Ein franziskanischer Weg gegen den Krieg - Projekt 13. Juni
Von der Ukraine ist, ausgehend von den franziskanischen Konventen und Pfarrgemeinden, ein Netz der Solidarität mit der ganzen Welt entstanden, das Tausenden von Kriegsflüchtlingen hilft. Eine unmittelbare und konkrete Aktion, an der jede und jeder von Ihnen teilnehmen kann – dazu laden wir Sie ein, denn wir sind davon überzeugt, dass die Grenzen der Kriege nicht die Grenzen der Menschlichkeit sind und erst recht nicht für die Heiligen Franziskus und Antonius.
Bei dem Krieg in der Ukraine, den vor ein paar Monaten niemand für möglich gehalten hätte, besteht die größte Herausforderung, auch für die Caritas Antoniana, darin, die Gebete für den Frieden mit dem größtmöglichen Einsatz für die Menschen in der Ukraine und diejenigen, die aufgrund des Krieges ihr Land verlassen müssen, zu verbinden. Eine enorme Aufgabe, die – ausgehend von den fünf Konventen in der Ukraine und den 27 Klöstern in den angrenzenden Ländern, allen voran Polen – seit Kriegsbeginn von einem Großteil der weltweit verbreiteten Minoritenklöster und -pfarreien gestemmt wird. Eine Welle der Solidarität, die heute die Ukraine mit jedem Land Europas und der Welt verbindet, ein franziskanisches Netz aus Dutzenden Brüdern und Hunderten Freiwilligen, die jeden Tag im Einsatz sind, um Aufnahme, Nahrung, Medikamente, aber auch spirituelle und psychologische Begleitung und ein Mindestmaß an schulischer Förderung für die Kleinsten zu bieten. Die Konvente, die den Kriegsgebieten am nächsten liegen, nehmen Flüchtlinge auf ihrem Weg in andere Länder auf, die Klöster in der Ukraine selbst kümmern sich um die hilfsbedürftigen Kranken und Alten, die nicht aus ihrem Land fliehen wollen oder können. Jeden Tag können die ukrainischen Brüder mit der Hilfe von 37 Freiwilligen 130 Vertriebene kurzfristig aufnehmen und mindestens weiteren 100 Menschen eine warme Mahlzeit bieten.
Gewalt darf nicht siegen!
Von den weiter entfernten Konventen kommen materielle Hilfen, vor allem auch Geld, um die Hilfe auch langfristig garantieren zu können, egal, wie dieser Krieg enden wird. Es ist wirklich beeindruckend, wie gut die Zusammenarbeit mit anderen Ordensgemeinschaften, mit Laien-Organisationen, den örtlichen Behörden und auch Vertretern anderer Religionen funktioniert. Bruder Valerio Folli, der Verantwortliche der Caritas Antoniana in Padua, ist überzeugt: „Wenn der Frieden zerstört wurde, müssen wir, um ihn wieder in unser Leben zu bringen, versuchen, gemeinsam mit allen Frauen und Männern, die guten Willens sind, das Unmenschliche wieder menschlich zu machen. Wir dürfen der Gewalt nicht das letzte Wort lassen. Deshalb wird unser Engagement, zusätzlich zu der kontinuierlichen Hilfe in 34 Ländern, nun hauptsächlich den Flüchtlingen aus der Ukraine und dem langfristigen Wiederaufbau ihres Lebens gelten.“
Teure Freiheit, große Sorgen
Br. Nicola Orach, Pfarrer der Antonius-Gemeinde von Lwiw, ist der Verantwortliche für die Hilfsaktionen in der Ukraine. Sofort nach Kriegsbeginn hat er seinen Konvent zu einem Flüchtlingslager umfunktioniert, wo die Menschen, die in andere europäische Länder fliehen, Aufnahme finden. Die Grenze zu Polen ist gerade einmal 70 Kilometer entfernt. In seiner Stimme klingen Müdigkeit und Sorge an, aber auch Festigkeit und Stärke: „Der Krieg herrscht eigentlich schon seit 2014, aber ich hätte niemals gedacht, dass die Situation so eskalieren würde. Es ist wirklich schwierig, bei Bombenalarm von Frieden zu sprechen, angesichts des großen Risikos, wie in der Vergangenheit Sklaven eines Regimes zu werden, das uns er-drücken will. Wir haben keine Alternative zu einem Sieg, auch wenn uns unsere Freiheit teuer zu stehen kommen wird.“
