Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten
Die USA haben seit Langem weltweit eine Führungsrolle. Mit den heute etwa 400 Brüdern spielen sie auch im Orden der Franziskaner-Minoriten eine wichtige Rolle. Wir werfen einen Blick über den großen Teich.
In den Vereinigten Staaten sind die Franziskaner-Minoriten im Vergleich zu anderen franziskanischen Ordensgemeinschaften verhältnismäßig spät angekommen. Bischof Jean Marie Odin von Galveston in Texas reiste 1852 nach Europa, um die Minoriten in seine Diözese einzuladen. Noch im gleichen Jahr brachen fünf Brüder – drei Deutsche, ein Pole und ein Belgier – in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten auf.
Schwierige Anfänge
Die Anfänge waren schwierig. Dennoch gelang es den Brüdern im Jahr 1877, eine Provinz unter dem Patronat der Immaculata (Unbefleckte Empfängnis) zu gründen. Die zweite Provinz, dem heiligen Antonius von Padua anvertraut, wurde dann 1906 ins Leben gerufen. Nach und nach wurden drei weitere Provinzen errichtet: die Consolatrix-Provinz im Mittleren Westen, die Provinz des heiligen Bonaventura mit Sitz in Chicago und die des heiligen Josef von Copertino in Kalifornien. Ausschlaggebend für die Territorien der Provinzen waren häufig die ethnischen Gruppierungen, an denen die Brüder in erster Linie ihr Seelsorgsangebot ausrichteten: Die Immaculata-Provinz wandte sich vor allem an Deutsche, Slowaken und Iren, während sich die Antonius-Provinz in erster Linie der polnischen Einwanderer annahm.
In der jüngeren Vergangenheit haben die Brüder der verschiedenen Provinzen überlegt, nach welchen Kriterien man eine Umstrukturierung vornehmen könnte. Dabei spielten natürlich auch der Mangel an Berufungen sowie der demografische Wandel in der Gemeinschaft eine große Rolle. Die zwei Provinzen im Osten, Immaculata und Antonius, fusionierten im Jahr 2013 zur neu gegründeten Provinz „Our Lady of Angels“. Sie erstreckt sich vom Bundesstaat New England im Norden bis nach Florida im Süden. Auch die drei anderen Provinzen in den Vereinigten Staaten prüfen derzeit, wie sie künftig auf bestmögliche Weise zusammenarbeiten können: Wie kann man Ressourcen gemeinsam nutzen und wie lassen sich aufwändige Doppelstrukturen abbauen?
Pastorale Dienste
Wie in vielen anderen Teilen der Welt sehen die Brüder ihre Hauptaufgabe in der Pfarrpastoral. Hier haben die Brüder in den letzten Jahren intensiv reflektiert, was es bedeutet, eine „franziskanische Pfarrei“ zu führen. Denn da geht es ja um mehr als einfach nur ein paar zusätzliche franziskanische Feste wie das des heiligen Franziskus oder des heiligen Antonius. Es bedeutet auch, dass die Brüder als Team arbeiten und gemeinsam in der Pfarrei Verantwortung übernehmen.
Eine stattliche Zahl von Brüdern arbeitet auch in Bildungs- und Exerzitienhäusern. Solche gibt es beispielsweise in den Bundesstaaten New Mexico, Illinois, Ohio, Indiana und Minnesota. Ein Gütesiegel solcher franziskanischen Gästehäuser ist die herzliche Gastfreundschaft, die denen entgegengebracht wird, die diese Einrichtungen besuchen.
Die Brüder betreuen außerdem einige Wallfahrtsorte. Sie sind Zentren religiöser Erwachsenbildung, traditioneller Frömmigkeitsformen, Orte für Beichte und geistliche Begleitung. Die Wallfahrtsorte befinden sich in Marytown in Illinois (Nähe Chicago), in Carey (Ohio) und in Ellicott City (Maryland, in der Nähe von Baltimore).
