Der heilige Maximilian Kolbe – Wesen und Bedeutung der Heiligkeit

08. Januar 2024 | von

Am 8. Januar gedenkt die franziskanische Welt des 130. Geburtstags von P. Maximilian M. Kolbe. Der emeritierte Bamberger Erzbischof fasst in unserem „Thema des Monats“ Grundsätzliches zur Heiligkeit zusammen – und konkretisiert es am Beispiel des polnischen Franziskaner-Minoriten.

Heiligkeit spielt in der Kirche von Anfang an eine bedeutende Rolle. Sie ist ein Wesensmerkmal der Kirche. So ist sie eingegangen in die Glaubensbekenntnisse. Sie gehört mit den anderen drei Notae ecclesiae zu den Kennzeichen der Kirche: einig, heilig, katholisch und apostolisch.

Weil die Heiligkeit so bedeutend für die Kirche ist, wird sie auch in den kürzeren Fassungen des Glaubensbekenntnisses genannt. So heißt es im sogenannten Apostolischen Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche…“ Das zeigt einmal die Bedeutung von „heilig“ und „katholisch“ und besagt zugleich, dass die beiden anderen Notae „einig“ und „apostolisch“ in ihnen (mit)enthalten sind.

Heiligkeit: Wesen und Auftrag

Heiligkeit wird sowohl dem/der einzelnen Getauften als auch der Gemeinschaft der Kirche bzw. den Gemeinschaften in der Kirche als Wesen und Auftrag zugesprochen. Jeder Getaufte – jede Christin, jeder Christ – soll heilig sein und die Gemeinschaft der Heiligen (mit)bilden. Kirche ist Personengemeinschaft, die einer gewissen Struktur bedarf. Josef Ratzinger schreibt dazu in seiner „Einführung in das Christentum“: „Eines ist klar: Die Kirche ist nicht von ihrer Organisation her zu denken, sondern die Organisation von der Kirche her zu verstehen.“

Heiligkeit als Voraussetzung

Das Element „heilig“ für den einzelnen Getauften und für die Kirche in ihrer Vielfalt ist bedeutend für die Einheit, Katholizität und Apostolizität. Die drei anderen Wesenselemente der Kirche sind ohne die Heiligkeit nicht zu denken.

Einig ist und wird die Kirche durch die Heiligkeit, die die Christen mit Gott und untereinander zusammenhält. Im Zweiten Hochgebet beten wir nach der Wandlung: „Schenke uns Anteil an Christi Leib und Blut (das meint: am Sanctum – dem heiligen Jesus Christus – und am Sacrum) und lass uns eins werden durch den Heiligen Geist“.

Auch katholisch, weltumspannend und umfassend ist die Kirche dann, wenn sie durch die einzelnen Christen weit und umfassend geworden ist, sich auf die ganze Welt im Geist und in der Liebe ausstreckt. Heilig macht weit, interessiert an allem und allen, weltweit zugewandt.

Apostolisch ist die Kirche dann, wenn die einzelnen Christen, auf dem Fundament der Apostel gegründet, ein heiliges Leben führen, wie es die Apostel geführt haben. Sie waren alle heilig im Leben und haben im Martyrium ihre Heiligkeit bewiesen. Deshalb werden sie als Heilige verehrt.

Heilige Orte und Zeiten

„Heilig“ und „Heiligkeit“ wird immer auf Personen angewendet, aber auch auf Orte. Heilige Orte sind Wallfahrtsorte, Heiligtümer, Klöster etc. Auch bestimmte Zeiten werden „heilig“ genannt, zum Beispiel die Advents- und Weihnachtszeit, die Fasten- und Osterzeit. Besonders in der Herz-Jesu-Frömmigkeit gibt es die „Heilige Stunde“.

Heilige Zeiten gibt es schon im Alten Testament: der Sabbat – im Neuen Bund der Sonntag –, das Jobeljahr, das Paschafest etc. Es sind im Alten wie im Neuen Bund besondere und ausgesonderte Zeiten, von denen wir sagen: Die sind mir, die sind uns, heilig!

Aber die heiligen Orte und Zeiten haben immer, und ganz besonders im Neuen Bund, die Funktion, die Menschen zu heiligen.

Zur Heiligung des Profanen

Unsere Sprache verwendet „heilig“ im Gegensatz zu „profan“! Das Christentum ist aber die Religion, in der diese Trennung aufgehoben ist. Als Jesus starb, riss der Vorhang im Tempel, der das Profane vom Allerheiligsten trennte, mitten entzwei (vgl. Lk 23,24 par.). Es gibt auch im Christentum das „Heilige“, die „Heiligkeit“, die „Heiligen“, die aber immer in der Welt leben und wirken, um das Profane zu heiligen; die Menschen, die Welt, die Geschöpfe sollen heilig werden, die Worte Jesu im hohepriesterlichen Gebet bezeugen es: „Ich bitte dich nicht, Vater, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst … Heilige sie in der Wahrheit.“ (Joh 17,15ff.)

