Hoffnung gegen Terror und Hass

08. Juni 2020 | von

Unser Projekt zum 13. Juni will die Opfer der Attentate von Ostern 2019 in Sri Lanka unterstützen. Wir dürfen wegen des Notstands durch Covid-19 nicht vergessen, dass es auf der Welt noch viele andere Notsituationen gibt. Unsere Hilfe ist gefragt – mehr denn je.

Ein lauter Knall, wie ein Donnerschlag, plötzlich und heftig. Die Antoniusstatue explodiert in tausend Teile. Um sie herum Schreie, Splitter, Blutspritzer, und die toten Körper derjenigen, die innerhalb von Sekunden ihr Leben verloren haben. Wenn man die Zeit auch nur um eine Sekunde zurückdrehen könnte, würden wir eine feiernde Menschenmenge sehen, viele brennende Kerzen und ein Meer aus bunten Blumen. Es ist der 21. April 2019 und es ist Ostern. Die Kirche des heiligen Antonius im Stadtteil Kotahena, in Colombo, der Hauptstadt von Sri Lanka, ist voller Familien. Es ist das wichtigste Fest für die christliche Gemeinde. Der Tag, an dem man die Auferstehung Christi feiert, das Leben, das über den Tod siegt. Eine Sekunde später jedoch geschieht das Unfassbare: Ganze Familien werden ausgelöscht, unsägliches Leid bricht über viele herein.

Gegen den Hass
Aufgrund dieser Tragödie, die sich tausende Kilometer von uns entfernt ereignet hat, haben wir Brüder der Antonius-Basilika beschlossen, etwas zu tun, um den Menschen, die an den Folgen dieser Attentate leiden, zu helfen, aber auch um einen Beitrag zum Kampf gegen dieses Virus des Hasses zu leisten, der die Religionen zu Schlachtfeldern macht, für politische Ziele und Interessen missbraucht. Wir fühlen uns auch deshalb zur Hilfe berufen, weil es eine enge Verbindung gibt zwischen der Antonius-Basilika in Padua und der christlichen Gemeinde Sri Lankas in Italien. Seit Jahren schon pilgern die singalesischen Gemeinschaften aus ganz Italien am 1. Mai zum heiligen Antonius (dieses Jahr musste diese Wallfahrt wegen der Pandemie leider abgesagt werden), füllen seine Basilika mit Blumen und den leuchtenden Farben ihrer traditionellen Kleidung. Und diese Feier hat die Freundschaft zwischen den Brüdern und dem charismatischen Kardinal Albert Malcolm Ranjith, dem Metropol-Erzbischof von Colombo, begründet und immer weiter verstärkt. 

Besuch in Sri Lanka
Und deshalb sitze ich dann einige Monate nach dem von einer islamistischen Extremistengruppe verübten Attentat zusammen mit dem Rektor der Antonius-Basilika, Br. Oliviero Svanera, in einem Flugzeug nach Colombo. Von dem Attentat zerstört wurden drei Kirchen und einige Hotels, es gab 253 Tote und 500 Verletzte. Enorm sind die Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft: Viele Menschen haben ihre Häuser verloren, Kinder sind verwaist, es gibt viele Schwerstbehinderte, das gesamte soziale Geflecht wurde hart getroffen und braucht nun konkrete Zeichen der Hoffnung, um nicht den Provokationen des Fundamentalismus zu verfallen. Kardinal Ranjith hat schon versucht, die Wunden etwas zu mildern und hat seine Gemeinde auf jedem Schritt begleitet. Er wollte alle Geschichten erfahren, jeden Toten bestatten, die geschändeten Körper segnen. Er hat um die Opfer herum ein enges Netz von Beziehungen geknüpft. Nun wartet er auf unsere Unterstützung.
Monsignore Neville Joe Perera, der Referent des Kardinals, holt uns am Flughafen ab. Draußen ist es heiß und schwül. Die Tuk Tuks, die malerischen, typischen dreirädrigen Taxis, flitzen laut im Zickzack durch den chaotischen Verkehr. „Es gibt hier in der Stadt mehr als 200.000 davon, denn sie sind das Hauptfortbewegungsmittel der Menschen,” erklärt uns Neville. In Sri Lanka stirbt man nicht an Hunger, aber der Unterschied zwischen den wenigen Reichen und den vielen Armen ist unüberbrückbar.    

