Bessere Bildung für eine gute Zukunft

Projekt 13. Juni 2023
05. Juni 2023 | von

Jedes Jahr im Juni stellen wir ein größeres Projekt vor, das wir mit der Caritas Antoniana unterstützen. 2023 führt es uns in den Nordosten Indiens. Dort haben die indischen Brüder im Jahr 2014 eine Mission gestartet. In Diphu, über 3.000 Kilometer vom Sitz der Provinz entfernt, leben derzeit drei Brüder. Sie sind missionarische Pioniere. Unser Juni-Projekt will dazu beitragen, ihren leidenschaftlichen Einsatz für die armen Menschen vor Ort zu unterstützen.

Lange Zeit ist überhaupt nicht klar, ob ich in den indischen Bundesstaat Assam reisen kann. Wenige Wochen vor meiner geplanten Ankunft war es zu einem Zwischenfall mit einem evangelischen Missionswerk gekommen. Sieben Mitglieder sind des Landes verwiesen worden. Der Vorwurf: Sie hätten missionieren wollen. Sie verteidigen sich. Sie hätten nur befreundete Gemeinden besucht. Die Christen bilden mit einem Bevölkerungsanteil von 4% im 31-Millionen-Einwohner-Staat zwar nur eine Minderheit, aber es gibt eine ganze Reihe von aktiven Gemeinden. Doch die restriktive Politik der Indischen Volkspartei (BJP) gegenüber anderen Religionsgemeinschaften führt zu einem immer kleiner werdenden Maß an Freiheit. – Ich habe noch einmal Glück. Der zuständige Ortsbischof wird konsultiert und schließlich steht die Entscheidung: Ich kann kommen. Und auch wenn ich nur zwei, drei Tage dort sein werde, es wird eine der besten Erfahrungen meiner Indien-Reise sein.

Don Bosco für den Notfall

Die Ankunft auf dem kleinen Flughafen von Dimapur lässt mich aber erst noch einmal nervös werden. Alles viel kleiner und übersichtlicher als in Kalkutta, von wo aus ich gestartet bin. Aber mein Pass wird besonders lange kontrolliert, ich muss eine Kontaktadresse nach der anderen angeben – überall kritische Augen. Außen dann – endlich! – meine Mitbrüder: Br. Sajesh Kottuppallil und Br. Shinto Venkuzhiyil erwarten mich, begleitet von einem älteren Herrn, der sich gleich als Father Zacharias vorstellt. Wir sind uns auf Anhieb sympathisch. Für meine Angst angesichts der massiven Militärpräsenz rund um den Flughafen – überall stehen bewaffnete Soldaten – hat er wenig übrig. Das sei schon alles in Ordnung. Schutz vor Terroristen. Und falls ich hier als ausländischer Christ doch einmal in eine Notlage kommen sollte? Für solche Fälle verrät er mir quasi ein Codewort. Dann solle ich einfach so tun, als wäre ich Salesianer. „Don Bosco“ würden hier alle verstehen. Und diese Gemeinschaft sei höchst anerkannt, weil sie sich sehr um die Bildung in der Region verdient gemacht habe. Von jetzt ab bin ich also Franziskaner-Minorit – und im Notfall Don-Bosco-Pater. Der heilige Franziskus möge es mir nachsehen…

Missionarische Leidenschaft

Zunächst werde ich in ein schickes Restaurant geführt und dann geht es per Geländewagen in Richtung Diphu. Dort befindet sich das Pfarrhaus von Father Zacharias. Er erzählt, dass er schon seit Jahrzehnten Missionar hier im Norden sei. Ursprünglich kommt er aus Kerala. Diphu war seine erste größere Stelle. Vieles, was heute zur Pfarrei gehört, hat er initiiert, unter anderem die große Schule. Einer seiner Nachfolger war weniger geschickt – und so wurde nun er vom Bischof wieder hierher gerufen. Ich vermute, dass er deutlich über 70 sein muss. Aber von seiner Leidenschaft, Pfarrer zu sein, könnte sich manch einer eine Scheibe abschneiden… Man spürt sofort: Persönliche Bedürfnisse sind für ihn immer zweitrangig. Die Sorge um seine Gemeinde geht vor. Ich denke mir: ein gutes Vorbild für die beiden jungen Brüder.