Es gibt das Profane, die Welt und das Heilige, den Heiligen Geist, aber immer in dem Sinn, dass durch sie das Profane geheiligt werden soll, damit der Heilige Gott alles in allem wird, endgültig und für immer am Ende der Zeiten.

Aus dem Blick und wenig Verbindung

Die Heiligkeit spielt seit Jahrzehnten keine große Rolle mehr, weder in der Spiritualität der Christen noch in der Ekklesiologie, nicht in der Pastoral, noch in der Lebenspraxis der Christen. Auch das fünfte Kapitel der Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, Lumen gentium, das überschrieben ist: „Die allgemeine Berufung zur Heiligkeit in der Kirche“, hatte keine große Wirkungsgeschichte in der nachkonziliaren Zeit.

Es wurde viel über das „einig“ in der Kirche oder der Kirche nachgedacht und dabei vor allen Dingen die Hierarchie für die Einigkeit und Einheit hervorgehoben: Die Hierarchie garantiert die Einigkeit und Einheit der Kirche, vor allem das Papsttum, das seit dem Dogma der Unfehlbarkeit (1870) in diesem Sinn die große Rolle spielte.

„Katholisch“ wurde ebenfalls bedacht und betont, vor allem durch die Missionstätigkeit weltweit, die mit der Eroberung der Neuen Welt seit dem 15./16. Jahrhundert zunahm. Es wurde gefragt: Was bedeutet katholische Kirche? Was bedeutet Mission? Die Begriffe Inkulturation, Einheit und Vielfalt oder Vielfalt und Einheit spielten eine immer größere Rolle.

Auch in der Ökumene, die in der Weltmissionskonferenz in Edinburgh 1910 Fahrt aufnahm und, obwohl zunächst rein protestantisch, auch die katholische Kirche mehr und mehr einbezog, spielt das Katholische eine zunehmende Rolle.

„Apostolisch“ wurde stark auf das Dogma verkürzt.

Diese Einseitigkeit, die wir heute bei den Notae Einheit, Katholizität, Apostolizität feststellen, hängt sicher auch damit zusammen, dass die drei nicht mit dem Begriff der Heiligkeit oder zu wenig mit ihm verbunden wurden.

Wiederentdeckung der Heiligkeit

Es sei darauf hingewiesen, dass die Themen Sünde und Schuld, auch Missbrauch in der Kirche, mit dem mangelnden Bewusstsein der Heiligkeit verbunden sind. Deshalb ist für die Erneuerung der Kirche – nicht nur aber auch – die Wiederentdeckung der Heiligkeit als Wesenselement der Kirche, der einzelnen Christen und aller kirchlichen Gemeinschaften unabdingbar.

Das Wesen der Heiligkeit im christlichen Sinn besteht darin, dass die Christen und ihre Gemeinschaften teilhaben an Gott in Jesus Christus. Er ist der Heilige, der allein Heilige. Das verkündet Jesus. Heilig ist Gott!

Es gibt keine irdische Heiligkeit, weder beim einzelnen Menschen noch in den Gemeinschaften, wenn sie nicht Teilhabe an Gott ist. Gott ist heilig und Gott macht heilig durch, mit und in Jesus Christus, Gottes Sohn, dem Erlöser der Menschen, unserem Bruder und Herrn.

Umfassender Begriff

Die Heiligkeit Gottes ist aber immer Leben und Verwirklichung im Leben. Das Leben muss heilig sein. Deshalb hat Heiligkeit immer mit Lebensführung, Lebensweise, Ethik und Moral zu tun. Heiligkeit umfasst die ganze Person, ihr ganzes Leben. Heiligkeit wirkt sich aus in der Wahrheit, im Guten und in der Güte sowie im Schönen, in der Ästhetik. Für das Wahre, Gute und Schöne, den alten Begriffen der Anthropologie und der Soziologie seit Platon bis heute, ist Heiligkeit entscheidend.

Heiligkeit betrifft die ganze Person, deshalb gilt: „Gratia supponit naturam – die Gnade setzt die Natur voraus“. Die Natur muss und will geheiligt werden! Der Mensch, der nach Gottes Bild und Gleichnis geschaffen ist, muss in all seinen Wesenszügen, seiner Personalität dem Bild seiner wahren, gottgegebenen Natur entsprechen. Dann kann der Mensch vollkommen und heilig genannt werden.

Deshalb sind auch die Psychologie und Psychotherapie, auch die Medizin und die Heilkunde für die Heiligkeit bedeutsam. Leib und Seele müssen gesund sein oder in einen Gesundheitszustand versetzt werden, der die Gnade aufnehmen und verwirklichen kann. Selbstverständlich können auch physisch und psychisch Kranke Heilige werden.

