60 Jahre Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils

03. Oktober 2022 | von

Der heilige Johannes XXIII., ein unscheinbarer Mann aus einfachen Verhältnissen, in hohem Alter zum Papst gewählt, hat der Kirche im 20. Jahrhundert den wohl wichtigsten Impuls gegeben: das Zweite Vatikanische Konzil. Der Beitrag widmet sich schwerpunktmäßig der spannenden Vorgeschichte und der ersten Sitzungsperiode des Konzils.

„Plötzlich entsprang in Uns eine Eingebung wie eine Blume, die in einem unerwarteten Frühling blüht. Unsere Seele wurde von einer großen Idee erleuchtet. … Ein Wort, feierlich und verpflichtend, formte sich auf Unseren Lippen. Unsere Stimme drückte es zum ersten Mal aus – Konzil.“ Mit diesen Worten beschreibt Johannes XXIII. selbst das Entstehen der Konzilsidee während seiner täglichen Lagebesprechung mit Kardinalstaatssekretär Tardini in seinem Geistlichen Tagebuch unter dem Datum 20. Januar 1959. Schon wenige Tage später, am 25. Januar 1959, rief er im Anschluss an einen Gottesdienst in St. Paul vor den Mauern die 17 in Rom anwesenden Kardinäle zu einer Besprechung im dortigen Kapitelsaal zusammen und eröffnete ihnen sein Vorhaben: „Ehrwürdige Brüder und geliebte Söhne! Gewiss ein wenig zitternd vor Bewegung, aber zugleich mit demütiger Entschlossenheit im festen Vorsatz sprechen Wir vor euch den Namen und das Vorhaben einer doppelten feierlichen Veranstaltung aus: einer Diözesansynode der Stadt Rom und eines Ökumenischen Konzils für die Gesamtkirche.“

Aller Kritik zum Trotz

Statt Zustimmung erntete der Papst von den anwesenden Kardinälen „ein frommes und eindrucksvolles Schweigen“, wie er selbst schreibt. Die Kritik an seinem Vorhaben war beißend und eines brüderlichen Umgangs miteinander unwürdig. Der Erzbischof von Genua, Kardinal Siri – heute würde man ihn als „Hardliner“ beschreiben – ließ verlauten: „Die Kirche wird 50 Jahre brauchen, um sich von den Irrwegen Johannes‘ XXIII. zu erholen.“ Kardinal Spellman aus New York sagte: „Ich glaube nicht, dass der Papst ein Konzil einberufen wollte, aber er wurde dazu von Leuten gedrängt, die seine Worte verdreht haben.“ Der ihm wohlgesonnene Giovanni Battista Montini, Erzbischof von Mailand, als Paul VI. sein späterer Nachfolger, erkannte sofort die Konfliktträchtigkeit der Konzilsankündigung: „Dieser heilige alte Knabe scheint nicht zu merken, in was für ein Hornissennest er da sticht.“

Doch die vielen Kritiken konnten die „demütige Entschlossenheit“ des Papstes nicht beeindrucken. Mitte Mai 1959 nahm eine Kommission für Konzilsvorarbeiten ihre Arbeit auf. Bischöfe, Ordensobere und katholische Fakultäten weltweit wurden eingeladen, Themen für die Beratungen zu benennen. Insgesamt 2150 „Postulate“ kamen an die Kommission zurück.

Eifrige Vorbereitungen

Im Juni 1960 organisierte der Papst in seinem Schreiben Superno Dei nutu die Vorbereitungsarbeiten weiter, indem er eine Zentralkommission, zehn weitere Kommissionen und drei Sekretariate einsetzte. Die Kommissionen wurden paritätisch besetzt: zum einen mit Theologen, Kirchenrechtlern und Kardinälen der römischen Kurie, zum anderen mit Bischöfen und Ordensoberen der Weltkirche. Die eingesetzten Kommissionen erarbeiteten 69 Vorlagen. Viele dieser Vorlagen wurden von der Zentralkommission, der der Papst vorstand, zurückgewiesen.

Außerdem gab er dem einzuberufenden Konzil seinen Namen: „Zweites Vatikanisches Konzil“. Damit machte er deutlich, dass es nicht um eine Weiterführung des Ersten Vatikanischen Konzils gehen sollte, das nach der Besetzung Roms im Jahre 1870 ohne einen offiziellen Abschluss auseinander gegangen war. In seiner Pfingstpredigt erläuterte Johannes XXIII., dass das Konzil ein Seelsorge-Konzil bzw. Pastoral-Konzil werden sollte: Nicht lehramtliche Entscheidungen, sondern die Vermittlung der Frohen Botschaft in die heutige Zeit sollten das Thema sein. Am Weihnachtstag 1961 wurde in allen vier Hauptbasiliken Roms (St. Peter, Lateran, St. Paul vor den Mauern und Maria Maggiore) die Bulle Humanae salutis verlesen, mit der das Konzil einberufen wurde, am 2. Februar 1962 wurde der 11. Oktober als Datum der Eröffnung festgelegt.

