Ein franziskanisches Meisterwerk

Vor 750 Jahren wurde Giotto di Bondone geboren. Br. Thomas Freidel, deutschsprachiger Pilgerseelsorger in Assisi, begegnet tagtäglich einem seiner großen Werke: Die Basilika San Francesco wurde von Giotto mit Fresken ausgemalt.
21. Oktober 2016 | von

Giotto di Bondone, der toskanische Maler, wird oft als Wegbereiter der neuzeitlichen abendländischen Malerei, als Vorläufer der Kunst der Renaissance bezeichnet und gefeiert. 1266 in Vespignano bei Florenz geboren, tritt der Sohn eines Schmiedes in die Werkstatt des Malers Cimabue ein und erhält dort seine Ausbildung. Es ist der Beginn einer glänzenden Karriere. Bald gründet er seine eigene Werkstatt, die Päpste holen ihn in ihren Dienst, Dichter wie Boccaccio und Dante Alighieri gehören zu seinen Freunden und verewigen den Maler in ihren Werken. 

Lebendige Szenen, bewegliche Figuren
Spuren hinterlässt der vielseitig Begabte auch durch seine Tätigkeit als Baumeister am Dom von Florenz, wo bis heute besonders der großartige Glockenturm Staunen und Bewunderung erregt. In seiner Freskenmalerei in den Kirchen Italiens gelingt Giotto ein revolutionärer Durchbruch. In der Darstellungsweise löst er sich immer mehr von den ikonographischen Normen der byzantinisch geprägten Malerei. Die Szenen in seinen Bildern werden lebendig, die Figuren beweglich, die dargestellten Menschen beginnen, sich so zu verhalten wie im wirklichen Leben, die Natur wird zur Grundlage der Darstellung in der Malerei. So eröffnet Giotto eine neue Sichtweise auf die Welt, die Natur und Menschen; diese bahnbrechende Erkenntnis wird auch noch Michelangelo viele Jahre später als Vorbild dienen.
Die Cappella degli Scrovegni (Arenakapelle) in Padua bildet zweifellos das Hauptwerk des Meisters, in dem sein persönlicher Malstil zur besonders ausgeprägten Vollendung findet. Bekannter aber, zumindest mit einer größeren Breitenwirkung, dürften die Fresken in der Basilika San Francesco in Assisi sein. In den zwei bezeugten Aufenthalten des Künstlers und seiner Werkstatt in Umbrien entstehen Fresken, die bis heute prägend sind für das Bild, das sich viele Menschen vom heiligen Franziskus und der Botschaft seines Lebens machen.

Erste Aufträge in Assisi
Die erste Spur vom Wirken Giottos in Assisi findet sich allerdings in einem biblischen Bilderzyklus in der Oberkirche von San Francesco. Mit der Ausführung der alttestamentlichen Szenen von der Erschaffung der Welt und des Menschen und der Patriarchen des Alten Bundes von Noah bis hin zu Joseph in Ägypten werden verschiedene römische und toskanische Maler beauftragt. Zwei Bilder in dieser Reihe, welche die Geschichte von Isaak, Esau und Jakob erzählen, stechen besonders hervor in ihrer Gestaltung und Qualität. Erstmals in der neuzeitlichen abendländischen Malerei schaut der Betrachter nicht nur auf eine dargestellte Szene, sondern blickt in einen Innenraum hinein, der eine perspektivische Tiefe aufweist. Auch die Gestaltung der Figuren in ihrer Mimik und Gestik, die gesamte Qualität der Ausführung der beiden Szenen, alles verweist auf einen Neubeginn in der Malerei, der, darin ist sich die Fachwelt heute einig, auf den Maler Giotto di Bondone hinweist.

Schaffung des Franziskuszyklus
Diese „Visitenkarte“, die der noch junge Maler aus der Toskana mit diesen Bildern gleichsam abgibt, führte wohl auch dazu, dass er mit seiner Werkstatt dann auch den Zuschlag für die Ausführung des großen Franziskuszyklus in der Oberkirche unterhalb der biblischen Szenen bekam. Wenn auch der Meister selbst, hier divergieren die Meinungen der Experten, nur teilweise persönlich mit dem Pinsel auf dem Gerüst stand, so ist es doch die für Giotto charakteristische Formensprache, die aus diesen Bildern spricht.
In 28 großen Szenen werden Ereignisse aus dem Leben des heiligen Franziskus erzählt, sowie wundersame Ereignisse nach seinem Tod. Niemals zuvor wurde das Leben eines Menschen in solch großen Bildern dargestellt – nicht nur für das äußere Betrachten, sondern vielmehr für das innere Erleben des damaligen Menschen ein überwältigendes visuelles Schauspiel.

