Am Anfang waren Kinderbücher
Vor 50 Jahren verstarb Erich Kästner. Der deutsche Schriftsteller, Publizist, Drehbuchautor und Kabarettdichter zählt zu den Autoren von Weltgeltung.
Wenn man den Namen Erich Kästner ausspricht, fallen den meisten sofort einige seiner berühmten Kinderbücher ein: „Emil und die Detektive“, „Pünktchen und Anton“, „Das fliegende Klassenzimmer“ und „Das doppelte Lottchen“. Diese Werke sind in Dutzende von Sprachen übersetzt worden und haben weltweit eine Millionenauflage erreicht. Sie sind selbst in fremden Ländern so beliebt, dass sie zu Lehrbüchern der deutschen Sprache wurden.
Zwischen Liebe und Drill
Doch das schriftstellerische Wirken des 1899 in Dresden geborenen Kästners ist vielfältiger. Er wuchs in kleinbürgerlichen Verhältnissen als Einzelkind auf. Sein Vater Emil verdiente den Lebensunterhalt der Familie als Facharbeiter in einer Kofferfabrik in Dresden. Seine Mutter Ida arbeitete als Dienstmädchen und Heimarbeiterin und schulte Mitte 30 um zur Friseurin, um Geld zu verdienen für die Ausbildung ihres Sohnes. Diese besondere Beziehung schilderte Kästner in seinem autobiographischen Werk „Als ich ein kleiner Junge war“ mit den Worten: „Sie liebte mich und niemanden sonst. Sie war gut zu mir, und darin erschöpfte sich ihre Güte. Ihr Leben galt mit jedem Atemzug mir, nur mir.“ Kästner erwiderte diese Liebe seiner Mutter. Beide „spielen die Rollen der vollkommenen Mutter und des vollkommenen Sohnes mit einer zwanghaften, beinahe selbstzerstörerischen Konsequenz“, schreibt die Biografin Isa Schikorsky. Um Lehrer zu werden, besuchte Kästner seit 1913 das Lehrerseminar in Dresden. 1917 wurde er zum Militärdienst einberufen. Die Brutalität seines Ausbilders Waurich hat er in dem Gedicht „Sergeant Waurich“ niedergeschrieben. Der harte Drill führte bei Kästner zu einer lebenslangen Herzschwäche und machte ihn zeit seines Lebens zum Antimilitaristen. 1919 legte Kästner sein Abitur mit Bravour ab und erhielt dafür das Goldene Stipendium der Stadt Dresden.
Von Leipzig nach Berlin
Von 1919 bis 1927 wurde Leipzig der Lebensmittelpunkt Kästners. Er studierte Geschichte, Philosophie, Germanistik und Theaterwissenschaft. Mit vielen Beschäftigungen musste er in diesen Jahren der Hyperinflation sein Studium finanzieren. Trotzdem schaffte er es, seine Studien 1925 mit einer germanistischen Doktorarbeit als Dr. phil. abzuschließen. Seit 1923 schrieb Kästner für das Feuilleton der „Neue Leipziger Zeitung“ Besprechungen zu Theater, Literatur und Kunstausstellungen.
Im Jahr 1927 zog Kästner nach Berlin. Als freier Mitarbeiter arbeitete Kästner für verschiedene Tageszeitungen und Zeitschriften. 1928 veröffentlichte Kästner seinen ersten Gedichtband „Herz auf Taille“. Die Gedichte illustrierte sein Freund Erich Ohser, mit dem er kongenial zusammenarbeitete. Weitere drei Gedichtbände folgten bis 1932: „Lärm im Spiegel“, „Ein Mann gibt Auskunft“ und „Gesang zwischen den Stühlen“. Kästner stand politisch links und thematisierte das Leben der kleinen Leute. Mit seiner „Gebrauchslyrik“ fühlte er sich der Aufklärung verpflichtet, den Menschen durch Einsicht zu bessern.
Weltruhm und Verfilmungen
Mit „Emil und die Detektive“ begann 1929 sein Weltruhm. Es folgten in den nächsten Jahren die eingangs zitierten Kinderbücher. Neu war, dass die Romane in Großstädten spielten und die tatsächlichen Probleme der Kinder thematisierten. Zu den Kinderbüchern schrieb Kästner außerdem Theaterfassungen, und bald wurden sie auch verfilmt.
Im Oktober 1931 erschien Kästners erster Roman: „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“. In diesem Roman schilderte Kästner anhand zweier Freunde das Leben von Intellektuellen im Berlin der 1930er Jahre. „Den beiden Hauptfiguren hat Kästner die eigenen Zweifel am Sinn des Lebens und an seinen moralischen Überzeugungen eingeschrieben“, urteilt Isa Schikorsky.
Kriegs- und Nachkriegsjahre
Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30.1.1933 blieb Kästner – im Unterschied zu vielen anderen regimekritischen Künstlern – in Berlin. Seine Begründung in einem Epigramm wurde berühmt:
„Ich bin ein Deutscher aus Dresden in Sachsen.
Mich lässt die Heimat nicht fort.
Ich bin wie ein Baum, der – in Deutschland gewachsen –
wenn‘s sein muss, in Deutschland verdorrt.“
In den Jahren der Nazidiktatur und des Zweiten Weltkriegs schlug sich Kästner als Drehbuchautor in Berlin durch. Freunde aus der Filmwelt nahmen ihn im März 1945 zu Dreharbeiten mit nach Südtirol, wo sie das Kriegsende abwarteten. Im Juni 1945 zog Kästner in das zerstörte München. Er leitete bis 1948 das Feuilleton der Neuen Zeitung, er gab die Kinder- und Jugendzeitschrift „Pinguin“ heraus und schrieb Texte für das Kabarett „Die Schaubude“. Besonders erwähnenswert ist die märchenhafte Tierparabel von 1949, „Die Konferenz der Tiere“, in der Kästner noch einmal seine Utopie von Humanismus entfaltete.
„Berühmt und resigniert zugleich“ titelt Isa Schikorsky über die letzten 25 Jahre Kästners in München. Er erhielt viele Auszeichnungen, war als Pazifist gegen die Aufrüstung aktiv, arbeitete als Drehbuchautor und schrieb Kabaretttexte. Die Beziehung zu Friedel Siebert schenkte ihm 1957 den gemeinsamen Sohn Thomas. Gesundheitliche Probleme belasteten seine letzten 15 Lebensjahre. Am 29. Juli 1974 verstarb er in einem Münchner Krankenhaus.