Lieber Br. Antonius (11)
Unsere Briefserie geht mit dieser Ausgabe zu Ende. In den vergangenen Monaten haben wir den heiligen Antonius auf seiner Lebensreise begleitet: Aus dem Augustiner-Chorherren wurde einer der berühmtesten Brüder in der Geschichte des Franziskus-Ordens.
Das ganze Jahr über haben dich meine Briefe begleitet. Wohl weniger für dich, den Adressaten, als vielmehr mich, den Schreiber dieser Zeilen, habe ich deinen Weg nachgezeichnet – den Weg, den du gegangen bist, nachdem du dich 1220 noch einmal neu aufgemacht hast: Vom Augustiner-Chorherren zum franziskanischen Minderbruder. Elf Jahre – etwa ein Drittel deiner Lebenszeit – wirst du in unserer Gemeinschaft verbringen. Aber diese Zeit ist gefüllt mit viel Leben! Das wird mir schon allein an den räumlichen Entfernungen bewusst, die du im Lauf dieser Zeit zurücklegst: Von Coimbra nach Marokko, von dort – ungewollt – nach Sizilien, dann über Assisi nach Montepaolo. Es folgen Stationen in Südfrankreich und Norditalien, bis du schließlich in Padua ankommst, der Stadt, die dann gewissermaßen zu deinem Nachnamen wird.
Mein letzter Brief hat dich wohl in einer Phase großer Erschöpfung erreicht. Hinter dir lag die anstrengende Predigtphase der Fastenzeit des Jahres 1221 und du ziehst dich schließlich nach Camposampiero zurück. In einem Nussbaum wird dir eine Zelle eingerichtet. Du darfst ausruhen. Und es hoffen sicherlich alle, dass du bald wieder zu Kräften kommst, um nach Padua zurückzukehren und das begonnene Werk fortzuführen.
Allein: Schon dein Biograf, der Verfasser der Assidua, berichtet, wie du noch in Camposampiero dein bevorstehendes Lebensende prophezeist. Es würde nicht mehr lange dauern... Und dann, so der Biograf im Original: „Eines Tages, etwa zur Essenszeit, als er nach dem Ruf der Glocke von der Zelle herunter gekommen war, die man ihm auf dem Nussbaum eingerichtet hatte, setzte er sich wie üblich zu den anderen Brüdern an den Tisch. Da legte sich die Hand des Herrn auf ihn und plötzlich verließen ihn alle Kräfte. Als sich diese Krankheit nach und nach verschlimmerte, erhob sich der Heilige mit Hilfe der Brüder vom Tisch. Es gelang ihm aber nicht, den erschlafften Körper aufrecht zu halten und er brach auf einer Pritsche zusammen.“ Ein Schwächeanfall? Irgendeine Art von Infarkt? Mit meinem medizinischen Laienwissen kann ich da nur spekulieren. Du jedoch scheinst sofort zu begreifen, was Sache ist. Dein Biograf berichtet nämlich weiter: „Als Antonius, der Diener Gottes, spürte, dass sich das Ende seines Körpers näherte, da rief er Rüdiger, einen seinen Brüder und Gefährten, zu sich und sagte: ‚Bruder, wenn du einverstanden bist, dann möchte ich nach Padua gehen, an den Ort der heiligen Maria, um den Brüdern hier nicht weiter zur Last zu fallen.‘“
Mich erinnert das an eine Beerdigung, die ich vor einiger Zeit halten durfte. Nach langer Krankheit hatte eine Frau ihren Ehemann verloren. Jahrelang war er von ihr zu Hause gepflegt worden. Er wollte ganz und gar nicht ins Altenheim und irgendwie hat es – mit großem Einsatz von Ehefrau und Pflegedienst – auch zu Hause funktioniert. Kurz vor seinem Tod hat er dann zu seiner Frau gesagt, dass er jetzt ins Krankenhaus möchte und dort ist er schließlich nach wenigen Tagen verstorben. Die Interpretation der Frau: „Mein Mann wusste: Wenn er hier zu Hause stirbt, in unserem gemeinsamen Schlafzimmer, dann werde ich immer Angst haben, diesen Raum zu betreten. Ich habe es ihm jahrelang ermöglicht, hier zu bleiben – aber bei seinem Sterben, da hat er nun wirklich auf mich Rücksicht genommen.“ Diese Geschichte hat mich beeindruckt.
