Ein antonianischer Bücherschatz
Vom „Kreuzgang des Generals“ in der Antonius-Basilika gelangt man in die wertvolle Antonianische Bibliothek, die zwar seit 1929 im Besitz des Vatikans, aber dennoch seit ihrer Gründung den Brüdern anvertraut ist. Über die Jahrhunderte hindurch wurden wertvolle Schätze gesammelt.
Bekannterweise tut Schenken nicht nur dem Beschenkten gut, sondern auch demjenigen, der schenkt. Und oft passiert es, dass ein Geschenk zum Beginn einer wunderbaren Entwicklung wird, die die ursprüngliche Großzügigkeit zur Gabe für unzählige Menschen werden lässt, auch durch Jahrhunderte hindurch. Ein Beispiel dafür ist die AntonianischeBibliothek, die „schon zur Zeit von Bruder Antonius eingerichtet wurde, dank der Schenkungen einiger reicher Gläubiger“ – wie Br. Alberto Fanton berichtet. Er ist seit 2009 der Bibliothekar dieser wertvollen Sammlung, einem „Schrein der Kultur, der Kunst und des Glaubens“, der jedes Jahr von etwa 350 Wissenschaftlern direkt aufgesucht und genutzt wird; zählt man die Online-Recherchen hinzu, ist die Zahl noch deutlich höher.
Stiftungen und reiche Witwen
„Es ist schwer, die genaue Anzahl der hier aufbewahrten Werke anzugeben,“ erklärt Br. Alberto, „aber sicherlich sind es um die 70.000.“ Eine unglaubliche Zahl, wenn man bedenkt, dass alle diese Werke ausschließlich entweder aus Schenkungen oder aus Nachlässen stammen. „Es gibt keine wirkliche Gründungsurkunde der Bibliothek. Aber wir wissen aus verschiedenen Quellen, dass sie schon zu Zeiten des hl. Antonius in Gebrauch war und eben aufgrund diverser Schenkungen von Büchern an die Brüder eingerichtet wurde.“ Es war zum Beispiel üblich, so erzählt Br. Alberto, dass wohlhabende Witwen Studierende „adoptierten“ und ihnen die Lehrbücher zahlten, die dann in der Bibliothek blieben, um den Brüdern die Möglichkeit zu geben, sich in der Kunst des Predigens zu bilden und biblische und theologische Grundlagen zu vertiefen. Zu den wertvollsten Werken, die die Brüder hier aufbewahren, gehört eine Ausgabe der Sermones des hl. Antonius (Codice Tesoro 720), aus der die Brüder lernten: Das lässt sich aus einer Testamentsakte von 1237 schließen, die ein Kanoniker der Kathedrale, Magister Aegidius, verfasst hatte und aus der hervorgeht, dass dieses Werk schon vor der offiziellen Schenkung von den Brüdern benutzt worden war.
Breites Themenspektrum
Der Bibliothekar fährt fort: „Unzählige antike Dokumente bestätigen andere wichtige Nachlässe. Erwähnenswert ist beispielsweise einer aus dem Jahr 1240 seitens des Kanonikers Uguccione, der den Brüdern eine glossierte, handgeschriebene und mit Miniaturen versehene, 25-bändige Bibel, die Mitte des 13. Jahrhunderts in Paris entstanden ist, vermachte. Das war ein ebenso unerwartetes wie wertvolles Geschenk für die Brüder, die sich so etwas nie hätten leisten können.“ Auf diese ersten Schenkungen, meist Werke religiöser Art, folgten auch solche, die der philosophischen Ausbildung der Brüder dienten, die sich zu jener Zeit auch darauf vorbereiteten, an der Universität zu unterrichten. Ihnen wurde Ende des 15. Jahrhunderts beispielsweise der Lehrstuhl für Metaphysik der Universität Padua anvertraut. Außerdem wurden andere Werke eher „weltlicher“ Art, wie eine „Kunst des Handlesens“ von Galeotto Narni aus dem Jahr 1400, den Brüdern vermacht – ein Beweis dafür, wie sehr die Brüder in das Leben ihrer Epoche integriert waren.