Ausgelöschtes Leben
Die wirkliche Reise beginnt am Tag nach unserer Anreise mit einer Tour, die an einen echten Kreuzweg erinnert. Neville bringt uns zur Kirche des heiligen Sebastian, wo es die meisten Opfer gegeben hat, 116 genau. Die Kirche wurde mittlerweile renoviert, aber hinter einem Glasschrein ist eine Statue des auferstandenen Christus, voller Blutspritzer. An den Wänden sieht man noch die Löcher, die die Bomben verursacht haben. Vor der Kirche erinnert ein Stein an das Grab von Christus, darauf stehen die Namen der Opfer. Nicht weit entfernt von dieser Kirche hat der Kardinal ein Grundstück gekauft, um die Opfer zu beerdigen. Ich gehe durch das Feld von Zementkreuzen, auf denen bunte Fotos der Verstorbenen angebracht sind. Väter und Mütter neben ihren Kindern. Susantha wartet an dem Grab seiner 34-jährigen Frau und seiner Kinder von 10, 14 und 17 Jahren auf mich. Plötzlich bekommen die Opfer aus den Statistiken ein Gesicht und eine Geschichte. Susantha erzählt: „Ich bin Taxifahrer. An jenem Tag habe ich gearbeitet, auch die ganze Nacht hindurch. Meine Frau ist mit unseren Kindern in die Ostermesse gegangen. Ich bin Diabetiker und habe wegen einer Insulinkrise früher Feierabend gemacht und wollte zu meiner Familie in die Kirche gehen. Unterwegs habe ich den Knall gehört und bin losgerannt in Richtung Kirche. Die Menschen waren panisch, irrten herum, niemand wusste, was er tun sollte. Ich bin in die Kirche gegangen, überall lagen Körper. Unter den Trümmern habe ich den Rock meiner Frau erkannt, ich hatte ihn ihr extra zu Ostern gekauft. Ich habe meine Töchter in den Arm genommen, aber sie waren tot. Meine Frau atmete allerdings noch, ich habe sie mit einem Tuk Tuk in das nächste Krankenhaus gebracht. Ich hatte die Kugel, die ihr den Kopf durchschossen hatte, gar nicht bemerkt. Sie hatte keine Chance.“ Nun ist Susantha alleine und ohne Wohnung, denn seine Schwiegermutter, der die Wohnung gehört, hat all ihren Schmerz über den Verlust ihrer Tochter und ihrer Enkelkinder auf ihn projiziert und will ihn nicht mehr sehen. Er lebt in seinem Taxi, neben dem Friedhof. 

Bilder der Erinnerung
Eine andere Geschichte, eine neue Etappe des Schmerzes. Frau Thilina Harshani, die einzige Überlebende ihrer Familie, war auch an jenem Morgen in der Kirche. „Ich habe die Explosion gar nicht gehört, ich fand mich auf einmal auf einer Kirchenbank liegend wieder. Anfangs habe ich gar nichts verstanden, ich dachte, ein Blitz hätte eingeschlagen. Ich habe alle verloren, meinen Mann und meine beiden Töchter, 14 und 16 Jahre alt.“ Thilina war Buddhistin, aber seit sie sich zum Katholizismus bekehrt hat, geht sie oft und gerne in die Kirche: „Die Eucharistie gibt mir die Kraft, weiter zu leben und auch weiter zu lieben.“ Ihre Wohnung ist karg eingerichtet. Es gibt nur ein paar Stühle. In einer Ecke auf dem Boden fallen ein paar vergrößerte Fotografien ins Auge, darüber ein kleiner Hausaltar mit verschiedenen Heiligenbildern. Auf den Fotos sieht man sie und ihren Mann, dann sie mit den Töchtern, auf einem sind sie alle vier zusammen, als die Mädchen noch klein waren. Das ist alles, was ihr von ihrem Leben übrig geblieben ist. Thilina kam erst nach der Beerdigung ihrer Lieben aus dem Krankenhaus. Sie hatte eine schwere Verletzung am Kopf. „Die Kirche war mir sehr nah: Gott hat mir alles genommen, Gott hat mir aber auch gegeben.“ 
Auch von einer anderen Frau, der ich bei einem Besuch im Krankenhaus begegne, bin ich beeindruckt. Die Bombe hat ihr das Rückgrat zerfetzt. Dank der Hilfe der Kirchengemeinde wird sie Tag und Nacht betreut. Sie empfängt uns mit einem Lächeln, sie erzählt uns von ihrem Wunsch, nach Hause zurückzukehren, zu ihrem Mann und ihren Kindern. Sie träumt von einem Anschein normalen Lebens. Aber wie kann man ihr helfen, in ihrem Zustand einen solchen Traum zu verwirklichen? Man bräuchte Hilfsmittel, strukturelle Veränderungen bei ihr zuhause, Betreuung. Sieben Monate sind seit dem Attentat vergangen, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit ist längst auf anderes gerichtet, und dennoch sind die Wunden noch frisch. Was jedoch können wir tun, um bei der Heilung zu helfen? 

