Die Provinz Austria entsteht
In Österreich leben und wirken Minderbrüder seit rund 800 Jahren in der Nachfolge des hl. Franziskus von Assisi. Sie haben dabei markante Spuren hinterlassen, nicht nur durch ihre ausgeprägte Seelsorge und Frömmigkeit – sichtbar in ihren noch heute existierenden Kirchen- und Klosterbauten –, sondern auch auf Gebieten, die wir nicht unmittelbar mit der franziskanischen Lebensweise verbinden.
Minderbrüder in der Alpenrepublik prägten über Jahrhunderte die österreichische Musikgeschichte auf vielfältige Weise mit: als Musiker, Komponisten, Dirigenten und Instrumentenbauer. Mit anderen Worten: Es gibt in der Geschichte Österreichs kaum einen historisch relevanten Bereich, in dem kein franziskanischer Fußabdruck zu erkennen ist. Die eigene Geschichte war immer verflochten mit der Geschichte von Kirche, Politik, Gesellschaft und Kultur in Österreich. Davon zeugen unzählige Dokumente, Bücher, Kunstwerke und Dinge des Alltags, die sich in diversen Archiven, Bibliotheken, Museen und Kunstdepots im ganzen Land befinden. So mannigfaltig sich die geschichtliche Präsenz der Minderbrüder, die sich ja in der Gegenwart fortschreibt, dokumentieren lässt, so dicht liegt der Nebelschleier über der Gründung und den Anfängen der Provinz Austria als Ausgangspunkt der langen Geschichte.
Internationalität der ersten Generation
Nur selten und dann bestenfalls rudimentär berichten die Chroniken und Annalen des 13. und 14. Jahrhunderts über die Ankunft und Verbreitung des Ordens in den verschiedenen Herrschaften im Gebiet des heutigen Österreichs. Zwar erzählt Bruder Jordan von Giano in seiner Chronik über die Ausbreitung des Ordens in Deutschland von seiner Reise nach Salzburg im Spätherbst 1221, doch gelang es ihm und seinen zwei mitreisenden Ordensbrüdern trotz freundlicher Aufnahme durch den Ortsbischof nicht, dort dauerhaft Fuß zu fassen. Die von einem Minorit 1724 verfasste Geschichte der Klostergründung in Wien im Jahr 1224 hält einer Quellenüberprüfung nicht stand, gleichwohl ist es wahrscheinlich, dass der Wiener Konvent als Ausgangspunkt für die franziskanische Expansion in Österreich diente. Es lässt sich begründet vermuten, dass sich die Brüder in den späten 1220er Jahren in Wien niederließen und rasch um weitere Niederlassungen im Herrschaftsbereich der Babenberger Herzöge bemühten. Woher die ersten Brüder der sich ausbildenden Provinz Austria kamen, ist nicht mit Sicherheit bekannt, möglicherweise gehörten sie zu den Brüdern, die der Provinzial der Deutschen Provinz um 1230 nach Böhmen, Ungarn und Polen ausgesandt hatte, um den Orden in diesen Ländern anzusiedeln. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass unter den ersten Minderbrüdern in Österreich ein größerer Teil nicht von dort, sondern aus den angrenzenden Ländern, aus Italien oder sogar England stammten, wie dies für andere Provinzen des Ordens belegt ist. Internationalität war Normalität für die erste Generation von Brüdern in dem sich rasant ausbreitenden Orden des Armen aus Assisi. In welcher zeitlichen Reihenfolge die Brüder welche Stadt von Wien aus aufsuchten, dort predigten und „arm unter den Armen“ lebten sowie um Unterstützung bei der Errichtung eines Konvents warben, ist für die Austria nur in sehr groben Zügen nachzuzeichnen. Auffällig ist die Nähe zum ortsansässigen Adel, auf dessen Schutz und Förderung die Brüder bei ihren Klostergründungen angewiesen waren. Hingegen blieben die Versuche, in den Bischofsstädten Salzburg und Passau Niederlassungen zu etablieren, das gesamte Spätmittelalter hindurch ohne Erfolg. Diese Situation steht konträr zu den Ausbreitungsstrategien in Deutschland, aber auch Italien, wo die Bischöfe als erste „Ansprechpartner“ für die ankommenden Brüder fungierten.
Unterwegs mit päpstlichem Auftrag
Das früheste Zeugnis der Existenz der Provinz Austria geben zwei Schreiben Papst Gregors IX. vom 20. Juli 1235 an den „ministro provinciali fratrum Minorum in Austria“, in denen Gregor den namentlich nicht genannten Provinzial auffordert, geeignete Brüder seiner Provinz zur Kreuzzugspredigt im Herzogtum Österreich abzustellen, denen es erlaubt ist, ihren Zuhörern einen Ablass ihrer Sündenstrafen zu erteilen. Gregor IX. kannte die franziskanische Bewegung seit frühester Zeit, war als Kardinallegat Protektor des sich formierenden Ordens und dann als Papst darauf bedacht, die „Normalisierung des Franziskanerordens“ (André Vauchez) in seinem Sinn zu betreiben. Dazu gehörte für Gregor, die Franziskaner für seine vorrangigen politischen Ziele einzuspannen: den Kreuzzug im Heiligen Land und seinen Dauerkonflikt mit Kaiser Friedrich II. zu führen. Überdies spiegeln die Mandate aber auch, dass um 1235 die Provinz personell und organisatorisch bereits ausreichend aufgestellt ist, sodass sie Brüder für den päpstlichen Auftrag abzustellen vermag. In dieses Bild passt dann auch die erste urkundliche Erwähnung eines Provinzkapitels, das im August 1241 in Graz unter der Führung des Provinzials Johannes abgehalten wurde. In Graz sind die Brüder erstmals 1239 nachzuweisen, werden aber wohl schon einige Jahre früher in der Stadt an der Mur tätig gewesen sein. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts werden erstmals die beiden demnach ältesten Kustodien der Provinz, Steiermark (1254) und Wien (1258), urkundlich erwähnt. Das Ende der Expansion der Austria scheint gegen Ende des 14. Jahrhunderts erreicht worden zu sein, als sie, in sechs Kustodien eingeteilt, über insgesamt 25 Konvente verfügte. Hinzu kamen noch acht Klarissenklöster, die ordensrechtlich und seelsorglich der Provinz unterstanden.