Zwischen Kultur, Kunst und Schönheit
Den Hauptanteil der hier aufbewahrten Bücher stellen die über 800 Manuskripte dar, von denen einige sogar aus dem 9. Jahrhundert stammen – „wir sprechen hier von der Zeit von Karl dem Großen!“ gibt Bruder Alberto stolz zu bedenken. Stolz zeigt er auch die 41 Choräle aus dem 13./14. Jahrhundert, auf echtem Pergament und verziert mit wundervollen Miniaturen, die die Brüder für die Liturgie verwendeten. Dann gibt es noch ungefähr 200 Inkunabeln (gedruckt mit sogenannten beweglichen Lettern in der Frühzeit des Buchdrucks) und mehr als 3.000 Ausgaben aus dem 16. Jahrhundert. Sie werden cinquecentine genannt, von „fünfhundert“, bezogen auf die Entstehungszeit. Es handelt sich also um Ausgaben, die schon auf modernere Art gedruckt wurden, aber durchaus noch Merkmale der Inkunabeln aufweisen.
Musik und Geschichte
Br. Alberto stellt weiterhin fest: „Zu allen diesen Werken kommt noch das Musik-Archiv hinzu, das Mitte des 17. Jahrhunderts eingerichtet wurde und zumindest in Kopie alle Musikstücke vereint, die von der Kapelle der Antonius-Basilika verwendet wurden, die seit jener Zeit die liturgischen Feiern in der Basilika begleitet. Es handelt sich dabei um mehr als 9.000 Partituren: Kopien der Notenblätter, die der Ausbildung der Musiker dienten (wie solche von Galuppi oder Bach), aber auch von komponierenden Brüdern (wie Francesco Antonio Vallotti, von dem sich eine Statue am Eingang der Bibliothek befindet) oder dem ‚ersten Geiger und Konzertleiter‘ der Kapelle, Giuseppe Tartini, handsignierte Notenblätter.“ Außerdem werden in dem großen Saal aus dem 17. Jahrhundert noch zwei weitere, wirklich einzigartige „Perlen“ aufbewahrt: die beiden perfekt erhaltenen Weltkugeln, geschaffen von dem Kartograph Pater Vincenzo Coronelli (1650-1718).
Die Bibliothek ist eine wahre Goldgrube für diejenigen, die sich über die Entstehung des Franziskusordens informieren oder dazu forschen möchten: „Wir haben hier unter anderem eines der ersten Exemplare des Ordo breviarii et missalis – also eine Art Kalender der heiligen Messen und liturgischen Feiern aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts.“ Dieses Werk zeigt einmal mehr, dass die Bücher und Schriften, die in der Antonianischen Bibliothek aufbewahrt werden, zwar nicht ausgesprochen viele sind im Vergleich zu anderen Bibliotheken, aber eben äußert wertvoll.
Für die Zukunft bewahren
„Die größte Herausforderung für konservierende Bibliotheken wie unsere ist heute die, dem aufbewahrten Material ‚Leben einzuhauchen‘. Wir Menschen tendieren dazu, die Wirklichkeit zu verdinglichen, sind oft nur daran interessiert, sie auszubeuten. Unsere Aufgabe hier jedoch ist es, diesen historischen und immens wertvollen Schriften ihre Identität wiederzugeben und sie in eine Zukunft zu retten, wo sie möglichst noch viele Jahre lang erhalten bleiben.“
Br. Alberto Fanton sagt es zwar nicht selbst, aber seine Arbeit als Bibliothekar ist nicht nur außerordentlich qualifiziert, sondern auch sehr wertvoll. Denn mit seiner Leidenschaft und ständigen Anwesenheit ist er eine Garantie für kompetente und rasche Antworten auf die Fragestellungen der Nutzer und Besucherinnen der Bibliothek. Damit fügt er sich wunderbar ein in die lange Tradition der minoritischen Sorgfalt im Blick auf ihre Bibliothek an der Antonius-Basilika.