Br. Sajesh Kottuppallil und Br. Shinto Venkuzhiyil, beide ein paar Jahre jünger als ich, wurden von ihrem Provinzialminister hier in den Norden geschickt. Nicht jeder Bruder hätte zu so einer Versetzung „Ja“ gesagt. Auch wenn es hier immer noch Indien ist: Die Kultur ist völlig anders. Man muss eine neue Sprache lernen und Reisen nach Hause gibt es vielleicht einmal im Jahr. Es ist ein echter Missionseinsatz. Seit Ende 2022 werden sie dabei von Br. Manuel Manicompel unterstützt. Er gehört zu den „senior friars“ der Indischen Provinz und hat in seinem Ordensleben schon bei so mancher Neugründung mitgeholfen. Er wird vor allem den Bau in die Hand nehmen. Denn aktuell wohnen die Brüder im Pfarrhaus von Father Zacharias.

Mit Bildung aus der Armut

Nach einer ersten kurzen Nacht geht es morgens in aller Frühe los. Man hatte mir gesagt, Daldali, der Ort, an dem sich die Schule befindet, für die die Indische Ordensprovinz im März 2020 die Verantwortung übernommen hat, wäre nur etwa zehn Kilometer entfernt. So wundere ich mich wirklich, warum wir eine Stunde vorher losfahren müssen. Doch mit jedem Kilometer werden die Straßenverhältnisse schlechter. Br. Shinto, der Fahrer, ist oft nur im Schritttempo unterwegs. Vor lauter Schlaglöchern sieht man manchmal kaum die „Straße“. Und es ist noch nicht einmal Regenzeit.

Je näher wir dem Ziel kommen, desto häufiger begegnen uns Schülerinnen und Schüler, die zu Fuß zum Unterricht kommen. Mit strahlenden Augen winken sie den Brüdern zu. Autos sind hier selten und natürlich kennt jeder die beiden jungen Minoriten. „Schau!“, macht Br. Sajesh mich aufmerksam, „da ist Alisha. Sie gehört zu unseren guten Schülerinnen. Sie ist ehrgeizig. Sie will wirklich etwas lernen.“ Bildung, so wird mir hier schnell deutlich, ist der einzige Strohhalm, um der Armut zu entkommen. Die meisten hier sind Analphabeten. Sie leben in ärmlichen Verhältnissen. Und wenn der Monsun die Ernte zerstört, ist die Not noch größer. Mit der Schule verbinden viele Familien große Hoffnungen.

Einfache Verhältnisse

Schließlich kommen wir an. Ein großes Gelände, quasi mitten im Wald. Die Schulgebäude sehen sauber aus, bestehen aber nur aus Bambus und Blech. Gut 300 Schüler/innen können hier untergebracht werden. Bis zur 8. Klasse wird unterrichtet. Ich darf kurz in die Klassenzimmer schauen, werde vorgestellt und kann mich mit den Älteren schon ein klein wenig auf Englisch unterhalten. Die Jüngeren kommunizieren hauptsächlich in ihrer lokalen Sprache. Von Deutschland hat hier kaum jemand jemals etwas gehört. Aber wie auch? Br. Sajesh erklärt mir, dass die Kinder auch deshalb mit mir fremdeln, weil ich so groß bin. Hier, in Assam, sind die Menschen kleiner.

In der großen Pause bekomme ich Tee im „Direktorat“. Hier sitzt normalerweise Br. Sajesh. Eine Tür zum Abschließen gibt es nicht. Es ist alles offen. Ein Tisch, drei Stühle, ein Schrank. Alles auf dem nackten Boden. Unter dem Schrank entdecke ich eine große schwarze Platte. Br. Sajesh zieht sie vor und erklärt: „Das ist der Grundstein für unsere neue Schule!“ Und ich muss ein wenig schmunzeln. Im August 2022 war unser Generalminister Br. Carlos A. Trovarelli zu Besuch, und feierlich wurde der Grundstein für die Schule gelegt. Offensichtlich hat man ihn dann noch einmal entfernt. Erst muss das Gelände vorbereitet werden. Die Provinzen von Indien und Malta helfen in der Finanzierung der Mission zusammen, sind aber dankbar, dass auch die Paduaner Caritas Antoniana ihre großzügige Unterstützung zugesagt hat.

