Der Streit ums Impfen

04. Februar 2022 | von

Uli Hoeneß bricht private Schafkopfrunden mit Ungeimpften ab. Tausende gehen auf die Straße, um gegen eine mögliche Impfpflicht zu protestieren. In Talkshows werden Horrorszenarien ausgebreitet, Verschwörungserzählungen verbreiten sich in Windeseile.
Vielleicht hätten wir die Corona-Impfung im Sendboten schon längst zum Thema machen sollen. In diesem Monat stellt sich Br. Andreas nun diesem unerwartet umstrittenen Thema – ohne missionarisches Anliegen, wohl aber mit sachlich fundierter Information.

12. März 2020. Ich sitze im Zug auf dem Weg von Wien nach Hause. Ausnahmsweise telefoniere ich. Am anderen Ende der Leitung ist meine Schwester. Und ich höre mich noch heute sagen: „Die können doch wegen dieses Virus nicht ein ganzes Land wegschließen.“ Damals war alles noch relativ neu. Aber schon einen Tag später wurde ein „Lockdown“ verkündet. Seitdem ist kaum noch etwas, wie es einmal war. Wir haben uns vom „Lockdown“ bis zur „Inzidenz“ an neue Vokabeln gewöhnt, tragen Masken, halten Abstand – und trotzdem haben sich Millionen Menschen weltweit infiziert. Hunderttausende sind gestorben, oft isoliert von ihrer Familie auf irgendeiner Intensivstation, jedenfalls in den Ländern, in denen es ein funktionierendes medizinisches System gibt.
Ein Impfstoff, so hieß es früh, wäre das einzig wirksame Mittel, um dieser pandemischen Lage Herr zu werden. Und als es überraschend schnell so weit war, wurde in Deutschland streng priorisiert und die Bevölkerung wurde durchgeimpft, einmal, zweimal, mittlerweile läuft die „Booster-Kampagne“ mit der dritten Dosis. Für mich persönlich war schnell klar: Ich lasse mich impfen – keine Frage.

Verunsicherung und Zweifel

Ende April 2021 wurde ich also mit dem ungeliebten Impfstoff AstraZeneca geimpft. Vier Wochen später begann ein Kribbeln in meinen Fingern. War das etwa eine der gefürchteten „Impf-Folgen“? Ich war bei mehreren Ärzten. Keiner hat einen Grund für das Kribbeln gefunden. Aber einig waren sich alle: Mit dem Impfen habe das nichts zu tun. Mittlerweile ist das Kribbeln weniger geworden. Es gibt Tage, da meldet es sich gar nicht.
Selbst wenn ich mich sofort wieder impfen lassen würde, ins Grübeln komme ich schon immer wieder einmal: Was, wenn das nun doch vom Impfen kommt? Kann man den Ärzten noch trauen?
Regelmäßig schickt mir jemand Texte und Links zu Videos, die ich unbedingt lesen bzw. anschauen müsste, um „die Wahrheit“ zu erfahren. Nach der Mehrheitsmeinung stammen diese medialen Äußerungen von Verschwörungserzählern und abgedrifteten Wissenschaftlern. Die meisten dieser Dinge schaue ich nicht einmal an. Denn ich glaube nicht, was immer wieder zum Grundtenor dieser Äußerungen gehört, dass die deutsche Bundesregierung von Echsen gekapert ist, die das Land vom Keller des Bundeskanzleramts regieren, oder dass George Soros und/oder Bill Gates sämtliche Institutionen infiltrieren und uns künftig durch einen per Impfung verabreichten Chip überwachen wollen. Das erscheint mir allzu absurd. Und dennoch muss ich gestehen: Wenn ich mir bisweilen doch eines dieser Videos anschaue, dann werde ich zumindest verunsichert. Mein Verstand kann diese Theorien alle nicht glauben. Schnell kommt man auch hinter bestimmte Absichten dieser „Aufgeklärten“. Aber eine gewisse Verunsicherung bleibt.
Größer ist jedoch meine Sorge, mich selbst anzustecken oder das Virus an andere weiterzugeben. Und die vielen Kranken (mit oft langwierigen Folgen) und Verstorbenen gehen mir nahe.

