Kann der Papst den Zölibat abschaffen?

24. Februar 2020 | von

Spätestens seit der Bischofssynode über Amazonien im Oktober 2019 in Rom stand diese Frage auch auf der offiziellen kirchlichen Tagesordnung: Kann oder soll der Zölibat abgeschafft oder – wenigstens – gelockert werden? Den vielen Bischöfen, die für eine Lockerung gestimmt haben, ging es dabei vor allem darum, dass in den entlegensten Gebieten der Welt mehr Gemeinden als heute die Chance haben sollten, die Eucharistie zu feiern und damit das zu tun, was die Kirche im Innersten zusammenhält: das im Ritus des Abendmahls vollzogene Gedächtnis an den Tod und die Auferstehung Jesu Christi, der sich selbst für uns hingegeben hat, damit wir leben können.

 

Gründe für die Ehelosigkeit

Der Zölibat als Lebensform hat mehrere Quellen. Zunächst ist das Mönchtum zu nennen. Wo Menschen auf alle weltlichen Bindungen verzichten und sich unwiderruflich an eine Gemeinschaft Gleichgesinnter binden – einen Orden, ein Kloster – um gemeinsam Gott zu suchen und den Menschen zu dienen, dort ist kein Platz mehr für Ehe und Familie und für alles, was damit zusammenhängt, wie etwa die Sorge um ein sicheres Einkommen, um eigenen Nachwuchs, um Erhalt des überkommenen Erbes. Um eines höheren Zieles willen haben Menschen freiwillig eine solche Wahl getroffen, ohne dass damit Ehe und Familie abgewertet worden wären. Freilich gab es später auch die Fehlentwicklung, dass der Ordensstand als der „perfekte Lebensstand“ und das Leben in Ehe und Familie als ein „defizitärer Lebensstand“ der Christen betrachtet wurden. Dazu haben auch bestimmte philosophische Strömungen beigetragen, die grundsätzlich alles Körperliche – und damit auch alles Sexuelle – als negativ bewertet haben. Tatsächlich gibt es diese Vorstellung in einer ganzen Reihe von Religionen, dass Priester, die Kontakt mit dem Heiligen haben, sich zumindest im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang gottesdienstlicher Feiern aller sexuellen Handlungen enthalten sollten. Als Christen können wir heute, ausgehend vom 

biblischen Schöpfungsbericht, sagen: Auch die Körperlichkeit und die Sexualität des Menschen unterliegen dem positiven Urteil des Schöpfers „Es war sehr gut!“ (Gen 1, 31).

 

Zölibat als Pflicht

In der Zeit der Gregorianischen Reform des 11. und 12. Jahrhunderts wurde die ursprünglich monastische ehelose Lebensweise kirchenrechtlich verpflichtend auf alle Priester, auch auf die Diözesanpriester, ausgedehnt. Insbesondere reformorientierte Laien hatten sich dafür eingesetzt, denn sie hatten die Erfahrung gemacht, dass viele Priester mehr mit dem Geldverdienen und mit der finanziellen Versorgung und Absicherung der eigenen Kinder beschäftigt waren als mit der Seelsorge. Sie wollten Seelsorger und keine Geschäftsleute! Bischöfe und Papst sorgten sich darum, dass kircheneigenes Vermögen durch Vererbung in den Familien der Priester verlorengehen könnte: Was eigentlich der Kirche und somit allen zugutekommen sollte, wurde auf diesem Weg privatisiert.

 

