Es gibt Wichtigeres im Leben, als beständig dessen Geschwindigkeit zu erhöhen. (Mahatma Gandhi)
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Per Zufall bin ich vor einigen Tagen wieder auf ein kleines Buch in meinem Bücherregal gestoßen: Hilde Domin, Sämtliche Gedichte. Ich hatte es mir in der „Corona-Zeit“ gekauft. Damals war ich irgendwo auf eine Zeile dieser Schriftstellerin (1909-2006) gestoßen und neugierig auf ihre Texte geworden. „Meine Hand / greift nach einem Halt und findet / nur eine Rose als Stütze.“ – Diese Gedanken haben mich damals fasziniert.
Nun will ich die Corona-Pandemie mit ihren zahllosen Opfern, den Einschränkungen und Zerwürfnissen nicht verklären: Gott sei Dank ist diese schreckliche Zeit vorbei! Aber wenn ich zurückblicke, hatte ich damals für eine ganze Weile ein schon verloren geglaubtes Gefühl für Zeit. Denn plötzlich gab es wieder Zeit. Natürlich hatte der Tag auch nur 24 Stunden und damit immer zu wenig. Aber die Zeit war für ein paar Momente freier und weniger gefüllt. Ich habe Gedichte gelesen, Briefe geschrieben und bin abends im Zimmer immer noch ein wenig im Sessel gesessen und habe vor mich hin sinniert. 
Der Gedichtband ist zurück im Regal. Und den Sessel habe ich vor ein paar Monaten aus meinem Zimmer geschafft, um mehr Platz für Aktenordner zu haben. Die Tage sind getaktet wie eh und je. Nicht, dass ich unzufrieden wäre. Ein besseres Leben könnte ich mir kaum vorstellen. Doch was ich bisweilen vermisse, ist die unverzweckte Zeit. Einfach sitzen und schauen. Ohne Zeitdruck, ohne Abgabefrist, ohne Erwartung von mir oder anderen. – Ich denke oft an eine Frau, die vor längerem einen Kurs bei uns im Bildungshaus besucht hat. In der Einstiegsrunde am Freitagabend sollten die Teilnehmenden ihre Erwartungen an den Kurs formulieren. Sie reagierte reichlich unwirsch: „Ich möchte jetzt nichts erwarten müssen. Ich will einfach da sein. Ich will einfach diese Tage auf mich zukommen lassen!“ Das hat mich ziemlich überzeugt.
Auch wenn der November klassischerweise keine Vorsätze kennt: Für diesen oft so trübseligen Monat habe ich mir vorgenommen, dass ich mir die Zeit nehmen will, manchmal einfach zu sitzen und meine Gedanken auf Reise zu schicken…
Sie finden hoffentlich in dieser Ausgabe des Sendboten inspirierende Gedanken, wissenswerte Informationen und weiterführende Gedanken für Ihren Glauben.

Herzlich, Ihr Br. Andreas
 

Zuletzt aktualisiert: 01. November 2024
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