Mit Ruhe zu neuen Kräften
Gewissermaßen ein Zufall, dass wir just in den Sommermonaten mit Antonius nach Camposampiero ziehen: Dort sucht er nach strapaziösen Predigtwochen in Padua Erholung. – Jeder Mensch sollte sich immer wieder solche Pausen vom Alltag nehmen, um innerlich und äußerlich zu neuen Kräften zu kommen.
Sechs Tage sollst du arbeiten und am siebten Tage ruhen: ein altes, auf die Schöpfungsgeschichte zurückgehendes christliches Gebot. Es macht deutlich, dass der Mensch für Körper, Geist und Seele nicht nur Arbeits-, sondern eben auch Ruhepausen braucht. Nun gibt es wohl gewiss Menschen, die eher die bequemen Wege im Leben suchen. Doch die Herausforderung für die allermeisten wird sein, die Arbeit tatsächlich zu unterbrechen und solche Pausen einzuplanen: Der Berg an Arbeit scheint niemals abzunehmen, alles ist dringend und sollte am besten gestern schon erledigt sein; man fühlt sich vielleicht auch ein wenig unentbehrlich oder ist es möglicherweise tatsächlich. Eine hohe Kunst, dann Stopp zu sagen!
Dies gilt umso mehr, weil das Umfeld möglicherweise nicht immer begeistert reagiert. Dass der Arzt grundsätzlich in den Ferien die Praxis zuschließt, der Pfarrer am Montag eher schwer zu erreichen ist und das Lieblingshotel ausgerechnet zu meiner Lieblingsreisezeit Betriebsurlaub angesetzt hat: ärgerlich!
Rücksichtnahme und Sehnsucht nach Ruhe
Vielleicht hat der Verfasser der Antonius-Biografie Assidua solche menschlichen Mechanismen im Hinterkopf, als er die Pause einleitet, die Antonius nach der strapaziösen Predigtreihe in der Fastenzeit des Jahres 1231 einlegt. Die wird nämlich nicht mit der Erschöpfung des Antonius oder einer notwendigen Ruhepause für den Prediger begründet, sondern mit der Erntezeit: „Der treue und umsichtige Diener Gottes entschloss sich, bis auf weiteres seine Predigtreihe zu unterbrechen, weil er sah, dass sich das Volk der nötigen Erntearbeit widmen musste.“
Es hätte ihm wohl aber auch jeder die Pause gegönnt. Die Fastenzeit, die ihn Tag für Tag gefordert hat, wird auch ihre sichtbaren Spuren an ihm hinterlassen haben – nicht nur bei den Menschen, die von seiner Auslegung der Heiligen Schrift fasziniert waren und mit vollem Eifer ihr Leben zu ändern versuchten. Antonius dürfte müde und erschöpft gewirkt haben. Als Ort für seine Erholungspause wählt er Camposampiero, unweit von Padua. Und der Verfasser der Assidua gibt dann immerhin zu: „Antonius sehnte sich danach, ungestörte Einsamkeit zu finden.“
Rückzugsort Nussbaum
Die Biografie schildert dann aus erster Hand, wie sich Antonius in Camposampiero einrichtet und wie er dort seine Tage verbringt: „Ganz glücklich über seine Ankunft entbot ein Adeliger namens Tiso dem Antonius, dem Diener Gottes, seine höchste Ehrerbietung. Auch die Einsiedelei der Brüder lag auf dem Gebiet seiner Herrschaft. Dieser Herr besaß, nicht weit vom Aufenthaltsort der Brüder entfernt, einen dichten Wald, wo zwischen verschiedenen anderen Pflanzen ein mächtiger Nussbaum gewachsen war. Von dessen Stamm aus streckten sich sechs Äste in die Höhe und bildeten so eine Art Krone aus Zweigen. Eines Tages hatte der Mann Gottes die Schönheit dieses Baumes bewundert und beschloss sogleich auf Eingebung des Heiligen Geistes, sich auf dem Nussbaum eine Zelle einzurichten. Denn der Ort bot ihm eine ungeahnte Einsamkeit und eine Atmosphäre, die der Betrachtung förderlich war.