Kirchliches Gebot

Die weitgehende Durchsetzung der Zölibatsverpflichtung hat viel Zeit in Anspruch genommen. Ob sie jemals vollständig erreicht wurde, lässt sich zurecht bezweifeln. Heute hält c. 277 § 1 CIC (= Codex Iuris Canonici; Gesetzbuch der lateinischen Kirche) unmissverständlich fest: „Die Kleriker sind gehalten, vollkommene und immerwährende Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen zu wahren; deshalb sind sie zum Zölibat verpflichtet, der eine besondere Gabe Gottes ist, durch welche die geistlichen Amtsträger leichter mit ungeteiltem Herzen Christus anhangen und sich freier dem Dienst an Gott und den Menschen widmen können.“ Auch wenn hier allgemein von „Klerikern“ die Rede ist, gilt diese Verpflichtung nur für die Priester; ständige Diakone – sie sind auch Kleriker – können nach einer Entscheidung des II. Vatikanischen Konzils (LG 29) verheiratet sein. Und damit allen klar ist, dass der kirchliche Gesetzgeber dieses Gebot ernst meint, sind mögliche Zölibatsverstöße als Straftaten gegen besondere Verpflichtungen mit entsprechenden Kirchenstrafen bedroht (vgl. etwa cc. 1394 § 1, 1395 §§ 1 und 2 CIC). Allerdings bleibt in der geltenden kirchlichen Rechtsordnung ganz klar: Die Verpflichtung der Priester zum Zölibat ist eine Vorschrift kirchlichen Rechts und nicht ein Gebot göttlichen Rechts – und damit kann diese Vorschrift grundsätzlich durch den Papst als den obersten kirchlichen Gesetzgeber verändert oder sogar aufgehoben werden.

 

Kein unbedingter Wesenszusammenhang

In diesem Zusammenhang ist es gut, an das II. Vatikanische Konzil zu erinnern. In seinem Dekret über Dienst und Leben der Priester hält das Konzil in Art. 16 fest: „Die Kirche hat die vollkommene und ständige Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen … in allen Jahrhunderten bis heute … besonders im Hinblick auf das priesterliche Leben immer hoch eingeschätzt. … Zwar ist sie nicht vom Wesen des Priestertums selbst gefordert, wie die Praxis der frühesten Kirche und die Tradition der Ostkirchen zeigt, wo es … auch hochverdiente Priester im Ehestand gibt. … Der Zölibat ist jedoch in vielfacher Hinsicht dem Priestertum angemessen.“

Das Konzil weist zum einen darauf hin, dass die Priester in der frühen Zeit der Kirche gewöhnlich verheiratet waren. Es verweist auf die Praxis der katholischen Ostkirchen, in denen die Priester gewöhnlich verheiratet sind, und bezeichnet diese als „hochverdiente Priester“. Der Zölibat hängt nicht mit dem Wesen des Priestertums zusammen, ist ihm aber in vielfacher Hinsicht angemessen. Diese „Angemessenheit“ wird manchmal im Sinne der völligen Verfügbarkeit gedeutet, manchmal wird auch argumentiert, der Pfarrer sei mit seiner Gemeinde „verheiratet“, was allerdings angesichts der Versetzbarkeit von Pfarrern ein absolut unangemessener Vergleich ist; zudem sind nicht alle Priester auch Pfarrer.

 

Benedikt versus Franziskus?

Papst Franziskus hat bislang noch nicht entschieden, wie er mit dem Vorschlag der Bischofssynode umgehen will, in manchen Gegenden der Kirche in Ehe und Familie bewährte Männer („viri probati“) zu Priestern weihen zu lassen. Allerdings hat sich sein Vorgänger, Benedikt XVI., Mitte Januar 2020 in einer überraschenden Weise zu Wort gemeldet: Er ist strikt gegen jede Änderung der Zölibatsverpflichtung. Sein Argument: „Da [...] der Dienst für den Herrn die völlige Hingabe eines Mannes erfordert, scheint es nicht möglich, diese zwei Berufungen [der Ehe und des Priestertums] gleichzeitig fortzuführen.“ Dieser Meinung kann ein 92-jähriger zölibatär lebender Priester wie Benedikt XVI. zwar sein, aber er steht damit zum einen im Widerspruch zum II. Vatikanischen Konzil, zum anderen äußert sich darin eine Geringschätzung der in den katholischen Ostkirchen üblichen priesterlichen Lebensform, außerdem wird auch die bewährte Praxis der lateinischen Kirche ignoriert, in Einzelfällen, etwa wenn es um konvertierte evangelische Pfarrer geht, von der Zölibatsverpflichtung zu befreien. Darüber hinaus verstößt Benedikt XVI. mit einer solchen Äußerung gegen das von ihm selbst bei seinem Rücktritt gegebene Versprechen, künftig im Verborgenen leben und sich nicht mehr öffentlich äußern zu wollen.

Für Franziskus ist damit die Entscheidung nicht leichter geworden. Er kann weitere Ausnahmen zulassen und bliebe damit trotz aller Neuerung in der Tradition der katholischen Kirche.

Zuletzt aktualisiert: 24. Februar 2020
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