Das Leid und die Angst stehen den Gemeindemitgliedern und den Flüchtlingen, die hier vorbeikommen, ins Gesicht geschrieben. „Es ist schwierig, ihnen in die Augen zu schauen. Mehr noch als Franziskaner bin ich ein Mann, der sich Sorgen macht um seine Leute und seine Heimat. Ich sehe meinen franziskanischen Auftrag aktuell darin, diesen verstörten Menschen nahe zu sein, ihnen Hoffnung zu geben. Wenn wir es schaffen wollen, muss jede und jeder von uns seinen Teil dazu beitragen. Wir dürfen uns nicht dem Chaos und der Angst ergeben!“
Zwischen Sicherheit und Risiko
Die etwa 15 Brüder in der Ukraine verteilen sich auf fünf Konvente, drei im Nord-Westen, Lwiw, Mackivci und Bilschiwzi, und zwei links des Flusses Dnjepr, einer in Boryspil, 30 Kilometer südlich von Kiew, und einer im Landesinneren, in Kremenchuk. In diesen beiden, die sich im Kriegsgebiet befinden, ist jeweils nur ein Bruder geblieben. „Wir haben die älteren Brüder und die aus Polen, die als Bürger der Europäischen Union ein größeres Risiko eingehen, in den Osten versetzt.“ In der Ukraine gibt es nur wenige Katholiken, und die Pfarreien der Franziskaner zählen 100, höchstens 300 Gläubige. „Die Gemeinden sind wie große Familien, jeder kennt sich. Wir können diese Menschen gerade jetzt nicht alleine lassen. Die Menschen, die hiergeblieben sind, sind völlig verängstigt und meist mittellos. Ein paar Ältere essen und schlafen im Konvent. Während der Fliegeralarme kommen viele Gemeindemitglieder in unsere Keller, weil sie meinen, dass sie sich bei uns sicher fühlen.“
Trotz der vielen Schwierigkeiten brechen die Brüder aus Lwiw, einer relativ ruhigen Stadt, die zu einem Knotenpunkt für die Verteilung von Hilfsgütern aus ganz Europa und vor allem aus Polen geworden ist, mit vollgeladenen Kleintransportern auf in Richtung Boryspil und Kremenchuk, auch in den heftigsten Phasen des Konflikts. Manchmal gelingt es ihnen auch, dank der Verbindungen zu den örtlichen Gemeinden, Hilfsgüter bis nach Odessa zu bringen, auch wenn sie dort selbst keine Konvente haben.
Starke Emotionen
Die drei Konvente im Osten und vor allem der von Br. Nicola Orach sind zu echten Anlaufstellen für Flüchtlinge geworden: „Sie bleiben eine, höchstens zwei Nächte bei uns, um sich etwas auszuruhen vor ihrer Weiterreise nach Europa. Wir geben ihnen Mahlzeiten, sie können duschen, sich umziehen und bekommen wenn nötig auch Medikamente.” In den Konventen spielen sich wahre Familientragödien ab: „Ich sehe, wie Männer ihre Frauen und Kinder bringen, um dann wieder zum Kämpfen zurückzugehen. Sie essen mit uns, still halten sie die Hände ihrer Frauen. Man sieht, wie intensiv sich die Eheleute ansehen, wissend, dass es das letzte Mal sein könnte. Es fällt mir schwer, die Tränen zurückzuhalten, aber ich versuche, nicht zu weinen.“ Die Kinder sind ein Rätsel: „Vor ein paar Tagen sprach ich mit einer Mutter aus Mariupol. Während sie mir voller Schmerz die Lage in ihrer Stadt schilderte, spielte ihr sechsjähriger Sohn unbekümmert, als wäre nichts passiert. Das sehe ich auch bei anderen Kindern, es scheint fast so, als wollten sie nicht sehen und nicht hören, was um sie herum passiert. Ich denke, es ist eine Art Schutzmechanismus. Das hoffe ich zumindest. Darüber können uns nur Psychologen eine wahre Auskunft geben.“ Aber es gibt auch viele glückliche Momente, wie zum Beispiel das Kind, das mit seiner Familie eine Woche lang unter Bombenalarm im Keller seines Hauses in Mariupol überlebt hat und „zum ersten Mal wieder hier bei uns gelächelt hat“.
