Verwurzelt im Gebet
Die Verbundenheit mit Gott, die ihren Ausdruck in einer großen Treue zum Gebet findet, ist für Antonius von Padua ein wesentliches Anliegen seines Lebens – und wohl auch die Kraftquelle, die ihm hilft, die Herausforderungen des Alltags zu bestehen.
Am herausragenden Fleiß des hl. Antonius dürfte kein Zweifel bestehen – selbst wenn die Brüder in der Frühzeit des Ordens durch die Bank alle überaus eifrig gewesen sein dürften. Wie nämlich der Ordensgründer selbst mit Brüdern umgeht, die sich vor der Arbeit drücken, belegt Thomas von Celano in seiner Zweiten Lebensbeschreibung mit einem durchaus drastischen Beispiel. Der Hintergrund: Franziskus legt großen Wert auf Handarbeit. Alle müssen mit anpacken, egal, wie vornehm das Haus auch sein mag, aus dem sie stammen. Neben der Arbeit ist es den Brüdern aber auch gestattet, für den Lebensunterhalt betteln zu gehen – eine Aufgabe, an der sich ebenfalls alle beteiligen sollen. Diese Forderung stieß aber wohl nicht bei allen auf Zustimmung: „An einem Ort war ein Bruder, der beim Almosensammeln für keinen, dagegen bei Tisch für mehrere zählte. Als der Heilige merkte, dass er ein Liebhaber des Bauches sei, der die Früchte genoss, ohne sich an der Arbeit zu beteiligen, fuhr er ihn folgendermaßen an: ‚Bruder Mücke, geh deines Weges, denn du willst nur deiner Brüder Schweiß verzehren und im Werke Gottes müßig sein. Du gleichst der Schwester Drohne, die zwar die Arbeit der Bienen nicht auf sich nimmt, aber als Erste den Honig verzehren will.‘ Als dieser fleischlich gesinnte Mensch sich in seiner Gefräßigkeit ertappt sah, kehrte er in die Welt zurück, die er noch nicht verlassen hatte. Er trat nämlich aus dem Orden aus, und der beim Almosensammeln nichts zählte, zählte auch nicht mehr als Bruder. Der bei Tisch für mehrere zählte, wurde ein mehrfacher Teufel.“ (Kapitel 75)
Wichtigstes Anliegen: das Gebet
So wie Franziskus Wert auf das gemeinsame Tun legt, so sehr ist ihm aber auch daran gelegen, dass die Brüder ein wahrhaft geistliches Leben führen. Seinen Mitbruder Antonius verpflichtet er in besonderer Weise darauf, wie der berühmt gewordene Brief an ihn überliefert: „Dem Bruder Antonius, meinem Bischof, wünsche ich, Bruder Franziskus, Heil. Es gefällt mir, dass du den Brüdern die heilige Theologie vorträgst, wenn du nur nicht durch dieses Studium den Geist des Gebetes und der Hingabe auslöschst, wie es in der Regel steht.“ – Franziskus ist damit einverstanden, dass Antonius die intellektuelle Ausbildung der Brüder voranbringen will. Aber Arbeit und Studium, so legt der Gründer fest, dürfen nie über dem Gebet stehen oder es gar verdrängen.
Innige Verbindung mit Gott
Es wird wohl kein Bruder im Franziskus-Orden davor gefeit (gewesen) sein, diesen Schwerpunkt nicht irgendwann im Lauf des Lebens aus dem Blick zu verlieren. Der Gründer selbst nimmt sich immer wieder Zeiten des Rückzugs, um sich seines geistlichen Fundaments zu vergewissern. Doch für Franziskus wie auch für Antonius wird man wohl reklamieren dürfen, dass die Verwurzelung im Gebet zu ihren besonderen Stärken gehörte. Die Antonius-Biografie Rigaldina widmet dem Thema „Von seinem intensiven Gebetsleben und wie seine Gebete erhört wurden“ ein eigenes Kapitel. Darin wird festgestellt, dass Antonius von seinem „Meister Franziskus“ lernen konnte, „dass die von einem Ordensmann am meisten zu erstrebende Tugend die Ausdauer im Gebet ist.“ Denn: „In der Tat behauptete der selige Franziskus, dass niemand im Dienst Gottes Fortschritte machen könne, wenn er sich nicht anstrengen würde, den Geist mit einem Schwung unermüdlichen Betens zum Himmel zu erheben.“ (Kapitel 8)
Sich nicht aus der Ruhe bringen lassen
So zweifellos wichtig das Gebet nun auch sein mag, so manche „Gebets-Geschichte“ aus der Antonius-Biografie vermag den heutigen Leser dann aber doch ein wenig irritiert zurücklassen. – Oder klingt die folgende Episode nicht doch zumindest auch nach unterlassener Hilfeleistung?