Im Dienst einer größeren Sache
Um Giottos Werk gut verstehen zu können, ist es hilfreich, den mehrfachen Sinn dieser Bildwerke zu bedenken. Zunächst war die Vergegenwärtigung der Personen an sich für den mittelalterlichen Menschen beeindruckend, der sonst im alltäglichen Leben nur wenig mit bunten Farben und Bildern konfrontiert war; die dargestellte Begebenheit aus dem Leben des Heiligen ist der großen Biographie entnommen, die Bonaventura von Bagnoregio über Franziskus verfasste, wobei es hier nicht um eine chronologische Nacherzählung der Lebensgeschichte des Poverello ging. Vielmehr liegt der gesamten Ausmalung ein tiefgründiges theologisches Konzept zugrunde, in dem alle Fresken miteinander in inhaltliche, thematische Verbindung gebracht werden können. Schließlich ist noch ein Punkt zu nennen, der unserem modernen, auf Nutzen und Zweckerfüllung ausgerichteten Denken entgegen steht. Viele der hier entstandenen Fresken befinden sich hoch oben an den Wänden, teilweise in Bereichen der Kirche, die nicht jedem zugänglich waren und die ohne die moderne Technik der elektrischen Beleuchtung wohl ohnehin nur schwer sichtbar waren; man kann also davon ausgehen, dass sie kaum Gegenstand der Betrachtung und Deutung gewesen sind. Und trotzdem haben dort Menschen Jahre ihres Lebens verbracht, um diese Werke zu erschaffen, weil die Idee dahinter es wert war. Dass Gott Ursprung und Ziel allen Lebens ist und dass sein Diener Franziskus einen Weg hin zu Gott gewiesen hat, das rechtfertigte die größten Mühen, den höchsten Aufwand, die beste Qualität.

Entsprechung von Altem und Neuem
Aufschlussreich für das Verständnis der Ausmalung in San Francesco ist bereits die Betrachtung der ersten und letzten Bilder der Freskenreihen im Langhaus der Oberkirche. Es beginnt auf der Nordseite mit der Erschaffung der Welt. Gott ist Schöpfer des Lebens, er ist der, der Leben schenkt. Auf der Seite gegenüber beginnt die Erzählung der Kindheitsgeschichte Jesu mit der Verkündigung an Maria. Das damals beliebte und in der Theologie der Zeit aktuelle typologische Denken bringt die beiden Bilder in ihrer Aussage zusammen. Denn man sah im Alten Testament ganz bewusst die Grundlage des Neuen Bundes: was hier verheißen wurde, ist dort zur Erfüllung gekommen; das Alte ist der Schatten des Neuen, das Neue nicht denkbar ohne das Alte. Gott ist also nicht nur Schöpfer des Lebens, sondern auch der Erneuerer des Lebens und der Schöpfung. Und diese Erneuerung der Schöpfung geschieht im Augenblick der Menschwerdung, worauf das Bild von Mariä Verkündigung verweist. Gott ist der, der Leben und Schöpfung in seiner Menschwerdung erneuert.

Der Franziskuszyklus in der Basilika
In der mittleren Reihe ist auf der Nordseite Noah zusehen, der die Arche bauen lässt. Er ist gerecht und deshalb wird er gerettet, der Gerechte ist es also, der zu neuem Leben kommt. Gott aber schenkt nicht nur neues Leben, wie hier dem Noah, er schenkt noch mehr, nämlich ewiges Leben. Und ein Vorausbild für dieses ewige Leben ist aufgezeigt im Bild von der Hochzeit zu Kana gegenüber. Es ist ein Bild für ewiges Leben, Gott und Mensch an einem Tisch vereint zum Hochzeitsmahl des ewigen Lebens, das Wunder von Kana ist ein Hinweis auf diese ewige Gemeinschaft mit Gott. 
Unter der Darstellung des Noah beginnt nun der Franziskuszyklus. Kein Zufall also, dass der junge Kaufmannssohn, der hier die Piazza seiner Heimatstadt betritt, mit dem alttestamentlichen Propheten verglichen wird, denn auch er, Franziskus, ist ein Gerechter, der das rechte Tun sucht, es nur noch nicht gefunden hat. Giotto erzählt diese Szene in meisterlicher Weise, wie ein einfältiger Mensch dem gut gekleideten jungen Mann einen festlichen Empfang bereitet. Man ahnt also schon, dass es mit ihm einmal etwas Besonderes werden wird. Auffallend ist bei der Szene, dass der zentral abgebildete Minervatempel, wie er heute noch auf der Piazza zu sehen ist, hier keinen Eingang hat und zwei vergitterte Fenster. Der zeitgenössische Betrachter wusste aber sehr wohl, dass sich hier das städtische Gefängnis befand. Der verschlossene Kerker ist also die etwas verschlüsselte Botschaft des Bildes. 