Keine Garantie, aber ein Schutz

Ein sehr grundlegender Einwand gegen die Impfung ist, dass diese – zumal bei Virus-Varianten – ja nicht garantiert ausschließt, dass ich mich anstecke. Längst verspricht auch niemand mehr, dass die Impfung ein Allheilmitteil sei. Es ist allgemein bekannt: Die Impfung verhindert eine Infektion nicht, aber sie schützt in den allermeisten Fällen vor einem schweren Verlauf: Ungeimpfte landen etwa zehn Mal häufiger auf der Intensivstation als Geimpfte. Der Blick auf die Statistik zeigt: Gebiete mit niedriger Impfquote haben im Wesentlichen eine höhere Inzidenz. Das heißt: Die Impfung schützt, auch wenn es mittlerweile zahlreiche „Impfdurchbrüche“ gibt und klar ist, dass auch Geimpfte das Virus weiter übertragen können, wenn auch mit geringerer Wahrscheinlichkeit.
Als am wirksamsten – auch gegen Virus-Varianten – gelten derzeit die mRNA-Impfstoffe Comirnaty (BioNTech/Pfizer) und Spikevax von Moderna.

Plötzlich andere Gene?

Doch gerade diese beiden müssen sich immer wieder dem Vorwurf stellen, sie würden eine Genveränderung bewirken. Dazu erklärt die Schweizer „Akademie der Naturwissenschaften“: „Die mRNAs werden bei der Impfung zwar in die Zellen eingeschleust, gelangen aber nicht in den Zellkern, wo sich unser Erbgut (DNA) befindet. Die mRNAs kommen folglich nur in einem vom Zellkern getrennten Teil der Zelle vor. Die mRNAs können auch nicht ohne weiteres in DNA umgeschrieben werden, da die dafür benötigten Proteine fehlen. Da der Körper die mRNAs innerhalb kurzer Zeit wieder abbaut, sind auch längerfristig Änderungen am Erbgut ausgeschlossen. Gewisse Viren wie die Retroviren sind in der Lage, ihre mRNA in DNA umzuschreiben und diese anschließend ins Erbgut der infizierten Zellen zu integrieren. Dafür benötigen sie Proteine mit sehr spezifischen Funktionen. Diese Proteine kommen bei Coronaviren nicht vor.“
Den neuen Impfstoffen haftet allerdings obendrein der Makel der „Notfallzulassung“ an. Trotzdem: Alle hierzulande zugelassenen Impfstoffe haben alle drei Phasen des regulären Prüfverfahrens durchlaufen, wenn auch schneller als bislang üblich. Die Impfstoffe gelten damit als sicher, zumal mittlerweile Milliarden von Impfdosen weltweit verimpft worden sind.

Einwände aus Glaubensgründen

Ein großer Vorbehalt unter Katholiken galt lange Zeit wegen der Behauptung, die Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson&Johnson enthielten genetisch modifizierte Zellen aus Embryo-Gewebe. Damit mache man sich bei einer Impfung mitschuldig an Schwangerschaftsabbrüchen. Der Heilige Stuhl hat diesbezüglich bereits im Dezember 2020 in einer „Note“ über die „Moralität des Gebrauchs einiger Impfungen gegen Covid-19“ klargestellt: „Es gilt also festzuhalten, dass alle Impfstoffe, die als klinisch sicher und wirksam anerkannt sind, in diesem Fall verwendet werden können, mit dem sicheren Gewissen, dass die Inanspruchnahme dieser Impfungen keine formale Mitwirkung an der Abtreibung, aus der die Zellen, mit denen die Impfstoffe hergestellt wurden stammen, bedeutet. Es ist allerdings zu unterstreichen, dass die moralisch zulässige Verwendung dieser Arten von Impfstoffen aufgrund der besonderen Bedingungen, die sie eben rechtfertigen, in sich keine (auch nicht indirekte) Legitimation für die Praxis der Abtreibung darstellen kann und die Missbilligung der Abtreibung seitens jener, die die Impfstoffe nutzen, voraussetzt.“

