Ja und Amen?!
Wie wichtig Sprachkenntnisse sind, macht ein Blick in die franziskanische Geschichte des Jahres 1219 deutlich. Damals unternehmen die Minderbrüder ihren ersten Versuch, in Deutschland Fuß zu fassen.
Wer verstehen möchte, wieso Franziskaner seit nunmehr 800 Jahren in Deutschland leben und wirken, muss nicht nur sehr weit bis zu den ersten Anfängen der Gemeinschaft zurückblicken, sondern zugleich auch tief in ihr Wesen hineinschauen.
Ganz anders als die zu Lebzeiten des Franziskus vorherrschenden Orden, die zu einem großen Teil der Regel des heiligen Benedikt von Nursia folgten, suchte der Heilige aus Assisi nicht hinter schützenden Klostermauern sein persönliches Heil allein durch Gebet und Gottesdienst. Vielmehr verknüpfte Franziskus sein eigenes Heil mit dem aller Menschen und erkannte seine Aufgabe in der Verkündigung der Frohen Botschaft in der Nachfolge Jesu. Um grundsätzlich alle Menschen zu erreichen, fingen Franziskus und seine Gefährten anfänglich zumeist in Zweiergruppen an, die Gegenden Umbriens und der Toskana zu durchwandern und auf den Plätzen der Städte den Menschen zu predigen. Sie sprachen nicht nur einprägsam und unkompliziert vom Evangelium, sie lebten es auch in Einfachheit und Demut vor. Einer, der schon ganz früh auf die unorthodoxen Wanderprediger aufmerksam wurde, war Jakob von Vitry, ein Priester, der als Bischof und Kardinal Karriere machte, aber mit dem Zustand der Kirche haderte und zeitlebens für neue Formen und Strömungen in der Glaubenswelt der Kirche ein offenes Auge hatte. Jakob lernte die neue Gemeinschaft um Franziskus 1216 kennen, als er sich an der päpstlichen Kurie in Perugia, also in der Nachbarstadt Assisis, aufhielt. In einem Brief zeigte er sich beeindruckt von ihrem Auftreten: „Sie haben mit der Gnade Gottes schon Viele für Christus gewonnen und ihr Bemühen bringt bereits reiche Frucht nach dem Grundsatz: Wer hört, sagt weiter: komm, und du wirst mit eigenen Augen sehen“.
Mehr Brüder, weitere Wege
Drei Jahre später, im Jahr 1219, ist der Kreis um Franziskus so groß geworden, dass auch die Entfernungen ihrer Wanderrouten größer werden konnten. Die Bruderschaft um Franziskus hatte vereinbart, dass sich alle Brüder einmal im Jahr in Assisi, genauer bei dem Kirchlein St. Maria von Portiunkula unterhalb der Stadt, trafen, um untereinander Erfahrungen auszutauschen, die neuen Brüder kennenzulernen, gemeinsam zu beten und Messe zu feiern sowie über ihre Belange zu beraten und zu entscheiden. Sie nannten ihre Treffen „Kapitel“, die bis heute in den franziskanischen Orden die wichtigsten Entscheidungsträger geblieben sind.
Nach dem Kapitel machten sich die meisten Brüder wieder auf den Weg in Gegenden, die sie vorher zu neuen Zielen erklärt hatten. Auf diese Weise rückte auch Deutschland erstmals in den Fokus, wie wir aus der Chronik des Franziskaners Jordan von Giano wissen: „Im Jahr des Herrn 1219 ... schickte Franziskus auf dem Kapitel ... Brüder nach Frankreich, nach Deutschland, nach Ungarn, nach Spanien und in die übrigen Provinzen Italiens, in die die Brüder noch nicht gekommen waren.“
Ein Ja und seine Folgen
Und weiter schreibt Jordan in seiner Chronik, der für uns wichtigsten und bei weitem ausführlichsten Quelle, die wir über die Anfänge der Brüder in Deutschland besitzen: „Nach Deutschland jedoch wurde Bruder Johannes von Penna mit etwa 60 oder mehr Brüdern geschickt. Als sie ohne Kenntnis der deutschen Sprache in Gebiete Deutschlands kamen und man sie fragte, ob sie Herberge, Essen oder sonstwas wünschten, antworteten sie mit „Ja“. Und so nahmen einige sie gütig auf. Da sie nun merkten, dass man sie wegen dieses Wortes „Ja“ menschenfreundlich behandelte, beschlossen sie, auf alle Fragen mit „Ja“ zu antworten. Auf die Frage, ob sie Häretiker seien und ob sie kämen, um Deutschland anzustecken, wie sie die Lombardei ins Verderben geführt hätten, geschah es daher, dass sie ebenfalls mit „Ja“ antworteten. So wurden einige verprügelt, einige eingekerkert, andere ausgezogen und nackt zum Tanzen gebracht, um den Leuten als belustigendes Schauspiel zu dienen. Da nun die Brüder sahen, dass sie in Deutschland nicht fruchtbar wirken könnten, kehrten sie nach Italien zurück. Nach diesem Geschehen hielten die Brüder Deutschland für so grausam, dass sie dorthin nur im Verlangen nach dem Martyrium zurückzukehren wagten.“
Überzeugt, aber unorganisiert
Wie auch immer die Schilderungen des Bruders Jordan historisch, also geschichtlich-real, zu bewerten sind – fest steht, dass die Brüder, genauso wie die nach Ungarn ausgesandten, mit ihrer Mission binnen kurzer Zeit gescheitert waren. Aus unserer heutigen Sicht- und Verhaltensweise erscheint der erste Versuch der Franziskaner reichlich naiv: völlig unvorbereitet einfach über die Alpen zu gehen und ohne Kenntnis der Sprache in einem fremden Land mit ungewohnter Kultur die christliche Botschaft zu predigen und zu leben. Gleichwohl muss man aber auch mit Respekt feststellen, dass ihr Unternehmen nicht aus Mangel an Überzeugung fehlgeschlagen ist: in der Ferne nach Begegnung mit den Fremden zu suchen und ihnen das Evangelium Jesu Christi vom Reich Gottes nahe zu bringen. Jakob von Vitry, dem genauen Beobachter der ersten Generation, ist genau das aufgefallen: Einerseits bewundert er den außerordentlichen Eifer des Franziskus und seiner Gefährten für den Glauben, andererseits entgeht dem in der Hierarchie und Ordnung der Kirche verankerten Prälaten nicht das wenig organisierte und unbekümmerte Agieren der Brüder, wie er durchaus auch kritisch anmerkte. Die Brüder lernten indes aus ihren Fehlern und gingen dennoch weiter ihren Weg – auch nach Deutschland.