Loriot wird 100. – „Ach was?!“
Im November jährt sich der Geburtstag des Ausnahmehumoristen zum 100. Mal. Unser Autor, bekennender Loriot-Fan, blickt auf das Lebenswerk von Vicco von Bülow.
Er gilt bis heute als bedeutendster und beliebtester Humorist des vergangenen Jahrhunderts. Seine Zitate aus Zeichnungen, Karikaturen, Sketchen und Filmen prägen noch immer den Humor großer Teile der deutschen Bevölkerung, sind in ihrer Prägnanz in vielen Situationen alltagstauglich, haben Einfluss auf die deutsche Sprache genommen und sich tief ins kollektive Gedächtnis eingegraben. Noch immer werden seine Karikaturen verlegt, seine Filme geschaut, seine Sketche auf großen Bühnen nachgespielt – bei aller Zuneigung zu den darstellenden Künsten jedoch ein oft peinlicher Abklatsch des nicht zu erreichenden Originals. Loriot, unübertroffener Ausnahmekünstler, wäre am 12. November 100 Jahre alt geworden. „Ach was?!“
Von der Bühne an die Front
Der 1923 in Brandenburg an der Havel geborene Bernhard-Viktor „Vicco“ Christoph-Carl von Bülow wuchs zunächst in Berlin, ab 1938 dann in Stuttgart auf, wo er als Statist an Oper und Schauspiel erste Bühnenerfahrungen sammelte. Das Wappen des mecklenburgischen Uradelsgeschlechts von Bülow, dessen Stammreihe bis ins 13. Jahrhundert zurückgeht, ziert der Singvogel Pirol, auf Französisch Loriot, sein späterer Künstlername. Sein Vater war Polizeileutnant, so dass auch Vicco, der unhinterfragten Familientradition folgend, eine Offizierslaufbahn einschlug. Er schaffte es bis zum Dienstgrad des Oberleutnants und war im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront im Einsatz. Das Bundesarchiv verwahrt seine überschaubare militärische Personalakte aus dieser Zeit und kommt zu dem Urteil, aus ihr lasse sich keine nationalsozialistische Gesinnung Vicco von Bülows konstatieren, da damals übliche entsprechende Standardfloskeln in Beurteilungen fehlen.
Inspiriert vom alltäglichen Wahnsinn
Schließlich war es wieder sein Vater, der ihm nach Kriegsende zu einem Studium der Malerei und Grafik an der Kunstakademie (Landeskunstschule) in Hamburg riet, das er 1949 abschloss. Über eine Sekretärin des „Stern“, die er auf einer Party kennenlernte, wurde er dort 1953 mit der Serie „Auf den Hund gekommen“ Cartoonist. Wegen großer Proteste der Abonnenten wurde die Serie nach nur sieben Folgen abgesetzt. Kurz darauf bekam Loriot aber eine neue Chance mit „Reinhold das Nashorn“, einer Serie, die 17 Jahre lang lief. Typisch für ihn wurden die Knollennasenmännchen. In einem seiner letzten Interviews vor seinem Tod im August 2011 bezifferte er im SZ-Magazin die von ihm gezeichneten Knollennasenmännchen wohl auf etwa 20.000. Die im September vom Finanzministerium anlässlich seines 100. Geburtstags herausgegebene 20-Euro-Sammlermünze zeigt ebenfalls ein Knollennasenmännchen, den Rosenkavalier, eine der bekanntesten Zeichnungen Loriots. In seinen mit Texten kombinierten Zeichnungen thematisiert Loriot den Menschen und die Beziehung der Menschen untereinander. Sie zeigen alltägliche Situationen im Arbeits- und Familienleben, ins Übertriebene gesteigert und ins Absurde geführt. Dabei erweist sich Loriot Zeit seines Lebens als scharfsinniger Beobachter des alltäglichen Wahnsinns mit all seinen Schwierigkeiten, vor allem im Bereich der zwischenmenschlichen Kommunikation.