Schon die äußeren Vorbereitungen waren gewaltig. Ca. 2.750 Bischöfe und Ordensobere waren als stimmberechtigte Konzilsväter eingeladen. Dazu kamen Begleitpersonal und Berater sowie die offiziell als Beobachter eingeladenen Mitglieder der anderen christlichen Konfessionen mit ihren Delegationen. Man schätzt, dass für ca. 10.000 Menschen Quartiere bereitgestellt werden mussten. Das Längsschiff von St. Peter wurde zur Konzilsaula umgebaut, wo ca. 3.000 Personen an den Vollversammlungen teilnehmen konnten.

Strukturiertes Arbeiten

Am 6. August 1962 wurde die Geschäftsordnung vom Papst in Kraft gesetzt. Es gab Vollversammlungen („Generalkongregationen“), die ein Kardinal leitete, und feierliche Sitzungen („Sessionen“), bei denen der Papst selbst den Vorsitz führte. Viel Arbeit geschah auch in den zehn Kommissionen, deren Aufgabe es war, geforderte Änderungen in die Texte einzuarbeiten und Texte neu zu redigieren, in manchen Fällen sogar Texte neu zu entwerfen. In allen Arten der Sitzungen wurde die qualifizierte Mehrheit (Zweidrittelmehrheit) für die Zustimmung gefordert. Jeder „Konzilsvater“ hatte Rederecht, musste aber seinen Redebeitrag drei Tage vorher beim Generalsekretär anmelden. Die Redezeit wurde auf zehn Minuten begrenzt. Als offizielle Verhandlungssprache wurde Latein festgelegt.

Vorsehung statt Unglücksprophetie

Am 11. Oktober 1962 bewegte sich eine beeindruckende Schar von 2.540 stimmberechtigten Mitgliedern in ihren Bischofsgewändern über den Petersplatz in Richtung St. Peter. Johannes XXIII. ging zu Fuß mit. Er verzichtete auf die Tiara, die Papstkrone, sondern trug die Mitra wie alle seine Bischofskollegen. Nach einem Gottesdienst zum Heiligen Geist eröffnete der Papst das Konzil mit seiner Predigt. Klar benannte er die Widerstände und bekannte seine zuversichtliche Sicht auf die Heilswege Gottes: „Wir aber sind völlig anderer Meinung als diese Unglückspropheten, die immer das Unheil voraussagen, als ob die Welt vor dem Untergang stünde. In der gegenwärtigen Entwicklung der menschlichen Ereignisse muss man viel eher einen verborgenen Plan der göttlichen Vorsehung anerkennen.“ Ausführlich legte er dann die pastorale Aufgabe des Konzils dar. „Heute dagegen möchte die Braut Christi (sc. eine Bezeichnung für die Kirche) lieber das Heilmittel der Barmherzigkeit anwenden als die Waffe der Strenge erheben. Sie glaubt, es sei den heutigen Notwendigkeiten angemessener, die Kraft ihrer Lehre ausgiebig zu erklären als zu verurteilen. … Sie will sich damit als eine sehr liebevolle, gütige und geduldige Mutter erweisen, voller Erbarmung und Wohlwollen zu ihren Kindern, die sie verlassen haben.“ Es sind wegweisende Worte, die bis heute nichts an ihrer Gültigkeit verloren haben. Als ein weiteres Anliegen war Johannes XXIII. wichtig, durch das Konzil Schritte zu gehen für die Einheit der Christen und gar der gesamten Menschheit. Schon im Vorfeld des Konzils hatte er dieses Anliegen durch die Errichtung des Einheitssekretariates unter Leitung des Jesuiten Bea gefördert. Mit folgender Aufforderung entließ er die Konzilsväter an ihre Arbeit: „…und Ihr folgt gewissenhaft den Eingebungen des Heiligen Geistes und gebt Euch eifrig Mühe, dass Eure Arbeit den Erwartungen und Bedürfnissen der verschiedenen Völker in höchstem Maße entspricht.“

Gespräche und Beratungen

Die erste Arbeitssitzung des Konzils am 13. Oktober endete überraschend schnell. Es stand nur die Wahl der Konzilskommissionen auf der Tagesordnung. 16 Mitglieder sollten von den Konzilsvätern gewählt werden, acht wurden vom Papst ernannt. Die römische Kurie hatte schon Wahllisten mit Vertretern ihrer Linie vorbereitet. Doch die Kardinäle Liénart (Lille) und Frings (Köln), beide im Präsidium des Konzils, meldeten sich zu Wort und schlugen eine Verschiebung der Wahl vor, damit man sich besser kennenlerne und miteinander beraten könne. Das Plenum antwortete auf diesen Vorschlag mit aufbrausendem Applaus. Die Wahl wurde auf den 16. Oktober verschoben. Der amerikanische Bischof R.J. Dwyer kommentierte das Erlebte: „Wir merkten, dass wir ein Konzil waren – und keine Klasse von Schuljungen.“ Die Konzilsteilnehmer nutzten die drei Tage zu Gesprächen und Beratungen und wählten am 16. Oktober die Kommissionsmitglieder. Deren Mitglieder kamen nun aus allen Kontinenten und spiegelten die Weltkirche zutreffender wider.