Gottesdienst als Hilfe
Die Menschen kommen wie Verdurstende auf der Suche nach Wasser in die Gottesdienste. „Aber mir fehlen die Worte, ich weiß nicht, was ich den Menschen sagen soll. Ich schaffe das nicht. Es würde alles nur banal klingen. Also vertraue ich mich den Worten Gottes an, der uns sagt ‚Fürchtet euch nicht!’ und ‚Kehrt um‘, ‚Lasst euch nicht vom Hass verseuchen‘, ‚Sucht nicht die Rache‘. Wir brauchen diese Worte, ich als Franziskaner-Minorit an erster Stelle brauche sie. Und die Gemeindemitglieder hören auf diese Worte mit einer ungewöhnlichen Hingabe, in Stille, gesammelt – das einzige Wort, das trösten kann, das einzige wirklich wirksame Wort, das kann ich Ihnen versichern!“
Hilfe in und aus den Nachbarländern
Auch die Brüder in den Nachbarländern, die alle zur ehemaligen Sowjetunion gehörten, sind unter Schock. Jeder versucht, das Möglichste zu tun, um das Leid zu verringern. Anfang Mai, gut zwei Monate nach Kriegsbeginn, waren bereits mehr als fünfeinhalb Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen – eine humanitäre Katastrophe, wie man sie in Europa noch nie erlebt hat, noch nicht einmal während des Balkankrieges. Die Konvente, die am aktivsten in der Flüchtlingshilfe tätig sind, sind die in Polen, vor allem die in der Provinz Krakau, die jeden Tag 135 Schlafplätze zur Verfügung stellen und auf die Unterstützung von 260 Freiwilligen, die Zusammenarbeit mit der Caritas, der Erzdiözese von Krakau und anderen privaten Einrichtungen zählen können.
Dann gibt es die Brüder, die Hilfsgüter in die Ukraine bringen. Einer von diesen „Staffelläufern” ist Br. Lucian Mihai Bobârnac, der Verantwortliche des Sozialzentrums Heiliger Antonius in Roman (Rumänien), ein praktischer und pragmatischer Mann, der es gewohnt ist, schnell zu sein, und dem es gelungen ist, ein Netz der Solidarität zu knüpfen, nicht nur mit seinen Mitbrüdern, sondern auch mit schon vorhandenen „Tafeln“ und anderen Nichtregierungsorganisationen. Er erklärt uns: „Im Land gibt es bereits ein staatlich organisiertes Hilfsprogramm für Flüchtlinge. Deshalb haben wir Brüder aus Rumänien uns gedacht, dass es sicher besser ist, direkt auf Hilfsgesuche aus unseren Konventen in der Ukraine zu reagieren und dann genau auf den Bedarf abgestimmte Ladungen zu organisieren.“ Anfangs fuhr Br. Lucian an die Grenze und übergab dort seinem ukrainischen Mitbruder die Hilfsgüter. Dann ist er auch direkt zu den Konventen im Osten der Ukraine gefahren. Lachend sagt er: „Mein Schutzengel hat bisher ganze Arbeit geleistet. Ich fahre frühmorgens los. Br. Nicola Orach bereitet mir alle Papiere vor, die ich brauche, um an den Kontrollpunkten vorbeizukommen: einen Brief, in dem steht, wer ich bin, woher ich komme, was ich transportiere und in wessen Auftrag. Beim letzten Mal wurde ich gefragt, ob ich schusssichere Westen dabei hätte, denn dafür braucht man eine Sondergenehmigung. Die Kontrollen sind streng, aber das ist im Krieg normal.