Von der Badewanne aufs grüne Sofa
Loriot wandte sich nach und nach dem Fernsehen zu. 1971 erschuf er für die Aktion Sorgenkind (seit dem Jahr 2000: Aktion Mensch) des ZDF den Hund Wum, dem er auch seine Stimme lieh. Ab 1976 entstand bei Radio Bremen die sechsteilige Fernsehserie Loriot mit verschiedenen Zeichentrickfilmen und gespielten Sketchen. Unter den Zeichentrickfilmen gehören zu den populärsten die Herren im Bad, Müller-Lüdenscheidt und Dr. Klöbner, und der sprechende Hund Bello, der – entgegen der Behauptung seines Sprachtrainers, dem „Gründer und Leiter der Tierpädagogischen Hochschule Cuxhaven“, Herrn Doktor Sommer, – aber nur in der Lage ist, Ho-Laute von sich zu geben, wobei der Reporter im Interview zunächst ablehnt, Bello über Atomstrom sprechen zu lassen, da politische Äußerungen von Hunden im Fernsehen unerwünscht seien. Die Sketche „Die Nudel“ mit Evelyn Hamann als langjährige, kongeniale Kollegin an Loriots Seite, und der Lottogewinner Erwin Lindemann (Heinz Meier in einer seiner bekanntesten Rollen), der aus lauter Nervosität angesichts der Fernsehleute in seinem Wohnzimmer sogar seinen Namen vergisst und von seinen Plänen erzählt, in 66 Jahren nach Island zu fahren und dort einen Gewinn von 500.000 Mark zu machen, woraufhin im Herbst dann der Papst mit seiner Tochter eine Herrenboutique in Wuppertal eröffnet, schrieben Fernsehgeschichte. „Weihnachten bei Hoppenstedts“, erstmals 1978 ausgestrahlt, gehört zu den jährlich rund um Heiligabend gesendeten Weihnachtsklassikern des deutschen Fernsehens. Das grüne Sofa im Biedermeierstil, auf dem Loriot moderierend durch die einzelnen Episoden der Serie führte, steht mittlerweile im Foyer von Radio Bremen, eine Bronzereplik vor dem Sendezentrum.
Scharfsinnig pointiert
Auch wenn die Serie als Höhepunkt des Fernsehschaffens Loriots gilt, sind die beiden Spielfilme „Ödipussi“ (1988) und „Pappa ante portas“ (1991), die Vicco von Bülow als Autor, Regisseur und Hauptdarsteller drehte, Meisterwerke filmischer Kunst. „Komik funktioniert nur bei perfektem Timing und exaktem Rhythmus“, sagte Loriot im Interview. Die beiden Filme auf höchstem sprachlichen Niveau sind Paradebeispiele dafür. Es bleibt dem Zuschauer der Mund offen stehen ob der Skurrilität der Situation, wenn der frisch pensionierte Herr Lohse aus Verlegenheit der ihm bis vor kurzem unbekannten, wohl aber schon seit langer Zeit in seinem Haushalt tätigen Putzhilfe Frau Kleinert nicht nur einen Platz am Couchtisch im Wohnzimmer, sondern auch einen Schnaps anbietet, „son Schlückchen zwischendurch“, um dann die Verlegenheit beider nochmal mit der Frage zu toppen, ob Frau Kleinert bei sich selbst zuhause auch saubermache oder ob sie eine Putzhilfe habe. Nichts bleibt in den Sketchen und den beiden Spielfilmen dem Zufall überlassen, die kleinsten Nebensächlichkeiten und beiläufigen Bewegungen sind genauestens ausgearbeitet, jeder Blick, jede Betonung passt perfekt: Die Türklinken im Hause Lohse bei „Pappa ante portas“, die laut Regisseur Loriot „diese leichte Geschmacklosigkeit“ hätten, die zum Haus passt; das gleichzeitige Aufmucken der allesamt weiß-beige gekleideten Damen des Literaturkreises von Frau Lohse beim Knallen der Tür, als Herr Lohse sich „einen Überblick über das vorhandene Zeitungsmaterial“ verschafft, aufgrund ihrer Störung aber wütend das komplett mit Druckerzeugnissen ausgelegte Wohnzimmer verlässt, obwohl er doch „bei einer rechtzeitigen Information die Nutzung des Wohnraums“ für seine Gattin reserviert hätte; oder das dezente Matschgeräusch, wenn Frau Lohse in der Schokoladenfabrik in die von Herrn Direktor Drögel zur Verkostung vorgelegten Schokoriegel hineinbeißt, eine „hochwertige Kokosfüllung mit Pistazienschaum als Trägermasse“ und die für ältere Menschen entwickelte „Waldmeister-Weichcreme-Variante“. – Szenen, die derjenige unzählige Male sehen kann, der diese Art Humor der scharfsinnigen Pointierung des Alltäglichen und die sprachliche Genialität zu verstehen weiß.
Hoffentlich der Himmel…
In den letzten Jahren vor seinem Tod hat Loriot sich trotz hoch dotierter Fernsehangebote von verschiedenen Sendern zunehmend zurückgezogen. „Die wollten zwölfmal im Jahr eine Sendung und das geht nicht. Nicht auf gleich bleibendem Niveau“, gab er unumwunden zu. Was nach dem Tod kommt, wurde er auch im SZ-Magazin-Interview gefragt: „Der Himmel, hoffe ich. Ich habe mir meinen Kinderglauben an den lieben Gott bewahrt.“ – „Wissen Sie, was auf Ihrem Grabstein stehen soll?“ – „Zweckmäßig wäre es, wenn der Name darauf stünde.“