„Als er Kustos in Limoges war, geschah es eines Abends nach der Komplet und während er allein im Gebet versunken war, dass die Brüder das Oratorium verließen und im Mondschein sahen, dass ein großes Feld im Besitz eines Freundes, das voller erntereifer Früchte war, von einer seltsamen Menge von Menschen gestürmt wurde, die dabei waren, es zu zerstören und die Ähren von den Wurzeln zu reißen. Das Feld grenzte an den Ort an, an dem die Brüder sich aufhielten. Diese rannten, verzweifelt angesichts des Schadens, der ihrem lieben Freund angetan worden war, in das Oratorium, wo der Mann Gottes die Nacht im Gebet verbrachte, und sie berichteten ihm weinend und mit lauter Stimme von der Katastrophe, die den Freund des Ordens ereilt hatte. Der Mann Gottes antwortete: ‚Lasst sie machen, Brüder, lasst sie machen, und kehrt zum Gebet zurück. Denn dies ist euer Widersacher, der euch eine Nacht voller Unruhe geben will, der euren Geist vom Gebet abzulenken sucht. Wisst, dass ganz gewiss kein Schaden, keine Zerstörung dieses Mal das Feld unseres Wohltäters treffen wird.‘ Die Brüder gehorchten den Ratschlägen des heiligen Vaters und warteten bis zum Morgen, um zu sehen, wie die Angelegenheit ausgehen würde. Bei Anbruch des Tages, als sie das Feld von allen Seiten inspizierten, sahen sie es völlig unbeschädigt und unverletzt. Da verstanden sie, dass es sich um einen Betrug des Teufels gehandelt hatte, und bewunderten noch mehr die Frömmigkeit und das Gebet des Heiligen, der diese teuflische Inszenierung aufgedeckt hatte.“
Gottes unaufhörliche Sorge
Wer die Geschichte heute liest, kann angesichts der unerschütterlichen Gewissheit des hl. Antonius ins Staunen geraten. Er lässt sich vom Gebet nicht ablenken. Andererseits meldet sich aber vielleicht auch der Gedanke: Die Geschichte hätte ja auch ganz anders ausgehen können. Die Ernte hätte zerstört sein können – und ein beherztes Eingreifen hätte möglicherweise Schlimmeres verhindert.
Freilich: Solche Gedanken sind spekulativ. Und so wie die Biografie die Begebenheit erzählt, muss man davon ausgehen, dass Antonius im Gebet tatsächlich „mehr wusste“. In der Aufregung seiner Brüder und in dem vermeintlichen Überfall auf das Feld des lieben Freundes konnte er sofort die trügerische Kraft ausmachen, die den Menschen von Gott wegführen möchte. Sein beständiges, leidenschaftliches Beten hat wohl eine ganz tiefe Verbindung mit Gott aufgebaut – eine Verbindung, die ihn auch in den Irritationen und Erschütterungen des Alltags darauf vertrauen lässt, dass Gott seinen geliebten Menschen nicht ins Verderben laufen lässt, gerade dann nicht, wenn er im Gebet ganz auf seine Hilfe setzt. In dieser Gewissheit scheint Antonius zutiefst verwurzelt zu sein.
In neue Höhen geführt
Aus heutiger Perspektive versetzt nicht nur die Festigkeit des Antonius im Beten ins Staunen, sondern vielleicht auch das, was sein Beten begleitet. Da ist er ganz Kind seiner Zeit. Die Rigaldina berichtet: „Gott gefällt das Gebet begleitet vom Fasten, da wie das Fasten die Beschwerden des Körpers wieder gesund macht, das Gebet die Krankheiten der Seele heilt. Um also in geistiger und körperlicher Gesundheit zu leben, behandelte Antonius seinen Körper streng und hielt ihn im Rang eines Sklaven durch Fasten mit Brot und Wasser, damit er, der den anderen predigte, nicht sich selbst in Verruf bringen würde. Er trug am Körper eine Kette aus Eisen, von der ein Teil bis heute wie eine bedeutende Reliquie in Limoges im Konvent der Brüder aufbewahrt wird. Mit solch großer Härte unterwarf er den Körper dem Geist, dass er, wenn, dann nur mit Mühe aufstehen konnte.“
Was heute unter dem Stichwort „Leibfeindlichkeit“ kaum noch praktiziert werden dürfte, nämlich körperliche „Abtötungen“ wie Eisenketten oder Geißelungen, das war für Antonius offenbar selbstverständlich. Und es hat, um noch einmal den Verfasser der Rigaldina zu Wort kommen zu lassen, zu positiven Früchten geführt: „Diese gesegnete Seele – Antonius, nicht gedrückt von der Last des Fleisches, war derartig in die Höhen erhoben, dass es schien, sein ganzes Leben spiele sich im Himmel ab. Deshalb erhörte Gott, der von der Höhe seine Wünsche ergründete, ihn zu seiner Freude. Vielen Sündern, die in verschiedene und schwere Sünden verstrickt waren, wurde bedeutet, sich an Antonius zu wenden, um, vermittelt durch sein Gebet, Vergebung zu erlangen.“ Bis heute mag er ein leuchtendes Vorbild dafür sein, was eine tiefe und gepflegte Verbindung mit Gott bewirken kann.