1001 spannende Nächte
Sie sollte man immer wieder völlig vergessen können, um sie mit erneuter Lust immer wieder zu lesen. So der Dichter Hugo von Hofmannsthal über die arabische Märchensammlung Tausend und eine Nacht, die bis heute nichts an Anziehungskraft und Frische verloren hat. Der Leser möge gleich selbst sich ein Urteil bilden – hier die Erzählung mit der die kluge Scheherazade den König von Samarkand in der ersten Nach fesselte.
Des Kaufmanns Reise. O meine Schwester, sagte Dinarsad zu Scheherazade, wenn du nicht schläfst, so erzähle uns eine deiner wunderschönen Geschichten, damit wir die Nacht dabei durchwachen. Vor Anbruch des Morgens will ich dir dann Lebewohl sagen, denn ich weiß ja nicht, wie es morgen mit dir enden wird.
Scheherazade bat den Sultan Scheherban um Erlaubnis. Er erteilte sie und Scheherazade begann.
Es war dereinst, o gütiger König, ein reicher Kaufmann. Er besaß viele Güter, Sklaven, ein Weib und viele Kinder. Eines Tages nahm er seinen Quersack mit Zwieback und Datteln, bestieg sein braves Pferd und reiste viele Tage und Nächte in ein fernes Land, um dort fremde Kaufleute zu besuchen. Nachdem er seine Geschäfte abgewickelt hatte, trat er die Rückreise in seine Heimat und zu seiner Familie an.
Er hatte sich seinem Lande auf drei oder vier Tagesreisen genähert, als ihn die Hitze derart plagte, dass er eine Garten aufsuchte, um dort Schatten zu finden. Er band sein Pferd an einen Nussbaum, setzte sich in dessen Schatten neben eine Quelle, nahm einige Datteln und Zwiebacke aus seinem Quersack und ließ es sich schmecken. Dabei warf er die Dattelkerne achtlos links und rechts neben sich. Nachdem er sein Mahl beendet hatte, stand er auf, wusch sich an der Quelle und betete.
Die erste Nacht. So weit also die Eingangszeilen der Erzählung aus der ersten Nacht in der Fassung der so genannten Breslauer Handschrift von Dr. Gustav Weil aus dem Jahre 1838. Die Geschichte ist überschrieben Erzählung vom Kaufmann und dem Dämon.
Letzterer baut sich nämlich plötzlich vor dem zitternden Kaufmann auf und bezichtigt diesen, den Sohn des Dämonen getötet zu haben. Wie dieses, will der Kaufmann wissen. Darauf der Dämon. Als du die Kerne fortwarfst, ging mein Sohn vorüber. Ein Kern traf und tötete ihn.
Nach diesen Worten eröffnet der Geist dem Kaufmann, dass er nun seinerseits sterben werde. Er zieht sein Schwert aus der Scheide und hebt zum Schlag aus. Der Kaufmann in seiner Not fleht um Gnade. Die Spannung treibt auf den Höhepunkt zu. Wie wird die Geschichte weitergehen?
Zunächst einmal gar nicht!
Scheherazade aber bemerkte, dass der Tag angebrochen war. Sie sprach nicht weiter. Der König aber glühte vor Verlangen, die Fortsetzung der Geschichte zu hören. Bei Allah, ich werde dich nicht umbringen lassen, bevor ich nicht das Ende deiner Geschichte gehört habe. Erst nach der nächsten Nacht sollst du sterben. Dann ging er hin und herrschte bis zum Abend.
Rache und List. Aha, denkt sich der geneigte Leser. Da ist also ein ziemlich gestörter aber mächtiger Sultan namens Scheherban. Er verbringt mit einer jungen Frau die Nacht und gedenkt, sie danach köpfen zu lassen. Die Erklärung für sein Verhalten liefert die Rahmenerzählung der Märchensammlung. Scheherban wurde einst von seiner eigenen Frau betrogen und glaubt nun, alle Frauen seien untreu. Zwar will er nicht auf deren Umarmungen verzichten, doch nach einer Liebesnacht muss eine jede der Unglücklichen sterben. So rächt er sich am weiblichen Geschlecht an sich.
Seine Gegenspielerin Scheherazade andererseits will dieses natürlich verhindern. Sie greift zur List. Erzählt dem Herrscher der Gläubigen eine Geschichte, die sie an der spannendsten Stelle abbricht. Und spannt ihn damit auf die Folter. Derart, dass er die geplante Hinrichtung am Morgen aufschiebt, weil er erst das Ende der Geschichte erfahren will. Scheherazade hat die Galgenfrist von einem Tag gewonnen. Weitere 1000 werden folgen. In dieser Zeit, zusammen gerechnet mehr als zweieinhalb Jahre, bevölkert Scheherazade des Sultans Nächte mit Zauberern, Liebenden, Schelmen, Dieben, Mördern und gehörnten Ehemännern. Und sie erzählt dem Herrscher Begebenheiten, die ihn ins Grübeln bringen.
Orientalische Rahmenhandlung. Einschub. Rahmenerzählung nennen Germanisten Geschichten die wie in Tausend und eine Nacht eine oder mehrere Erzählungen umschließen. Diese Erzählgattung stammt ursprünglich aus dem Orient. In der Renaissance griffen europäische Dichter wie Giovanni Boccaccio oder Geoffrey Chaucer in ihren Werken Decamerone beziehungsweise Canterbury Tales die Rahmenerzählung wieder auf und führten sie zu erneuter Blüte.
Alf layla wa-layla, wie die Geschichtensammlung Tausend und eine Nacht auf Arabisch heißt, ist bereits 879 in Ägypten bezeugt. Dies beweist der Fund des Fragments eines Titelblatts aus eben diesem Jahr. Zwei arabische Autoren des 10. Jahrhunderts sehen die Quellen der Erzählung in Indien. Übersetzungen ins Altpersische folgen, danach erreichen die Erzählungen den arabischsprachigen Raum.
Am Ende Liebesglück. Der älteste bekannte Text stammt aus dem 15. Jahrhundert. Er wurde 1701 von Jean-Antoine Galland aus Syrien erworben, umfasst aber lediglich die ersten 280 Nächte. Als erste Komplettsammlung gilt die Ausgabe Bulak von 1835. Während jedoch in der arabischen Welt Tausend und eine Nacht nie sonderlich geschätzt wurde, leitete Gallands Übersetzung in Europa eine Hinwendung zur Literatur des Morgenlandes ein.
Scheherazade hatte ihre Erzählung der letzten Nacht beendet und schwieg. Da sie in den tausendundein Nächten dem Sultan Scheherban drei Söhne geboren hatte, warf sie sich nun vor ihm nieder und bat ihn auf Knien um eine Gnade. Was du wünschst, sei dir gewährt, erwiderte er.
Um es kurz zu machen. Der Sultan verzeiht Scheherazade und beide leben in Glück und Freude, bis der Tod ihn überraschte.
Ende gut, alles gut.