So einfach gehen?

23. September 2024 | von

Heiligenlegenden berichten oft ein wenig verklärt vom Leben und dann auch vom Sterben der Beschriebenen. Ob Antonius wirklich so einfach von dieser Welt gegangen ist, wie es die Assidua uns glauben macht? Und wenn ja, was hat ihm wohl diese Zuversicht gegeben?

Nach Camposampiero hatte sich Antonius zurückgezogen, um neue Kräfte zu sammeln – oder jedenfalls, um sich von den strapaziösen Fastenpredigten und den damit verbundenen Verpflichtungen in Padua ein wenig zu erholen. Jeder Mensch braucht solche Pausen vom Alltag. Urlaubstage, Exerzitien oder auch Gesundheitskuren können dazu beitragen, dass der Mensch neue Lebendigkeit erhält. Doch der Verfasser der Antonius-Biografie Assidua deutet rasch den Aufenthaltsort in einem tieferen Sinn. Antonius zieht sich nicht einfach zur Erholung in das vom Grafen Tiso gebaute „Baumhaus“ zurück. Vielmehr: „Dies war sein letzter Aufenthaltsort unter den Lebenden. Indem er zu seiner Zelle auf den Baum hinaufstieg, zeigte er, dass er sich dem Himmel näherte.“

Von hier nach drüben
Was so fromm klingt, bedeutet aber auch, dass ein geliebtes, ein leidenschaftlich gelebtes Leben an sein doch irgendwie noch unerwartetes Ende kommt. Der Tod des Antonius ist nicht mehr weit. Der zweite Teil der Assidua beginnt dann auch mit folgenden Zeilen: „Im Jahr des Herrn 1231, in der vierten Indiktion [Teil eines 15-jährigen Zyklus zur Jahreszählung; von der Spätantike bis zum Ende des Mittelalters in Gebrauch], am 13. Tag des Monats Juni, am 6. Tag der Woche, da unternahm der selige Pater und unser Mitbruder Antonius, der von der iberischen Halbinsel stammte, in der Stadt Padua, in der der Höchste durch sein Wirken seinen Namen lobpries, die Reise aller Sterblichen. Glückselig gelangte er zum Sitz der himmlischen Geister.“ 
Es klingt fast ein wenig „harmlos“, was der Biograf da schreibt. Es klingt nach einem „Transitus“ in bester franziskanischer Manier, einem schlichten „Hinübergang“ vom Leben hier auf Erden in die Existenz mit Gott. Das Leben lassen, so als wäre nichts. 

Ringen mit Gott
Weit näher sind einem da vielleicht die Worte von Christof Schlingensief, dem deutschen Film- und Theaterregisseur, Autor und Aktionskünstler, der 2010 seiner Krebserkrankung erlag und zuvor eine Art Krebstagebuch veröffentlicht hatte: „So schön wie hier kann es im Himmel gar nicht sein!“
Wortgewaltig bringt er dort seinen Kampf ums Leben und sein Ringen mit Gott im Angesicht von Krankheit und dem nahenden Tod zu Papier: „Jedenfalls ist das Verhältnis zu Gott und zu Jesus zerrüttet. Ich dachte, dass ich im Kern beschützt sei. Von Gottes Gnaden behütet, belohnt mit Tausenden von Möglichkeiten, gesegnet mit einem langen Leben, mit vielen, vielen Dingen, Bildern, Fragen, Antworten, Fragen, die sich aus Antworten ergeben. … Und das, lieber Gott, ist die größte Enttäuschung. Dass du ein Glückskind einfach so zertrittst, du bist jedenfalls gerade dabei, das zu tun. Und all die anderen Leute, die an dich glauben, zertrittst du auch, zum Beispiel die, die nach Lourdes laufen und dennoch nicht geheilt werden. Pure Ignoranz ist das. … Ich bin zutiefst verletzt in meinem Gottvertrauen, in meiner Liebe zum Leben, zur Natur – ich will mich nur noch betrunken unter den Sternenhimmel von Afrika setzen und mich auflösen. Aber dann kommt das christliche Geschwätz, seinen Mann nicht gestanden, sich der Sache entzogen, dem Problem entzogen, wir haben doch alles getan, Intensivmedizin stand zur Verfügung, und er hat sich einfach hängen lassen. … Ja, mein Gott, das muss man doch mal sagen müssen, verdammt!“