Außerdem sind die Brüder noch im schulischen Bereich tätig, sowohl als Lehrer als auch als Schulkapläne in der High School und an der Universität. Der Orden stellt derzeit die Studentenseelsorger an der Catholic University of America in Washington D.C. Der Präsident dieser Universität wird mit den Worten zitiert, erst die Minoriten hätten die Catholic University wieder katholisch gemacht... Das zeigt wohl, dass ihre Sorge um das Gebetsleben auf dem Uni-Campus, ihre Ansprechbarkeit für jeden einzelnen Studenten, ihre Freundlichkeit und ihre Leidenschaft – dass all das den jungen Leuten ein Zeugnis dafür gibt, dass man den katholischen Glauben auch tatsächlich in der Welt von heute leben kann.
Einsatz für Menschen am Rand
Daneben gibt es in den Vereinigten Staaten auch Brüder, die als Kapläne in Krankenhäusern und Gefängnissen tätig sind. Mit vollem Einsatz zeigen sie Mitgefühl für die, die körperlich am Ende oder geistlich ausgetrocknet sind.
Andere Brüder wiederum arbeiten in Einrichtungen mit kostenloser Lebensmittelausgabe und Suppenküchen. Darunter sind in Louisville, Kentucky, dann auch ältere Brüder. Sie gehen regelmäßig in die vor längerer Zeit von den Brüdern eingerichtete Suppenküche und stehen für Gespräche mit den Besuchern zur Verfügung. Sie wissen: Genauso wichtig wie die Verteilung des Essens ist die Würde, mit der man die Armen behandelt.
Und schließlich gibt es auch Brüder, die vor allem in der seelsorglichen Beratung tätig sind. Hier werden den Bedürftigen spirituelle und psychologische Hilfen, die man oft nicht voneinander trennen kann, angeboten.
Unterstützung der Mission
Die Brüder in den Vereinigten Staaten bedienen aber nicht nur die Bedürfnisse in ihrem eigenen Land. Im Lauf der Zeit haben sich viele von ihnen für Missionen in der ganzen Welt zur Verfügung gestellt. Dabei gab es immer hauptsächlich zwei Blickrichtungen: Eine konzentrierte sich auf die Menschen, die unserem Glauben gar nicht angehören. Auch sie sollten etwas von der Botschaft Jesu Christi hören − sowohl durch die Verkündigung im Wort als auch durch karitative Initiativen, die oft von den Brüdern gestartet wurden. Darüber hinaus bemühten sich die Brüder, den Orden in den Ländern Fuß fassen zu lassen, wo es bislang noch keine Franziskaner-Minoriten gab.
Die Brüder der Immaculata-Provinz begannen beispielsweise die erste Mission der Franziskaner-Minoriten in Lateinamerika. Das war im Jahr 1948 in Costa Rica und Rio de Janeiro (Brasilien). Die Brüder der Antonius-Provinz arbeiten auf der Insel Amami-Ōshima südlich von Japan, in Ghana (Westafrika) und in Jamaica. Die Brüder der Provinz „Our Lady of Consolation“ begannen eine Mission in Zambia (Afrika) und mit der Mission in Honduras auch eine in Zentralamerika. Und die Brüder aus den Provinzen „Saint Bonaventure“ und „Saint Joseph of Cupertino“ arbeiteten in der Mission in Südmexiko, direkt bei den Ureinwohnern des Landes. Die Brüder der kalifornischen Provinz haben mittlerweile auch die Verantwortung für die Mission in Vietnam übernommen, die ursprünglich von den Brüdern aus Australien gegründet worden war.
Herausforderungen
Eine der größten Herausforderungen für die Brüder in den USA ist die Gefahr, zu „verbürgerlichen“. Die Brüder sind ja eigentlich dazu berufen, das Zeugnis eines sehr einfachen Lebensstils zu geben, leben aber zugleich in einer sehr wohlhabenden Nation, wo der Wert des Menschen allzu oft nach dem bemessen wird, was er an Besitz vorweisen kann.