Der heilige Antonius der Menschen aus Sri Lanka 
Auf unserer Reise gibt es auch Überraschungen. An einem Dienstag besuchen wir die Kirche des hl. Antonius, in der 55 Menschen gestorben sind. Ich hatte schon viel von der Verehrung der Menschen aus Sri Lanka für den heiligen Antonius gehört, aber das, was ich hier sehe, übersteigt jegliche Erwartungen. Der Kleinbus, der uns zum Heiligtum bringt, kommt nur mit Mühe durch die Menschenmenge, die sich vor dem Eingang gesammelt hat. Hier ist ein Kontrollpunkt eingerichtet mit einem Metalldetektor. Wir passieren die Kontrolle und betreten die Kirche. Monsignore Neville stellt uns dem Rektor des Heiligtums vor, der uns zu der Stelle führt, an der die Bombe explodiert ist. Wir bahnen uns einen Weg durch die Menschenmasse, um den Innenraum der Kirche zu betreten, ein mehrschiffiger Bau, der auf mehreren Säulen ruht. Der Rektor erklärt uns, dass an jenem 21. April die Zahl der Opfer noch viel größer hätte sein können, wenn man bedenkt, wie viele Menschen immer in das Heiligtum kommen. „Der Attentäter,” so erklärt er uns, „wurde aber von den vielen Menschen zwischen den Säulen am Seiteneingang eingeklemmt, damit hatte er wohl nicht gerechnet. Deshalb haben die Säulen, als er sich in die Luft jagte, einen Großteil der Gläubigen geschützt, trotz der tödlichen Kraft der Bombe, die er in seinem Rucksack hatte.“ 
Kurz darauf treffe ich einige Überlebende, die sich in einem kleinen Raum versammelt haben. Jemand zeigt mir, wo sein Bein amputiert wurde, ein anderer weist mich auf die Verbrennungen hin. Ein achtjähriger Junge zieht sein T-Shirt hoch: Er hat eine tiefe Wunde am Bauch. Sie erzählen mir von ihrem Leben, von ihren Hoffnungen, von ihrer Verehrung des heiligen Antonius. Sie haben großes Vertrauen, dass die christliche Gemeinschaft ihnen einen neue Chance gibt. Am Ende der heiligen Messe, die der Kardinal gefeiert hat, kommen die Menschen auf uns zu und lassen sich segnen. 

Puzzleteile der Hoffnung
Endlich kann ich mit Kardinal Ranjith sprechen. Für unsere deutschsprachigen Leserinnen und Leser dürfte interessant sein, dass er fließend Deutsch spricht und als Kaplan mehrfach für Urlaubsvertretungen in Deutschland war. Er erklärt mir, dass die tiefe Spiritualität seines Volkes auf den Buddhismus zurückzuführen ist, der die Hauptreligion des Landes (70%) darstellt – eine Spiritualität, die auch auf das Christentum einwirkt. 
Mir wird bewusst, dass der Kardinal, obwohl die Christen hier eine Minderheit sind (7,4%), eine wahre Größe im sozialen und politischen Lebens des Landes ist. Eine Autorität, die er sich verdient hat, weil er die örtlichen Traditionen respektiert, das Evangelium authentisch lebt, und wegen seines großes Einsatzes für die Armen. Ich frage ihn, wie wir helfen können. Er schlägt uns einige Projekte vor: den Bau kleiner Wohnungen, die Unterstützung der Armenspeisung, die Finanzierung von Prothesen und die Ermöglichung des Schulbesuchs von verwaisten oder bettelarmen Kindern. Es sind kleine Bausteine, die sich in ein bereits begonnenes Puzzel der Solidarität und der Hoffnung einfügen.  
Und so stelle ich mir den heiligen Antonius vor, der bei dem Attentat explodiert ist, und der nun durch die Solidarität von uns, Ihnen und vielen anderen wieder zusammengesetzt wird: Ich träume von einem Osterfest, das wieder seine ursprüngliche Bedeutung bekommt. Am Ende wird doch das Leben über den Tod siegen. Und der Frieden über den Krieg. 

Das Projekt in Zahlen 
Kleine Wohnungen für 24 Familien                        € 345.700,00

Prothesen und andere Hilfsmittel für Behinderte    € 50.000,00

Schulstipendien für 27 Schüler                               € 22.100,00

Küchenutensilien für die Armenmensa                   € 12.220,00

Gesamt                                                                  € 430.020,00

Zuletzt aktualisiert: 08. Juni 2020
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