Aufbruch zu neuem Leben
Auf der Seite gegenüber schließt Giottos Franziskuszyklus mit einem Wunder, das sich nach dem Tod des Franziskus in Rom ereignete. Auf die Fürsprache des Heiligen, der als Mittler zwischen Himmel und Erde im oberen Bildteil schwebt, wird ein Gefangener aus dem Kerker befreit. Die Tür des Kerkers ist aufgebrochen, er stürzt heraus mit den gelösten Fesseln an der Hand, an den Beinen noch die Spuren der Ketten in der Kerkerhaft. Alle Umstehenden erschrecken und staunen ob dieses Wunders. Dem Bild vom verschlossenen Gefängnis ist also die Szene des aufgebrochenen Kerkers gegenüber gestellt. Somit haben wir in diesen beiden Bildern bereits eine Zusammenfassung der theologischen Botschaft der gesamten Ausmalung der Kirche. Gott ist es, der die Welt und den Menschen aus Liebe erschaffen hat und uns in Jesus Christus ewiges Leben schenkt. Wer sich also so, wie es sein Diener Franziskus vorgelebt hat, auf den Weg der Nachfolge begibt, für den hat der Tod seinen Schrecken verloren, er wird zum Hinübergang in ewiges Leben. Der aufgebrochene Kerker ist ein Sinnbild für Auferstehung, das heißt für den Ausbruch des Menschen aus Dunkelheit und Nacht in neues, ewiges Leben.

Tiefe theologische Konzeption
Es ist offensichtlich, dass das theologische Konzept der Ausmalung von San Francesco von wissenschaftlich geschulten Experten entwickelt wurde. 
Doch auch Maler wie Giotto und seine Schüler und Helfer hatten ihre Erfahrungen und Kenntnisse und waren zudem tief im religiösen Leben verwurzelt, wie etwa der Meister selbst als Mitglied des Dritten Ordens, der franziskanischen Laiengemeinschaft, registriert ist. Die eigenen Ideen und Gestaltungsvorschläge, die es sicher auch von Seiten der Maler gab, zeigen sich vielleicht am besten im Blick auf die Kompositionselemente in den einzelnen Fresken. Ein schönes Beispiel hierzu ist eine Szene in der Mitte des Langhauses der Oberkirche. Der Leichnam des Franziskus wird am Tag nach seinem Hinscheiden von der Portiunkula-Kapelle herauf in die Stadt überführt. Dabei macht der Leichenzug halt in San Damiano, damit die heilige Klara und ihre Schwestern Abschied nehmen können von ihrem Bruder und Gefährten. Man sieht nun hier die kleine Kapelle von San Damiano mit einer prunkvollen Fassade, wie sie sicherlich niemals ausgesehen hat, was man natürlich auch damals wusste. Die weiteren Kompositionselemente des Bildes weisen den Weg zum besseren Verständnis. Der auf den Baum kletternde Mann, der Zweige abreißt, die Menschen darunter, die bereits Zweige in den Händen tragen – alles weist darauf hin, dass die Szene dem Einzug Jesu in Jerusalem am Palmsonntag nachgebildet ist, wie man es damals üblicherweise darstellte. Jesus zieht nach Jerusalem, an den Ort, wo er leiden, sterben, vor allem aber auferstehen wird. Jerusalem ist also Sinnbild für Auferstehung, für ewige Vollendung bei Gott. Der Maler hat also hier das kleine Kapellchen vor der Stadt Assisi, den wichtigen Ort der Lebensberufung des Franziskus, gewaltig verschönert und vergrößert, um ihn – wie es jedes Kirchengebäude ja ist – bewusst zum Sinnbild für das himmlische Jerusalem zu machen, zum Ort der ewigen Gemeinschaft mit Gott, an dem Franziskus nun angekommen ist, er, der in seinem Leben nichts anderes gesucht und gewollt hat, als Gott nahe zu sein.

Die Schöpfung als Weg zu Gott
So wird Giotto di Bondone, der große florentinische Maler und Wegbereiter der Renaissance, in Assisi zum Verkünder der Lebensbotschaft des Franziskus und setzt somit das ins Bild, was der Heilige vorgelebt hat: dass die Schöpfung, also die Lebenswirklichkeit, eine Spur ist, die hinführt zum Geheimnis des Lebens, das Gott selber ist.

Zuletzt aktualisiert: 09. November 2016
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