Wer die Heiligkeit fördern will, kann die Naturwissenschaften, vor allem die sozialen, nicht übergehen. Man kann sich nicht auf den Weg der Heiligkeit machen, wenn nicht Leib, Seele und Geist in einem Zustand sind, der für das Wirken der Gnade hilfreich ist oder als Voraussetzung für die Gnade gegeben ist.

Entwicklung statt Zustand

Heiligkeit ist nie Zustand, sondern immer Entwicklung. Auch deshalb verbietet die Kirche, jemand zu Lebzeiten heilig zu nennen, und jedem Christen, sich für heilig zu halten. Wenn ein Christ sich heilig nennt, ist das der sicherste Beweis, dass er nicht heilig ist.

Deshalb beginnt die Kirche erst fünf Jahre nach dem Tod Selig- und Heiligsprechungen – mit Ausnahmen. All das deutet auch darauf hin und will klarmachen: Heiligkeit ist ein Prozess, der das ganze Leben umfasst. Der Mensch darf nie aufhören, nach Heiligkeit zu streben und sie zu verwirklichen.

Gemeinsames Wachsen

Das Wachstum der Heiligkeit besteht vor allem darin, dass die drei anderen Notae zunehmen.

Die Einigkeit – das heißt das versöhnte Leben mit allen Menschen, mit allen Gemeinschaften, in der Kirche und über die Kirche hinaus. Hier ist aber nicht Einheitsbrei, sondern konstruktives Miteinander oder konstruktive Toleranz gemeint.

Das Wachstum der Heiligkeit besteht in der Katholizität, das heißt dem weiten Herzen, das sich immer mehr auf alle Menschen, Völker und auf die Schöpfung ausstreckt.

Die Heiligkeit speist sich aus der Apostolizität, das heißt den Botschaften der Apostel, wie sie in den kanonischen Schriften und der Tradition der Kirche festgelegt sind.

Maximilian M. Kolbe als Vorbild

All das kann man bei Maximilian Kolbe feststellen. Er ist stets in der Heiligkeit gewachsen, hat zugenommen an Weite, an Einheit, an Apostolizität. Deshalb kann er uns ein Vorbild der Heiligkeit sein, nicht zum Kopieren, sondern als Anregung. Das ist auch der Sinn der Heiligenverehrung in der Kirche insgesamt: Sie soll uns helfen, nicht zu Kopien zu werden, sondern zu Originalen, auch in der Heiligkeit.

Maximilian Kolbe: Sieben Wesensmerkmale der Heiligkeit

1. Es ist natürlich, heilig zu werden; es gehört zur Natur des Menschen, Heiligkeit anzustreben.

Maximilian Kolbe schreibt: „Der Mensch will von Natur aus vollkommener werden und das nicht nur physisch und psychisch, sondern auch moralisch gesehen. Deshalb treffen wir in der Geschichte immer wieder auf Menschen, die man höher einschätzt als die Masse der gewöhnlichen Menschen, die man sogar noch über die Gelehrten stellt: Heilige Menschen.“

2. Heiligkeit ist Gnade.

Maximilian Kolbe schreibt: „Außer den natürlichen Gaben erhält der Mensch von der Wiege bis zum Grabe die Gnade Gottes in solchem Maße und in solcher Qualität, dass seine schwachen Kräfte hinreichend gestärkt werden.“

3. Heiligkeit ist Gabe und Aufgabe.

Maximilian Kolbe schreibt: „Aufgabe des Menschen ist es, durch Gebet, Gottesdienst, Askese und Erfüllung seiner Standespflicht, vor allem durch Gehorsam sowie die Annahme der Kreuze des Lebens, seine Heiligung zu erreichen.“

4. Ziel der Heiligkeit ist Christusförmigkeit – alter Christus (Franziskus).

Maximilian Kolbe schreibt: „Je mehr eine Seele ihm (Jesus Christus) nachfolgt, desto ähnlicher wird sie ihm, und je ähnlicher sie ihm wird, desto mehr wird sie geheiligt.“

5. Heiligkeit ist Leben und Tun der Liebe.

Maximilian Kolbe schreibt: „Jesus soll in dir leben, die Liebe Jesu durch die brüderliche Liebe, so dass Jesus in allen lebt und herrscht.“

6. Heiligkeit bildet lebensdienliche Gemeinschaft, die die Heiligkeit wiederum fördert.

Maximilian Kolbe schreibt: „Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen auf Erden und im Himmel. In ihr werden wir heilig.“

7. Heiligkeit ist missionarisch.

Maximilian Kolbe schreibt: „Lasst uns in der Missionierung und im Aufsuchen der Herzen für sie (Maria) nicht erlahmen.“

Zuletzt aktualisiert: 08. Januar 2024
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