Eine andere Gefahr besteht darin, zu hart zu arbeiten. Zum Leben der Brüder gehört es aber auch, Zeit für das Gebet und für die Gemeinschaft zu reservieren. Da ist es dann oft schwer, die vielen Aufgaben, die getan werden müssen, beiseite zu legen für die viel wichtigere Aufgabe: nämlich tatsächlich auch das zu sein, was man vorgibt zu sein. Man sagt, dass wir oft so beschäftigt damit sind, uns um das zu kümmern, was dringend ist, dass wir vergessen, uns darum zu sorgen, was wesentlich ist. Die Menschen, für die die Brüder da sein sollen, brauchen Brüder, die ihnen als geistliche Männer zur Seite stehen, Männer, die erfüllt sind vom Frieden des Evangeliums. Sie brauchen keine ausgelaugten, ermüdeten und traurigen Brüder.
Zurück zu den Wurzeln
In allen amerikanischen Provinzen bemühen sich die Brüder gerade darum, zu ihren franziskanischen Wurzeln zurückzukehren − zu ihrer ursprünglichen Berufung, um dann zu versuchen, ihre Antwort auf diesen Ruf noch authentischer geben zu können. Dieser Prozess nennt sich „fortdauernde Ausbildung“. Die Anfangsausbildung ist der Prozess, durch den jemand zum Minderbruder wird. Die fortdauernde Ausbildung ist der lebenslange Weg, auf dem sich der Bruder immer wieder an seine Berufung erinnert und sich ihr Tag für Tag neu verpflichtet. Auf diesem Weg ist das sogenannte „Hauskapitel“ einer der wichtigsten Schritte. Einmal im Monat treffen sich die Brüder in ihrem Konvent, um speziell über ihr Leben als Gemeinschaft und über ihren je eigenen, persönlichen Weg zu sprechen. Bei diesem Hauskapitel geht es auch darum, dass man Termine bespricht und Aktivitäten plant, vor allem aber soll es um einen geistlichen Austausch gehen. Die Brüder erzählen davon, wie sie Gott in ihrem Dienst und in ihrem Herzen begegnen. Sie bitten sich auch gegenseitig um Verzeihung, wo sie Fehler gemacht haben. Und sie ermutigen einander – manchmal durchaus auch in Form einer Ermahnung, wieder mehr das zu sein, was sie zu sein vorgeben. Das passt ganz gut zu dem Gedanken, dass man stirbt, wenn man aufgehört hat zu wachsen und sich zu entwickeln.
Inter-franziskanische Zusammenarbeit
Die Franziskaner-Minoriten in den USA arbeiten seit langem mit dem weiblichen franziskanischen Ordenszweig zusammen. Diese Zusammenarbeit hat sich in den letzten Jahren intensiviert und auch ausgedehnt auf die beiden anderen großen franziskanischen Männerorden, die Franziskaner (OFM) und die Kapuziner (OFM Cap.). Ein Beispiel dafür: Alle drei Männerorden haben ihr Noviziat in Kalifornien eingerichtet – nur etwa eine Autostunde voneinander entfernt. Auf diese Weise kann man verschiedene Elemente der Ausbildung gemeinsam absolvieren.
Ein weiteres Beispiel sind die Aktivitäten im Bereich von Gerechtigkeit und Frieden. Es gibt ein gemeinsames Netzwerk, das auf diesem Gebiet die franziskanische Perspektive in die gesellschaftliche Diskussion einbringt. Dieses Netzwerk wird auch immer wieder bei Kongress-Mitgliedern und anderen Regierungsbehörden vorstellig. Ganz ähnlich arbeiten die Brüder bei Franciscans International zusammen, um die uns wichtigen Themen bei den Vereinten Nationen in Genf und in New York vorzubringen.
Ein Blick nach vorn
Obwohl die Zahl der Brüder in den letzten Jahren teilweise stark zurückgegangen ist − heute gibt es noch ca. 400 Franziskaner-Minoriten in den USA –, gibt es unter den Brüdern immer noch große Hoffnung. Immer noch treten junge Männer in die Gemeinschaft ein. Wie die Bevölkerung von Amerika generell, sind auch ihre Herkunftsländer ganz unterschiedlich (Mexiko, El Salvador, Vietnam, Philippinen, Togo, Bahamas,...). Das Charisma des heiligen Franziskus hat diese Männer dazu bewegt, sich mit ihrem ganzen Leben einer Institution zur Verfügung zu stellen, die eine lange Geschichte, aber auch eine hoffnungsvolle Zukunft hat.