Richter ohne Gnade
Vor 75 Jahren krönt Roland Freisler seine Karriere mit dem Präsidentenamt des Volksgerichtshofs. Etwa 90% der von ihm behandelten Verfahren enden mit einer oft schon vor Prozessbeginn feststehenden Todesstrafe oder mit lebenslanger Haft.
Gegen solche Verräter werde kurzer Prozess gemacht. Mit dieser Drohung eröffnet der Gerichtsvorsitzende Roland Freisler im April 1943 den zweiten Prozess gegen die Mitglieder der Weißen Rose. „Ganz ohne Recht“, keift er weiter und verbessert sich, „ganz ohne Gesetz“. Als ihm dennoch ein Beisitzer das Strafgesetzbuch reicht, schleudert er es demonstrativ in Richtung Anklagebank. Dieser Richter folgt weder Recht noch Gesetz, dieser Richter folgt dem Willen und den Wünschen seines Führers Adolf Hitler. Und der Gerichtshof, dem er seit dem 20. August 1942 als Präsident vorsteht, dient nicht als rechtsstaatliches Gericht, sondern als politisches Machtinstrument.
Blutrichter
In seinem Schreiben zum Amtsantritt nennt sich Freisler einen „Soldaten an der Heimatfront“ und bezeichnet die Justiz als „Panzertruppe der Rechtspflege“. Damit gibt er unverblümt die Stoßrichtung vor: Ziel des Gerichtes ist es, jeden, der sich dem Regime entgegenstellt, zum Tode zu verurteilen. Es handelt sich um ausgetüftelte Schauprozesse vor ausgesuchtem Publikum, deren Ausgang bereits vor Beginn der Verhandlung feststeht. Die Pflichtverteidiger setzen sich kaum für ihre Mandanten ein, Zeugen werden nicht gehört und den Angeklagten werden Gürtel und Hosenträger abgenommen, so dass sie sich die rutschenden Hosen halten müssen, während sie vor ihm stehend verhört werden. Er brüllt sie an und unterbricht sie fortwährend – Demütigungen jeder Art bestimmen seine Prozessführung, ebenso wie eine gezielte Rechtsbeugung.
Neben namhaften Personen des Widerstandes landen auch einfache Leute vor seiner Richterbank. Bereits die kleinste Kritik am Regime reicht dafür aus, wie das Beispiel des Schlachters Alwin Wätzlich zeigt. „Die Soldaten sollten doch den ganzen Dreck hinhauen […]“, soll dieser laut eines Denunzianten gesagt haben. Im Namen des deutschen Volkes verkündet Freisler die Todesstrafe für den Schlachter, da dieser durch seine Zweifel am Krieg für immer ehrlos geworden sei. Der Begriff der Wehrkraftzersetzung bietet ihm den notwendigen Auslegungsspielraum.
Auf dem Weg zur Macht
1942 hat Roland Freisler bereits eine steile Karriere hinter sich. Geboren wird er am 30. Oktober 1893 in Celle in eine gutbürgerliche Familie. Zwei Jahre später kommt sein Bruder Oswald zur Welt. Nach dem Abitur in Kassel nimmt er 1912 ein Studium der Rechtswissenschaften in Jena auf. 1914 meldet er sich freiwillig zum Kriegsdienst und gerät ein Jahr in Gefangenschaft. Im sibirischen Lager lernt er Russisch, befasst sich mit dem Marxismus und wird 1917 zum Lagerkommissar ernannt. 1920 kehrt er dem Kommunismus den Rücken und kommt an die Universität nach Jena zurück. Nun sympathisiert er mit nationalsozialistischen Gruppen. Nach seiner Promotion eröffnet er gemeinsam mit dem Bruder eine Anwaltskanzlei in Kassel und tritt 1925 der NSDAP bei. Straffällig gewordene Nationalsozialisten stellen ihre Mandantschaft. Unzählige Male verteidigt Freisler diese vor dem Leipziger Ehrengerichtshof. Dort kommt sein streitsüchtiger, ehrgeizzerfressener Charakter zum Ausdruck. Er beleidigt und bedroht beinahe in jedem Prozess die Opfer, Kollegen und Richter. Mit Hitlers Rechtsanwalt Hans Frank unterhält er freundschaftliche Beziehungen. Die beiden hochgebildeten Herren sollen sich in ihrer Freizeit ausschließlich auf Latein unterhalten haben. Durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten geht Freislers Karriere ab 1933 steil bergauf und er wird 1934 Staatsekretär des Reichsministeriums der Justiz. In dieser Funktion nimmt er 1942 an der Wannseekonferenz teil. Doch aufgrund seiner Beziehungen zu Russland aus den Nachkriegsjahren bleibt er den Köpfen des nationalsozialistischen Reiches zeitlebens suspekt. Entsprechend groß ist die Enttäuschung, als Hitler ihn 1942 nicht zum Reichsjustizminister beruft. Noch emsiger scheint er nun in der neuen Aufgabe als Präsident des Volksgerichtshofes seine treue Gefolgschaft durch Radikalität und Brutalität zum Ausdruck bringen zu wollen.
Verräter vor dem Volksgericht
Als das Attentat vom 20. Juli 1944 misslingt, steht erneut ein großer Prozess für den Blutrichter an. Hitler fordert: „Sie sollen hängen wie Schlachtvieh“, und Freisler weiß seinen Führer zufriedenzustellen. Propagandaminister Goebbels veranlasst, die Prozesse der Attentäter sowie ihre vorab geplanten Hinrichtungen filmisch aufzuzeichnen, um diese unter dem Titel Verräter vor dem Volksgericht als Propagandafilm zu nutzen. Das Gericht wird zu Freislers Bühne, der mitunter so lautstark durch den Raum brüllt, dass es den Tontechnikern kaum möglich ist, seine Stimme einzufangen. Als einer Auswahl führender Nazi-Größen der fertige Schnitt vorliegt, sind diese vom Ergebnis irritiert. Die Angeklagten erhalten sich ihre stille Würde, wenig würdevoll dagegen wirkt das unangemessene Verhalten des ständig tobenden Richters. Es wird entschieden, den Film nicht zu zeigen.
Gefühlskalter Karrierist
Dabei war Freisler kein Täter aus Überzeugung, vielmehr wird er als rücksichtsloser Karrierist beschrieben, dem es nicht um ein politisches Programm ging, sondern um seine Stellung. Für seine ehrgeizigen Ziele geht er über Leichen. Insgesamt werden vom Volksgerichtshof um die 5.000 Todesurteile verhängt, davon spricht allein Freisler 2.600 aus. Jeder seiner Prozesse endet mit der geforderten Höchststrafe, was ihm den Ruf als Richter ohne Gnade einbringt.
Als am 3. Februar 1945 Bomben auf Berlin regnen, trifft ihn ein Splitter tödlich. Von der Straße wird noch ein Arzt hinzugerufen, es ist der Bruder des am Vortag von Freisler zum Tode verurteilten Rüdiger Schleicher. Doch da ist der Richter bereits seinen Verletzungen erlegen. In den Händen hält er die Akte von Fabian von Schlabrendorff, der nun überleben und später Richter am Bundesverfassungsgericht werden wird.