Sorgen macht um ihre Söhne und Töchter, da sie in Sünde lebten, in Distanz zu ihrem Sohn Jesus. Sie ist an der Grotte von Massabielle erschienen, die zur damaligen Zeit ein sumpfiger Morast war, wo die Schweine weideten; und genau hier wollte sie ihr Heiligtum errichten lassen, um darauf hinzuweisen, dass die Gnade und die Barmherzigkeit Gottes über den elenden Sumpf der Sünden der Menschen triumphieren sollen."
Volkommener Ablass. Und Kardinal Dias verdeutlichte es weiter: „Ganz in der Nähe zum Ort der Erscheinungen ließ die Jungfrau eine Quelle hervorsprudeln, deren Wasser reichlich und rein fließt; die Pilger trinken es und tragen es voller Verehrung mit sich, hinaus in die ganze Welt. Dies ist ein Hinweis auf den Wunsch unserer liebevollen Mutter, dass ihre Liebe und das Heil ihres Sohnes bis an die äußersten Enden der Erde verbreitet wird." Der Gesandte von Papst Benedikt XVI. fügte hinzu: „Von dieser gesegneten Grotte aus hat die Jungfrau Maria einen dringenden Appell an alle gerichtet, zu beten und Buße zu tun, um die Bekehrung der armen Sünder zu erreichen." Eine Botschaft, die immer noch aktuell ist.
Um das Jubiläum in seiner Fülle zu begehen (es ist mit einem vollkommenen Ablass des Papstes versehen, nach den von der Kirche festgelegten Bedingungen), lädt der Bischof von Lourdes in diesem Jahr dazu ein, einen eigenen Jubiläumsrundgang zu unternehmen. Es handelt sich um einen Weg in vier Etappen, sozusagen in den Fußstapfen von Bernadette. Die erste Station ist die Pfarrkirche hoch oben in der Stadt. In der Kirche steht heute noch das Taufbecken, über dem Bernadette am 9. Januar 1844 getauft wurde. „Für einen Christenmenschen", so unterstreicht der Bischof, „ist die Wallfahrt ein Mittel, der eigenen Taufe wieder ihre Dynamik zurückzugeben."
Vier Etappen. Die zweite Etappe ist Le cachot [das Gefängnis] in der Rue des Petits-Fossés. Genau da lebte die Familie Soubirous im Jahr 1858, weil sie wirtschaftlich pleite war. „Hier denkt man an Maria, die in ihrem Magnificat singt: Die Mächtigen stürzt er von ihren Thronen, die Niedrigen erhöht er. Hier denkt man an den Menschensohn, der nichts hat, wohin er sein Haupt legen könnte", so erklärt es Exzellenz Jacques Perrier. Der dritte Ort des spirituellen Jubiläums-Rundgangs ist natürlich die Grotte. Die Pilger sind eingeladen, durch das Tor Sankt Michael einzutreten, inmitten des Heiligen Bezirks: die 200 Meter Fußweg dienen als Vorbereitung des Herzens. Dann geht man unter den Arkaden entlang, die mit Christusbildern geschmückt sind; sie stellen sozusagen die Türen dar, hinein in dieses Jubiläum. Die Grotte selbst ist der eigentliche Ort für das Mysterium, das Gebet, die vertrauensvolle Hinwendung. Schließlich ist der Pilger eingeladen, sich zum alten Hospiz zu begeben, das heute als Krankenhaus dient. In der Kapelle des Hospizes empfing Bernadette ihre erste heilige Kommunion, am 3. Juni 1858, vor der letzten Erscheinung. „Der Jubiläumsrundgang", so unterstreicht es Exzellenz Perrier, kann nicht an der Grotte stehen bleiben: Maria führt immer hin zu Jesus."
„Die herausragenden spirituellen Orte werden immer notwendiger, in einer Welt der Berechnung, des Flitters und der Gewalt. Lourdes gibt den Schwung zurück, um das Leben zu meistern", erklärte Exzellenz Perrier in seiner Botschaft an die Pilger. Doch Kardinal Dias fügte konkret hinzu: „An der Grotte von Massabielle lehrte uns die Jungfrau Maria: das wahre Glück ist einzig im Himmel zu finden. Sagte doch die Jungfrau Maria zu Bernadette: Ich verspreche nicht, euch in dieser Welt glücklich zu machen, sondern in der anderen."