Von Leichenbittern und anderen vergessenen Berufen

29. Juli 2024 | von

Manche kirchlichen Ämter sind im Lauf der Zeit verschwunden – was nicht auf den oft beklagten Glaubensschwund zurückzuführen ist.

In der römischen Innenstadt, dem Centro storico, befindet sich die Via dei Coronari, durch die in der frühen Neuzeit die Pilgermassen zum Vatikan zogen. Der Straßenname geht auf die Händler zurück, die dort Rosenkränze (ital. corona) und andere Devotionalien verkauften. Gelegentlich wurden sie auch als paternostrari bezeichnet. In Deutschland sprach man von Paternostermachern oder von Bernsteindrehern, weil die Rosenkränze zum Teil aus diesem Material gefertigt wurden. In den Hansestädten Lübeck und Brügge entstanden im 14. Jahrhundert die ersten Paternostermacherzünfte, die sich erst im 19. Jahrhundert auflösten. Nur nebenher bemerkt: Die Bezeichnung der in England erfundenen Paternoster-Aufzüge, die die Menschen von einem Stockwerk ins andere beförderten, leitet sich tatsächlich vom Rosenkranz her.

Arbeitslos: Buchmaler und Leichenbitter
Brotlos geworden sind seit der Erfindung der Buchdruckerkunst auch die Buchmaler und Kopisten, deren Geschicklichkeit allerdings nicht nur in kirchlichen Kreisen gefragt war. Jahrhundertelang wurden Bücher vor allem in Klöstern von Hand vervielfältigt und blieben so für die Nachwelt erhalten. Übersehen wird dabei oft, dass schon seit dem Frühmittelalter auch Ordensfrauen in Sachen Buchmalerei künstlerisch Wertvolles geleistet haben.
Zur Vergangenheit gehört auch der Beruf des Leichenbitters, der aber mehr war als eine zweibeinige Todesanzeige. Nach einem Sterbefall zog er von Haus zu Haus, um im Namen der Hinterbliebenen zum Begräbnis einzuladen. Die Wohnung jedoch sollte er tunlichst nicht betreten, weil man befürchtete, dass er Unglück bringe. An manchen Orten war er auch für die Leichenwäsche und das Ausheben des Grabs zuständig. Oft agierte er gleichzeitig als Zeremonienmeister – ein Vorläufer des heutigen Bestatters. Gelegentlich übernahm er auch das Amt des Hochzeitsbitters oder des Kindtaufbitters; den im Schriftlichen Ungeübten musste man eine Einladung eben mündlich zukommen lassen.

Aufpasser und Kirchenschweizer
Weil es früher selbst in den Kirchen nicht immer gesittet zuging, sahen sich die Obrigkeiten genötigt, eine Art „Glaubenspolizei“ einzuführen, die während der Gottesdienste für Ruhe sorgte. Noch im 19. Jahrhundert waren diese sogenannten Kirchenschweizer in vielen Kirchen anzutreffen. Als ihre Vorgänger gelten die Domstäbler, die, ausgerüstet mit einem großen Stab, einen würdigen Ablauf der liturgischen Feiern garantierten. 
Die Domschweizer, die noch immer in Köln (wo es inzwischen auch Domschweizerinnen gibt) oder Mainz ihren Dienst versehen, achten darauf, dass die Anwesenden die Würde des Gotteshauses wahren; außerdem dienen sie als Auskunftspersonen. Der Begriff Schweizer geht auf Söldner zurück, die häufig aus der Schweiz stammten und sich im Ausland als Soldaten oder Wachpersonal ihren Lebensunterhalt verdienten.
Nicht zu verwechseln mit dem Kirchen- oder Domschweizer ist der Kirchentreiber in den calvinistischen Gemeinden des 16. und 17. Jahrhunderts, der nachprüfen musste, ob die Gläubigen regelmäßig zur Kirche gingen und die Sonntagsruhe einhielten. Verstöße wurden streng geahndet.

Kirchliche Hundepeitscher
Von der Bildfläche gänzlich verschwunden sind auch die Hundepeitscher, die streunende Hunde aus den Kirchen vertrieben. Zwar war die Anwesenheit von Tieren bei Gottesdiensten in vergangenen Zeiten grundsätzlich erlaubt. Wenn sie aber den liturgischen Ablauf störten, trat der Hundepeitscher in Aktion. Der war mit einer drei Fuß langen Peitsche und einer Zange ausgestattet. Diese Instrumente dienten auch dazu, Streuner vom Gotteshaus fernzuhalten. Gelegentlich beinhaltete dieses Metier auch die Aufgabe, angetrunkene oder schlafende Gottesdienstbesucher durch Anstupsen mit einem Stock in die Wirklichkeit zurückzuholen. Auch außerhalb der Kirchen wurden sie eingesetzt, um sich um herrenlose Hunde zu kümmern, wofür heute das Veterinäramt zuständig ist. Verbreitet war der Beruf des Hundepeitschers vor allem in England zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert. Schon im 18. Jahrhundert werden die diesbezüglichen Zeugnisse seltener, weil Tiere in den Gotteshäusern immer weniger gern gesehen wurden.

Im Wandel der Zeit
Mehrere kirchennahe Berufsgruppen sind infolge des technischen Fortschritts von selbst überflüssig geworden. Als der französische Schriftsteller Victor Hugo 1831 seinen berühmten Roman Der Glöckner von Notre Dame veröffentlichte, waren nicht nur Ehrenamtliche damit beschäftigt, die Kirchenglocken zu bestimmten Anlässen und zur richtigen Zeit erklingen zu lassen, eine Tätigkeit, die ebenso viel Muskelkraft wie Pünktlichkeit erforderte und überlieferten Berichten zufolge nicht ungefährlich war. Nicht wenige Glöckner sollen im Lauf ihres Lebens aufgrund des lauten Geläuts ertaubt sein.
Nicht nur für die Glöckner, auch für die Bälgetreter war der Kirchendienst in vergangenen Zeiten ein wahrer Knochenjob. Während der Organist beschwingt in die Tasten griff, waren Letztere dafür zuständig, dass die Königin der Instrumente hinreichend Luft abkriegte. Bei großen Orgeln sorgten mitunter bis zu zehn Bälgetreter mit Händen und Füßen dafür, dass ein fingerfertiger Musikus mit den von ihm gespielten Tonwerken für festtägliche Stimmung im Gotteshaus sorgen konnte. Als immer mehr Kirchen ans Stromnetz angeschlossen wurden, fand die schweißtreibende Aktivität der Glöckner und Bälgetreter ganz von selbst ein Ende.
Obwohl viele kirchliche Berufe längst der Vergangenheit angehören, bleibt Jesu Aufruf aktuell: „Bittet den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden!“ (Mt 9,38) Entgegen einer weitverbreiteten Auffassung bezieht sich das keineswegs ausschließlich auf das Priestertum. Vielmehr fordert Jesus die Seinen auf, möglichst viele Menschen zu motivieren, sich dafür einzusetzen, dass das Reich Gottes schon jetzt ein Stück weit Wirklichkeit wird.
 

Zuletzt aktualisiert: 29. Juli 2024
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