Dein Motiv, nach Padua zurückzukehren, ist nun sicher ein anderes. Da geht es dir wohl eher darum, den wenigen Brüdern im beschaulichen Camposampiero nicht zur Last zu fallen. Und so wird dann schließlich auch dein Krankentransport in die Wege geleitet. Noch einmal die Assidua: „Rüdiger ließ sich davon überzeugen. Und nachdem man einen Karren angespannt hatte, wurde der heilige Pater darauf gelegt, auch wenn sich andere Brüder allzu sehr dagegen wehrten, ihn anderswohin bringen zu lassen. Da sie aber sahen, dass dies der Wunsch des seligen Antonius war, gaben sie schließlich nach, wenn auch nur ungern.“
Wie so oft im Leben scheint sich aber auch hier die alte Weisheit „Der Mensch denkt und Gott lenkt!“ wieder einmal zu bewahrheiten. Unterwegs stoßt ihr auf Bruder Vinoto, der sich offensichtlich in medizinischen Dingen ein wenig auskennt. Jedenfalls veranlasst er eine Unterbrechung des Transport: „Als er die Schwere seiner Krankheit sah, bat er ihn, doch vom geplanten Weg abzuweichen und in das Haus der Brüder in Arcella zu gehen. In der Tat lebten dort einige Brüder beim Kloster der armen Frauen, um diese gemäß den Gewohnheiten des Ordens geistlich zu begleiten. Jener Bruder fügte hinzu, dass wohl ein großer Tumult und eine nicht kleine Verwirrung im Franziskanerkloster entstehen würde, besonders weil Antonius beim Betreten der Stadt dem lästigen Herbeieilen der Leute ausgesetzt sei. Als er diese Gründe hörte, willigte der Diener Gottes, Antonius, den Vorschlägen des Bittenden ein und bog, dessen Willen also folgend, nach Arcella ab.“
Es fasziniert mich: Immer wieder tauchen Gründe und Argumente auf. Man verhandelt. Man einigt sich. Und es scheint dir, Antonius, viel daran zu liegen, niemandem überfordernd zur Last zu sein, und auch kein allzu großes Aufheben um deine Person zu produzieren.
Und auch wenn der Ton deines Biografen nun noch einmal pathetischer wird und fürs Sterben vielleicht ein klein wenig zu feierlich, jedenfalls für meine Vorstellung, so soll er dennoch abschließend noch einmal ausführlich das Wort bekommen, wenn er deine letzten Augenblicke hier auf Erden beschreibt: „Als er sich dann dort bei den Brüdern befand, wurde die Hand des Herrn auf ihm immer schwerer. Und als sich das Leiden mächtig verschlimmerte, löste das eine große Angst aus. Nach kurzem Ruhen und nachdem er gebeichtet und die Lossprechung erhalten hatte, begann er, das Loblied der glorreichen Jungfrau zu singen: Du glorreiche Jungfrau,... Wie er damit fertig war, hob er plötzlich die Augen zum Himmel empor und mit einem ekstatischen Blick schaute er lange vor sich hin. Als der Bruder, der ihn stützte, fragte, was er denn sehen würde, da antwortete er: ‚Ich sehe meinen Herrn.‘ Die anwesenden Brüder, die spürten, dass sich sein seliger Hinübergang näherte, beschlossen, dem Heiligen die Krankensalbung zu spenden. Als der Bruder, der wie üblich das heilige Öl trug, sich ihm näherte, schaute ihn der selige Antonius an und sprach: ‚Es ist nicht nötig, Bruder, dass du mir das tust; ich habe nämlich diese Ölung schon in mir. Und dennoch ist es eine gute Sache und sie gefällt mir sehr.‘ Er streckte die Hände aus und legte dann die Handflächen aufeinander und sang gemeinsam mit den Brüdern die Bußpsalmen. So hielt er noch etwa eine halbe Stunde durch, bis schließlich die heilige Seele, befreit vom Gefängnis des Fleisches, in die Unermesslichkeit des Lichtes aufgenommen wurde.
Sein Körper sah so aus, als ob er schlief. Seine Hände, die ganz weiß geworden waren, überragten die Schönheit der vorherigen Farbe. Und die anderen Glieder seines Körpers waren frei von jeder Totenstarre und konnten ganz frei bewegt werden, wenn man sie berührte.“
Auch wenn dein Sterben durchaus etwas „unnatürlich“ erscheint, vielleicht schon ein wenig verklärt als Sterben eines (künftigen) Heiligen geschildert: Deine irdische Lebensreise ist nun zu Ende. Wir schreiben den 13. Juni 1231 – ein Datum, das nun Jahr für Jahr zeigt, wie lebendig du aber tatsächlich noch quasi mitten unter uns bist. Unzählige Menschen auf der ganzen Welt verehren dich als großen Helfer in der Not. Und wenn ich dein Leben betrachte, dann staune ich über deine Schaffenskraft ebenso wie über deine Menschlichkeit. Und so wirst du als Heiliger nicht nur Fürsprecher sein, sondern wirklich auch Vorbild.
Dankbar grüße ich dich, lieber Antonius!
Impuls für meinen eigenen Weg:
Nehme ich in meinem Leben wahr, wo Kräfte schwinden, wo es Zeit wäre, Abschied zu nehmen, loszulassen? Woran hänge ich – und wo täte es mir (und anderen) gut, wenn ich mich davon befreien könnte? Wer sind die Menschen, die mich in schweren Zeiten tragen? Wem bin ich dankbar?