“ Er kommt spätabends müde, aber auch erleichtert zurück. „In der Ukraine ist viel Hilfe nötig und ich möchte meinen Teil dazu beitragen. Diejenigen, die bessere wirtschaftliche Mittel und Kontakte nach Europa haben, können fliehen. Wer aber hierbleiben musste, ist in großen Schwierigkeiten. Die ukrainischen Brüder teilen alles, was sie haben, nicht nur mit den Menschen, sondern auch mit den Institutionen der Grundversorgung wie Krankenhäusern, Kindergärten und Schulen. Sie benötigen ständig Sonderlieferungen, wie zum Beispiel bestimmte Medikamente.” Sehr häufig lädt Br. Lucian auch Flüchtlinge in seinen Transporter: „An der Grenze war eine Mutter mit einem kleinen Kind, die nach Spanien weiterreisen wollte. Sie hatte nur einen kleinen Rucksack dabei. Ich habe sie in ein Flüchtlingszentrum in Rumänien begleitet, bei dem ich sicher bin, dass sie in guten Händen sind. Davor hatte ich eine ukrainische Nonne nach Cˇernivci gebracht, die eigentlich in einem Konvent in Griechenland lebte, ihre Oberin aber um die Erlaubnis gebeten hatte, in ihre Heimat zurückzukehren, um dort zu helfen. In unserem Konvent in Mackivci hilft sie uns nun mit anderen geflüchteten Schwestern bei der Aufnahme der Flüchtlinge.“
Botschafter des Friedens
Flüchtlinge, die Flüchtlingen helfen, Brüder außerhalb der Ukraine, die denen in der Ukraine helfen: Die Grenzen der Staaten und des Krieges sind keine Grenzen der Menschlichkeit. Auch die Kirche kennt diese Grenzen nicht, so wenig wie sie der heilige Franziskus oder der heilige Antonius kannten.
Der Krieg widerspricht der Menschlichkeit, er widerspricht sogar der franziskanischen Gesinnung, deren Auftrag es ist, Frieden zu bringen. Diesen Widerspruch versucht Br. Carlos A. Trovarelli, der Generalminister der Franziskaner-Minoriten, zu glätten: „Friedensbringer zu sein, bedeutet für uns Franziskaner-Minoriten, uns, wie wir es ja auch tun, für Gerechtigkeit einzusetzen, den obdachlos Gewordenen, Leidenden, Verletzten zur Seite zu stehen. Aber es bedeutet auch, sich auf Gottes Gerechtigkeit zu berufen, die wir im Gebet suchen, in unserem Schrei, den wir Gott zurufen mit der Bitte, dieses Volk zu retten und alle, die wegen Ungerechtigkeit leiden. Unser Blick muss immer ein vom Evangelium geleiteter Blick sein: Kriege sind auch ein Geheimnis des menschlichen Herzens und wir müssen auch dieses Geheimnis vor Gott bringen, um ihn um seine Liebe und seine Versöhnung und seinen Heiligen Geist zu bitten, damit er alles neu machen möge.“
Den Hungernden Nahrung zu geben, den Dürstenden Wasser, Nackte zu bekleiden – das ist der Weg der Barmherzigkeit, der Schritt für Schritt, über Grenzzäune, Hass und Kriege hinweg zur Erlösung führt. Das ist das, um das wir Sie dieses Jahr zum Fest des heiligen Antonius bitten, mit all unserer Sorge um den Frieden und der Hoffnung auf eine Zukunft, in der Gott alles neu gemacht haben wird.