In den folgenden Wochen bis zum 8. Dezember trafen sich die Konzilsväter zu 36 Generalkongregationen, es gab 640 Wortmeldungen und 33 Abstimmungen. Diskutiert wurden in diesen Wochen folgende Themen: die Liturgie, die Offenbarung, die sozialen Kommunikationsmittel, die orientalischen Kirchen und die Kirche. Keines der genannten Themen konnte abgeschlossen werden. Während das Konzil sich bei den Leitgedanken zum Thema Liturgie einigen konnte, wurde der vorgeschlagene Text zum Thema Offenbarung heftig kritisiert. Papst Johannes XXIII. griff in dieser Situation in die Debatte ein und ordnete an, den Text De fontibus revelationis zurückzuziehen, damit er von einer Gemischten Kommission überarbeitet würde.

Zeitprobleme

In den Novemberwochen des Jahres 1962 musste es dem Papst bewusst geworden sein, dass die Arbeiten des Konzils nicht in einer Sitzungsperiode zu bewältigen waren. Davon waren Papst und römische Kurie zunächst ausgegangen. Für Papst Johannes XXIII. war diese Einsicht besonders schmerzlich, weil er in diesen Wochen von seinem Arzt erfahren hatte, dass seine Erkrankung ihm nur noch wenige Monate Lebenszeit gewähren würde. In dieser Phase werden die Beiträge von zwei Konzilsvätern wichtig. Der eine ist Kardinal Suenens, der Erzbischof von Brüssel. Sein Vorschlag war, die vielen Themen zwei übergeordneten Themen zuzuordnen: Leben der Kirche nach innen und Leben der Kirche nach außen. Der andere ist Kardinal Montini, Erzbischof von Mailand. Er schlug als Hauptthema „die Kirche“ vor mit den drei Aspekten: das Geheimnis der Kirche, ihre Sendung und ihr Handeln und drittens ihre Beziehungen zu den nicht zur Kirche gehörenden Menschen und Gruppen. Papst Johannes XXIII. bat die beiden Kardinäle, ihre Vorschläge den Konzilsvätern vorzustellen, was in den Generalkongregationen des 4. und 5. Dezember geschah. Nun war klar, dass die Konzilsarbeiten in weiteren Sitzungsperioden weitergehen würden.

Am 6. Dezember 1962 erließ der Papst Direktiven, wie die Fülle der Themen und deren Texte gekürzt und koordiniert werden sollten. Dazu setzte er eine Koordinierungskommission ein, in die er auch den Münchner Erzbischof Döpfner berief. Diese hielt engen Kontakt mit den Konzilsteilnehmern und konnte im Mai 1963 schon neue Entwürfe an diese senden.

Am 3. Juni 1963 starb Johannes XXIII. Die katholische Welt hielt den Atem an. Denn mit seinem Tod waren die Arbeiten des Konzils suspendiert. Doch sein Nachfolger Paul VI. erklärte schon wenige Tage nach seiner Wahl am 21. Juni 1963, dass er das begonnene Konzil fortsetzen werde.

Bleibende Aktualität

In den Jahren 1963 bis 1965 tagte das Konzil jeweils in drei Sitzungsperioden, die sich von September bis Dezember erstreckten. Insgesamt verabschiedete das Zweite Vatikanische Konzil 16 Dokumente, in denen die Katholische Kirche ihr Selbstverständnis nach innen und nach außen klärte.

Heute, 60 Jahre nach der feierlichen Eröffnung des Konzils, hat sich die Krise der Katholischen Kirche auf andere Weise zugespitzt. In den letzten 20 Jahren wurde in vielen Ländern (z.B. USA, Irland, Chile, Deutschland u.a.) öffentlich, dass furchtbare Taten von sexualisierter Gewalt an Minderjährigen durch Geistliche verübt und von den zuständigen Verantwortlichen vertuscht worden waren. Dies hat die Kirche in eine massive Glaubwürdigkeits- und Vertrauenskrise geführt. In Deutschland versucht der Synodale Weg, die von Papst Franziskus auf Ebene der Weltkirche einberufene Weltbischofssynode, Wege aus dieser Krise zu suchen.

Die Zitate des Beitrags sind folgendem Buch entnommen: O.H. Pesch, Das Zweite Vatikanische Konzil, Würzburg 2001.

BUCH ZUM THEMA

Der 60-jährige Autor, ein Jesuit, ist quasi mit dem Konzil zur Welt gekommen. Er gibt einen Rückblick auf das Konzil und wagt aber auch den Blick nach vorn: Wie umgehen mit dem Erbe der Konzilsväter?

Andreas R. Batlogg: Aus dem Konzil geboren. Wie das II. Vatikanische Konzil der Kirche den Weg in die Zukunft weisen kann. Tyrolia-Verlag, 224 S., gebunden, € 22,00 (D/A), CHF 26,70

Zuletzt aktualisiert: 03. Oktober 2022
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