Pläne für die nächsten Jahre

Zunächst, so erklärt mir nach Schulschluss Br. Manuel, werde das Gelände geebnet und mit einer Schutzmauer umgeben. Parallel dazu soll ein „Übergangskloster“ entstehen, dessen Grundmauern er mir bereits zeigen kann. Erst halte ich das für Geldverschwendung, aber dann verstehe ich: Die Brüder verlieren mit dem Hin- und Herfahren viel Zeit. Und noch schlimmer: Die Baustelle ist unbeaufsichtigt. Erst kürzlich wurde ein größerer Diebstahl begangen. Das soll künftig vermieden werden, wenn die Brüder tatsächlich vor Ort leben. Komfortabel werden sie es aber nicht haben. Das „Übergangskloster“ besteht aus drei Räumen für die Brüder, einem Gästezimmer und einer Küche. Mehr als Bambus und Blech, aber einfache Verhältnisse. Wenn das Kloster einmal steht, soll mit dem Bau der Schule begonnen werden. Zweistöckig und so, dass man von der Regierung auch die Betriebserlaubnis für die Schule erhalten wird. Später soll dann ein „richtiges“ Kloster hinzukommen. Und irgendwann soll auch die kleine Kirche, die sich etwa in der Mitte des Geländes befindet, erneuert werden. „Aber das Wichtigste“, so Br. Manuel, „das Wichtigste ist jetzt erst einmal die Schule!“ Und irgendwie merkt man ihm an, dass er sich immer noch ärgert, wegen der Corona-Pandemie fast drei Jahre verloren zu haben. Jetzt soll es endlich vorwärts gehen.

Auf Wiedersehen?

Nach einem langen Tag geht es zurück. Aber nicht direkt nach Hause. Wir sind eingeladen ins Bischofshaus von Diphu. Dort wartet der Bischof mit einem Abendessen auf uns. Er erkundigt sich nach dem ehemaligen Generalvikar meiner Heimatdiözese. Der habe ihn nämlich häufiger besucht und finanziell unterstützt. Heute ist ein italienischer Priester zu Gast. Für ihn wurde extra Pasta gekocht, die er allerdings etwas unwirsch zurückweist: zu weich gekocht und zu viel Tomatensoße. Father Zacharias sitzt neben mir und lacht mich aus. Ich schiele immer wieder hinüber zu ihm, um zu sehen, wie man den Fisch am einfachsten isst, den es hier zum Abendessen gibt. Als ich mit Augenzwinkern erkläre, dass ich Angst habe, an einer Gräte zu ersticken und keine Chance sehe, bei diesen Straßenverhältnissen rechtzeitig in einem Krankenhaus anzukommen, erzählt er etliche Geschichten aus seiner Missionserfahrung: Als Pfarrer war er häufig auch schon medizinisch unterwegs. Er ist wirklich ein Hirte „nahe bei den Schafen“…

Der Bischof zeigt sich froh, dass die Franziskaner-Minoriten in seine Diözese gekommen sind und bei den ersten Schritten von Father Zacharias an die Hand genommen wurden – und dass sie nun auf der ganzen Welt nach Spenden suchen, um hier für die Menschen vor Ort etwas zu verbessern.

Als ich dann wieder zurück nach Kalkutta fliege, laden die Brüder mich ein: „Wenn Schule, Kloster und Kirche fertig sind, musst du wiederkommen!“ Ich weiß nicht, ob ich dieses Glück haben werde. Interessieren würde es mich, vor allem auch, um zu sehen, was mit den hoffentlich großzügigen Spenden unserer Leserinnen und Leser dort aufgebaut werden kann. Denn irgendetwas von mir ist in Daldali geblieben, auch wenn ich erleichtert bin, ohne unliebsame Zwischenfälle den Bundesstaat Assam wieder zu verlassen.

Zuletzt aktualisiert: 05. Juni 2023
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