Nationalheiligtum Mariazell

21. Februar 2022 | von

Knapp über 200 religiöse Stätten zieren sich weltweit mit dem von den jeweiligen Bischofskonferenzen verliehenen Titel „Nationalheiligtum“. Im deutschen Sprachraum gibt es nur einen offiziell entsprechend ausgezeichneten Wallfahrtsort: Mit dem österreichischen Mariazell beginnt unsere Reihe zu bedeutenden Wallfahrtsorten in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Es sind gut zwei Autostunden, die das Stift St. Lambrecht im österreichischen Bundesland Steiermark und die Basilika Mariazell voneinander trennen. Dennoch wird die Wallfahrt von den Benediktinern des Stifts betreut, was beim Blick in die Geschichte aber nicht weiter verwundert. Denn um das Jahr 1100 herum erhalten die Mönche von St. Lambrecht, einem 1076 gegründeten Benediktinerkonvent, das Gebiet um Mariazell als Stiftung. Dort wird bald eine kleine Niederlassung eröffnet, um die Bewohner der Gegend zu missionieren und seelsorglich zu betreuen.

Freilich kommt Mariazell nicht ohne eine Gründungslegende aus. Sie berichtet: „Abt Otker vom Benediktinerkloster St. Lambrecht sandte im Jahre 1157 einen Mönch namens Magnus in die Mariazeller Gegend, die zum Besitz des Klosters gehörte. Jener Mönch sollte die Seelsorge der dort lebenden Menschen übernehmen. Mit Erlaubnis des Abtes durfte er seine aus Lindenholz geschnitzte Marienstatue auf die weite Reise mitnehmen. Am Abend des 21. Dezember versperrte ihm nahe des Zieles ein Felsblock den Weg. Magnus wandte sich Hilfe suchend an die Muttergottes, worauf sich der Felsen spaltete und den Weg freigab. Am Ziel angekommen, stellte der Mönch die Statue auf einen Baumstrunk und begann, eine ‚Zelle‘ zu bauen, die als Kapelle und gleichzeitig als Unterkunft für ihn selbst diente. Maria in der Zelle gab dem Ort seinen Namen.“

Ablass, Wunder und Pilgerströme

Wer jedoch detaillierte Kenntnis über die Wallfahrtsgeschichte erhalten möchte, muss sich bescheiden. Der 1961 verstorbene P. Othmar Wonisch, Historiker und Archivar des Stifts St. Lambrecht, schreibt in seiner „Geschichte von Mariazell“: „Die meisten Wallfahrer möchten es wissen, wie Mariazell seinen Anfang genommen hat und zu einem Wallfahrtsort wurde. Der Verfasser dieses Büchleins würde es auch ganz gerne sagen, wenn er es selber wüsste.“ Bei allen historischen Unsicherheiten scheint eine weitere wichtige Etappe die Gicht-Erkrankung von Markgraf Heinrich von Mähren und seiner Gattin gewesen zu sein. Sie wurden aufgefordert, ihr ganzes Vertrauen in die Gottesmutter zu setzen – und nach der wundersamen Gesundung pilgerten sie nach Mariazell, um einen Kirchenbau zu initiieren. Nicht unwichtig dürften auch die Bemühungen des Klosters St. Lambrecht im 14. Jahrhundert gewesen sein. In dieser Zeit kommt der Wallfahrtsbetrieb zum Erlahmen, doch es gelingt, ihn mit einem 40-tägigen Ablass neu zu beleben. Der am 15. Mai 1330 ausgestellte Ablassbrief des Salzburger Erzbischofs gewährte „allen, welche in wahrhafter Buße gebeichtet haben und zum Lobe und zur Verherrlichung der glorreichen Jungfrau und Gottesgebärerin Maria bei Gelegenheit der Mühen einer andächtigen Wallfahrt die Kirche derselben heiligen Maria zu Zell zu welcher Zeit immer besuchen, einen Nachlass von 40 Tagen der ihnen auferlegten Buße“. Der Ablass weckt in den Gläubigen nicht nur die „spirituell-religiöse Leistungsbereitschaft“, sondern trägt auch zu immer größeren finanziellen Einnahmen bei. Kirchenausstattung und Infrastruktur können verbessert und immer weiter ausgebaut werden, nicht zuletzt auch mit dem Bau der Gnadenkapelle durch den Ungarnkönig Ludwig I. im Jahr 1369 nach seinem Sieg über die Türken/Bulgaren.

Bald ist Mariazell so bekannt, dass selbst weltliche Gerichte als Strafe eine „Zellfahrt“ verhängen. Sorgfältig werden Wunderberichte in Mirakelbüchern gesammelt – und Mariazell etabliert sich als das österreichische Reichsheiligtum. Der Historiker Walter Brunner hält sogar fest: „Um 1500 war Mariazells Ruf als marianische Wallfahrtsstätte in ganz Mitteleuropa verbreitet, ein reiches Wallfahrtsleben hatte sich entwickelt.“

Zuflucht bei der Gottesmutter

Dieses kommt – nach einem starken Abbruch durch die Reformation und einer anschließenden Erholung in der Zeit der katholischen Reform – ab dem Jahr 1783 erneut zum Erliegen: Kaiser Joseph II. löst die bestehenden Bruderschaften auf und verbietet fünf Jahre später die Wallfahrt sogar völlig. In seiner Religionspolitik haben „volkswirtschaftlich unproduktive Orden“ (ohne Schule oder soziale Aktivität) keinen Platz. Doch dauerhaft kommen selbst kaiserliche Verbote gegen die Volksfrömmigkeit nicht an. Als die Beschränkungen zurückgenommen werden, setzen die Pilgerströme bald wieder ein. Heute pilgern – wenn Coronamaßnahmen keine Einschränkungen nötig machen – Jahr für Jahr etwa eine Million Pilger nach Mariazell und machen das Gnadenbild „Magna Mater Austriae“ damit zum beliebtesten Wallfahrtsort der Alpenrepublik.

Eigentliches Ziel der Betenden ist die Gnadenkapelle, die sich innerhalb der Basilika am Ort der ursprünglichen benediktinischen „Zelle“ befindet. In ihr wird das spätromanische Gnadenbild, auch als „Glockenmadonna“ bezeichnet, aufbewahrt. Der knapp 50 Zentimeter großen Figur vertrauen die Gläubigen ihre Sorgen und Nöte an, erbitten die Erhörung ihrer Anliegen und hoffen, durch Maria Christus näher zu kommen. Das Gnadenbild wird übrigens Jahr für Jahr neu eingekleidet. Über 150 Marienkleider sind mittlerweile in der Schatzkammer zu bestaunen.

Zuletzt aktualisiert: 01. März 2022
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