Es ist, als ob Gott dich schiebt!

06. Juni 2005 | von

Antrieb durch Abgas – was zunächst als paradoxes Prinzip erscheint, war der Clou des englischen Konstrukteurs Frank Whittle bei der Entwicklung des ersten Düsentriebwerks. Vor 75 Jahren ließ er seine revolutionäre Erfindung patentieren. 

Die Einwohner eines ganzen Dorfes finden Platz in einem einzigen Flugzeug. Es darf sogar ein recht großes Dorf sein mit rund 850 Männern, Frauen und Kindern. So viele Passagiere wird nämlich im Endausbau der Airbus 380 aufnehmen können, der, wenn alle Vorbereitungen planmäßig verlaufen, in der letzten Aprilwoche zu seinem Jungfernflug abheben wird. Angetrieben wird der 73 Meter lange und 24 Meter hohe Riesenvogel mit einer Spannweite von 80 Metern von vier Düsentriebwerken, von denen jedes einzelne einen Schub von bis zu 75 000 Pfund aufbringt.

Whittles Wurf. Von einem solch gigantischen Antrieb konnte Frank Whittle (1907 – 1996) nur träumen, als er 1930 die Patentschrift für sein zwei Jahre zuvor entwickeltes Düsenaggregat für Flugzeuge in Händen hielt. Es besteht aus einem Verdichter, der komprimierte Luft in eine Brennkammer schickt, in der unter gleich bleibendem Druck Kerosin verbrennt. Dadurch entsteht ein Strom heißen Gases, das eine Turbine antreibt, an die der Kompressor gekoppelt ist. Der Clou bei Whittles Erfindung: Es entsteht ein riesiger Überschuss an heißem Abgas, das sich in einer entsprechend geformten Düse entspannt und dadurch enorm beschleunigt. Das Gas verlässt die Düse und trifft auf die umgebende Luft. Der so entstandene Rückstoßeffekt treibt das Flugzeug vorwärts. Soweit die Theorie. Zwischen Whittles Prototyp und der Einsatzfähigkeit seiner Strahlenturbine sollten noch fünf Jahre vergehen.

In England kam die neue Technik zunächst nicht recht voran. Die Zivilluftfahrt war noch nicht so weit, sich vom Propeller zu verabschieden, zumal das neue Antriebsprinzip noch etliche Kinderkrankheiten aufwies. Erst als die Luftwaffen verschiedener Länder auf die Neuerung aufmerksam geworden waren, kam Schub in die Düse.

Whittle gründete mit Partnern eine Firma, um seine Erfindung marktreif zu machen. Als Pilot der “Royal Air Force“ verfügte er über genügend Erfahrung und gesellschaftliche Verbindungen, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Nun wurde auch in England, nicht zuletzt wegen der Gefahr eines neuerlichen Krieges, mit Hochdruck an dem revolutionären Antrieb gearbeitet. Dennoch konnte Whittle den Ruhm, als erster ein düsengetriebenes Flugzeug an den Himmel gebracht zu haben, nicht einheimsen.

Krieg fördert Entwicklung. Dieser nämlich gebührt dem deutschen Flugzeugbauer Ernst Heinkel (1888 – 1958). Vier Tage vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, am 27. August 1939, hob die privat finanzierte Heinkel “He 178“ vom Boden ab. Am Steuer saß der Versuchspilot Erich Warsitz. Das von Hans von Ohain entwickelte Turbostrahltriebwerk erhielt seine Verbrennungsluft von einer großen Ansaugöffnung an der Vorderseite des Rumpfes, die einzige Turbine selbst war in der Mitte des Flugzeuges angeordnet. Der Pilot “ritt“ gleichsam darauf. Die Maschine erreichte eine Spitzengeschwindigkeit von 700 Kilometern pro Stunde. Schlag auf Schlag ging die Entwicklung weiter. Wegen des Krieges wurden ausschließlich Kampfflugzeuge mit Düsenantrieb ausgestattet. 1942 folgte die zweistrahlige Messerschmitt “Me 262“ als erstes in Serie gebautes Düsenflugzeug der Welt, das 870 Kilometer pro Stunde erreichen konnte. Die 1000-Kilometer-Marke ließ als erste die Messerschmitt “Me 163“, genannt “Komet“, hinter sich. Dies bedeutete annähernd Schallgeschwindigkeit, wurde allerdings nicht mit Düsen-, sondern mit Raketenantrieb erreicht.

Zivile Düsenvögel. Während es Krieges hatte die zivile Luftfahrt in allen beteiligten Ländern eine eher untergeordnete Rolle gespielt. Nun, da wieder Frieden herrschte, holte sie mächtig auf. Entfernungen schrumpften, die Welt rückte zusammen. Düsenaggregate für Verkehrsflugzeuge waren plötzlich gefragt, weil sie höhere Geschwindigkeiten zuließen.

Doch noch einmal wartete ein Militär mit einem Paukenschlag auf: Am 14. Oktober 1947 erreichte der deutschstämmige US-Amerikaner Charles “Chuck“ Yeager mit seiner Bell “X1“ erstmals Überschallgeschwindigkeit. Von einem Reporter gefragt, welche Empfindungen er bei seinem Flug hatte, antwortete er. “Es ist, als ob Gott dich schiebt!“.

Die bei Militärdüsenjägern gewonnenen Erkenntnisse flossen nun verstärkt in die Entwicklung der Zivilluftfahrt ein. Als erste reine Düsenverkehrsmaschine gilt die “Comet 1“ von de Havilland, die 1947 zum ersten Mal abhob und 1952 den Linienverkehr mit jeweils 36 Passagieren an Bord aufnahm. Leider brachen bald darauf drei Maschinen in der Luft auseinander, die bedeutete das Ende der “Comet 1“. Es folgten Legenden wie etwa die französische “Caravelle“, die britische “one-eleven“ oder die amerikanischen Boeings “707 bis 737“.

Im Jahre 1969 machten zwei weitere Düsenvögel von sich reden: Die Boeing “747“, der legendäre “Jumbo-Jet“ mit dem typischen “Buckel“ in der Silhouette, gilt als erstes Großraumflugzeug. Es kann 385 Passagiere befördern, ist 930 Kilometer schnell, 70,5 Meter lang und hat eine Spannweite von knapp 60 Metern. Ihre so genannte Dienstgipfelhöhe beträgt 13 700 Meter.

Schneller als der Schall. Im gleichen Jahr schrieben die ersten Überschall-Verkehrsflugzeuge ihre Kondensstreifen an den Himmel. Im Januar ging die russische Tupolew “Tu 144“, zwei Jahre später die britisch-französische “Concorde“ auf Jungfernflug. Letzterer ist im Gegensatz zur russischen Konkurrenz mehr als 30 Jahre Erfolg beschieden, erst der Absturz einer Concorde im Juli 2000 beendete bald darauf den Flug des mit zweifacher Schallgeschwindigkeit dahinjagenden Düsenpfeils für immer.

Nun wartet also in Toulon wieder ein Vogel der Superlative auf seinen Jungfernflug. Mit bis zu 850 Menschen an Bord wird der Airbus 380 unterwegs sein. Und das wird sicher nicht das Ende der Entwicklung sein. Wetten?

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016