Sterben in Phasen
Dass Sterben keineswegs so „glatt“ verläuft, hat Elisabeth Kübler-Ross, die schweizerisch-amerikanische Psychiaterin, in zahlreichen Publikationen verdeutlicht. Sie beschreibt in ihrem Modell fünf Sterbephasen, die Menschen durchlaufen, wenn sie mit dem Tod konfrontiert sind. Die erste Phase ist das Leugnen: Die Person kann die Realität des bevorstehenden Todes nicht akzeptieren. Man will es nicht wahrhaben, dass das Leben zu Ende geht. Die zweite Phase ist der Zorn, in der die Person wütend auf sich selbst, andere oder das Schicksal wird: Warum ich? Warum jetzt? Warum so? Was habe ich denn getan?! In der dritten Phase, dem Verhandeln, versucht die Person, durch Verhandlungen oder Abmachungen mit höheren Mächten den Tod hinauszuzögern. Vielleicht lässt sich das Leben ja durch irgendein Versprechen oder irgendeinen besonderen Vorsatz zumindest ein wenig verlängern… Die vierte Phase ist die Depression, in der die Person tiefe Trauer und Hoffnungslosigkeit empfindet. Es tut unendlich weh, das geliebte Leben lassen zu müssen. Schließlich erreicht die Person die fünfte Phase, die Akzeptanz, in der sie den bevorstehenden Tod akzeptiert und Frieden damit findet. – Nun wird nicht jeder Mensch diese Phasen idealtypisch durchlaufen. Doch sie machen deutlich: So einfach geht man nicht. Und es wird wohl auch Antonius nicht nur leicht gefallen sein, den herannahenden Tod anzunehmen. 

Gläubige Zuversicht
Dennoch gehört zum Wesen des Christentums eine Zuversicht aus dem Glauben heraus, gerade auch im Angesicht des Todes. Der Apostel Paulus fasst diese gläubige Gewissheit in seinem 2. Brief an die Gemeinde von Korinth zusammen: „Wir wissen: Wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, dann haben wir eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel. Im gegenwärtigen Zustand seufzen wir und sehnen uns danach, mit dem himmlischen Haus überkleidet zu werden. So bekleidet, werden wir nicht nackt erscheinen. Solange wir nämlich in diesem Zelt leben, seufzen wir unter schwerem Druck, weil wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, damit so das Sterbliche vom Leben verschlungen werde. Gott aber, der uns gerade dazu fähig gemacht hat, er hat uns auch als ersten Anteil den Geist gegeben. Wir sind also immer zuversichtlich, auch wenn wir wissen, dass wir fern vom Herrn in der Fremde leben, solange wir in diesem Leib zu Hause sind; denn als Glaubende gehen wir unseren Weg, nicht als Schauende. Weil wir aber zuversichtlich sind, ziehen wir es vor, aus dem Leib auszuwandern und daheim beim Herrn zu sein.“ (2 Kor 5,1-8) – Paulus ist davon überzeugt, dass auf den Menschen nach der Mühsal dieses Lebens, die ja zum Kostbaren der menschlich-irdischen Existenz immer auch gehört, etwas Wunderbares erwartet: eine ewige Wohnung bei Gott. Und dann wird endgültig alles gut sein. 

Versöhnt gehen
Ob der Mensch mit dieser christlichen Zuversicht leichter zu gehen vermag? Stirbt es sich leichter, wenn man an ein „Danach“ glauben kann? Diese Frage lässt sich wohl immer nur individuell beantworten. Alles, was mit Tod und Sterben zu tun hat, ist ein höchst intimes Geschehen – schon allein deshalb, weil es so viele Arten gibt zu sterben: plötzlich und unerwartet, nach langer Krankheit, beim tragischen Unfall, im Kreis der Liebsten, einsam und verlassen, jung oder alt, lebenssatt oder noch voller Pläne,… 
Heilige wie Antonius können dann aber vielleicht doch exemplarisch dafür stehen, dass es so etwas wie eine christliche Gelassenheit auch im Angesicht des Todes geben kann. Es ist etwas anderes, ob man auf das Sterben zugeht und denkt, dass danach alles aus ist – oder ob man glauben kann, dass da noch etwas kommt. Antonius weiß, dass er sich dem Himmel nähert, und er scheint seinen Frieden damit gemacht zu haben. Und so „altmodisch“ es heute vielleicht auch klingen mag: Es lohnt sich doch, um eine gute Sterbestunde zu beten. 

Zuletzt aktualisiert: 23. September 2024
Kommentar