Kaum, dass der adelige Tiso durch die Brüder von diesem Wunsch erfuhr, baute er mit seinen eigenen Händen eine Zelle aus Matten, nachdem er Stangen mit den Ästen verflochten hatte. Ähnliche Zellen baute er auch für die beiden Begleiter, wobei er allerdings für die obere Zelle, die für den Heiligen bestimmt war, mehr Sorgfalt aufwandte. Die anderen baute er nach dem Willen der Brüder, wenn auch mit weniger Aufwand. In dieser Zelle führte Antonius, der Diener Gottes, ein Leben, das des Himmelreiches würdig war; er war ausdauernd wie eine Arbeitsbiene in seiner Hingabe an die heilige Betrachtung.“
Ruhe und Kontemplation
Wer heute an ein Baumhaus denkt, hat vermutlich unbeschwerte Kindertage auf dem Land vor Augen – romantische Vorstellungen, wie Kinder dort Verstecken spielen, eine Sommerferiennacht verbringen oder sich irgendwelche Abenteuer ausdenken. Bei Antonius dürfte es eine Spur ruhiger zugehen. Statt von Abenteuern berichtet der Biograf von der Betrachtung, der sich der Heilige hingibt. Nach der Begegnung mit zigtausenden von Menschen während seines pastoralen Dienstes in den vergangenen Wochen wird es ihm guttun, einmal nichts und niemanden zu sehen. Er hat Zeit, die Erfahrungen und Eindrücke zu verarbeiten, manches innerlich zu sortieren und sich im Gebet und in der Lektüre der Heiligen Schrift neue Inspirationen zu holen.
Ein „Wellnessurlaub“ sind die Tage in Camposampiero zweifelsohne nicht. Es geht nicht um gutes Essen oder gar ausgiebige Massagen. Was Antonius in dieser Zeit findet, geht tiefer und ist nachhaltiger als nur ein „Tapetenwechsel“ für ein paar Tage. Er findet wieder sein inneres Gleichgewicht – und er findet es durch Ruhe und Kontemplation.
Ökologie des Herzens
Zur Urlaubszeit äußert sich auch ganz regelmäßig Papst Franziskus und gibt „Tipps“ für eine wirkliche Erholung. Bei einem Angelus-Gebet zeigte er sich überzeugt: „Es reicht nicht, ‚abzuschalten‘. Es geht darum, wirklich zur Ruhe zu kommen. Und um das zu tun, müssen wir zum Kern der Dinge zurückkehren: innehalten, still sein, beten, um nicht von der Hektik der Arbeit in die Hektik der Ferien überzugehen.“ Und wie das geht, habe Jesus selbst gezeigt: Er sei den Bedürfnissen der Menschen nicht ausgewichen, habe sich aber jeden Tag zum Gebet zurückgezogen, die Stille und innige Vertrautheit mit dem Vater gesucht.
Weiter appelliert der Papst: „Hüten wir uns vor dem Leistungsstreben, gebieten wir der Hektik Einhalt, die unsere Tagesabläufe diktiert. Lernen wir innezuhalten, das Handy auszuschalten, den Menschen in die Augen zu sehen, die Stille zu pflegen, die Natur zu betrachten, uns im Dialog mit Gott zu regenerieren.“ Er ist überzeugt: „Wenn wir lernen, wirklich auszuruhen, werden wir zu wahrem Mitgefühl fähig sein; wenn wir einen kontemplativen Blick kultivieren, werden wir unsere Aktivitäten ohne die Raffgier derer verfolgen können, die alles an sich reißen und vereinnahmen wollen; wenn wir mit dem Herrn in Verbindung bleiben und unser Innerstes nicht betäuben, dann werden die Dinge, die wir erledigen müssen, nicht die Kraft haben, uns den Atem zu rauben und uns zu verschlingen. Wir brauchen eine ‚Ökologie des Herzens‘, die aus Ruhe, Kontemplation und Mitgefühl besteht!“
Leben im Augenblick
In der Natur von Camposampiero lebt Antonius diesen Dreiklang. Sein über viele Jahre erprobter klösterlicher Lebensstil wird ihm geholfen haben, rasch wieder das innere Gleichgewicht zu finden. Denn auch das Stundengebet unterbricht ja Tag für Tag den Arbeitsalltag des Minderbruders.
Ob er aber dabei geahnt hat, dass der weitaus größte Teil seines Lebens vorüber ist? Seine geliebte Stadt Padua wird Antonius nicht mehr lebend wiedersehen. Doch im Augenblick ist all das noch „Zukunftswissen“. Jetzt zählt nur der Moment. Und den genießt Antonius in der Höhe des Nussbaums.
Gewiss darf man sich heute auch von Antonius ermutigen lassen, immer wieder Pausen vom Alltag zu suchen – und sie nicht mit „Freizeitstress“ zu füllen, sondern sie so zu gestalten, dass sie wirklich der Erholung dienen und neue Gelassenheit möglich wird.