Doch unbestritten ist: Die Hersteller der Corona-Vektorimpfstoffe greifen auf Zellen zurück, die ursprünglich einmal menschlichen Föten entnommen wurden. Das Paul-Ehrlich-Institut begründet das folgendermaßen: „Da Viren immer eine lebende Zelle benötigen, um sich zu vermehren, ist eine tierische oder menschliche Zellkultur notwendig, um Impfviren zu produzieren. Je nach Virustyp haben sich dafür verschiedene Zelltypen oder Zelllinien als besonders geeignet erwiesen.“ Ebenso richtig ist aber auch, dass für die Produktion der Impfstoffe keine Föten extra deswegen abgetrieben werden. AstraZeneca greift auf eine Zelllinie aus dem Jahr 1973 zurück, Johnson&Johnson auf eine aus dem Jahr 1985. Diese beiden Schwangerschaftsabbrüche wurden auf Wunsch der jeweiligen Mutter veranlasst, nicht aus Gründen von Impfstoffproduktionen. Die gewonnen Zellen wurden bzw. werden künstlich weiterkultiviert. Außerdem hält die Biologin Katja Schenke-Layland fest: „Die Impfstoffe haben keine fetale DNA oder RNA oder irgendwelche Bestandteile von diesen Zelllinien in ihrer Zusammensetzung.“ Es wird einem mit dem Impfpiks also kein abgetriebener Mensch injiziert. Die Zelllinien werden „lediglich“ zur Produktion des Impfstoffs benötigt.

Nebenwirkungen und Impffolgen

Für die Erfassung von Nebenwirkungen (und Verdachtsfällen) ist in Deutschland das Paul-Ehrlich-Institut zuständig. Dieses veröffentlicht auf seiner Homepage regelmäßig „Sicherheitsberichte“.
Bei den Nebenwirkungen geht es dann nicht um Schmerzen an der Einstichstelle oder eine gewisse Abgeschlagenheit am Tag/an den Tagen nach der Impfung, sondern um schwerwiegendere Komplikationen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung, wobei nicht immer ganz klar sein muss, ob ein tatsächlich kausaler Zusammenhang besteht. Resümierend stellt das Paul-Ehrlich-Institut hier fest: „Die Melderate betrug für alle Impfstoffe zusammen 1,6 Meldungen pro 1.000 Impfdosen, für schwerwiegende Reaktionen 0,2 Meldungen pro 1.000 Impfdosen.“ Nach dieser Aufschlüsselung muss einer von 5.000 Geimpften mit schwerwiegenden Reaktionen rechnen. Zum Vergleich: Jede siebte ungeimpfte Person, die sich mit Corona infiziert, muss mit einem schweren Verlauf rechnen.
Ich gebe zu: Ich möchte trotzdem nicht einer der 5.000 Geimpften mit schwerwiegenden Reaktionen sein.

Alles zu riskant?

Bei näherer Befassung mit schwerwiegenden Impfreaktionen werden die bekannten Reaktionen wie Herzmuskel- bzw. Herzbeutelentzündung wie auch verschiedene allergische Reaktionen oder die Thrombosegefahren erwähnt. Hierbei gilt allerdings: Je besser Nebenwirkungen im Kontext der Impfung bekannt und erforscht sind, desto besser die Behandlungsoptionen. Bei weitem nicht jede Nebenwirkung verläuft tödlich!
Eine der schwerwiegenderen Impffolgen kann das Guillain-Barré-Syndrom sein. Es kann nach einer Impfung mit einem Vektorimpfstoff auftreten. Statistisch wird eine Meldung pro 100.000/120.000 Impfdosen erfasst. Bei dieser Erkrankung werden Nerven geschädigt (Beine, Arme, Gesicht; bisweilen mit Auswirkungen auf die Lungenmuskulatur). Die Symptome können sich bei entsprechender Behandlung zurückbilden, es können aber auch dauerhafte Beschwerden bleiben. Soll man – angesichts solcher Krankheitsrisiken – eine Impfung wagen? Es hilft ein nüchterner Blick auf die Fakten. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat von Beginn der Impfung mit AstraZeneca bis Mai 2021 156 Fälle dieses Syndroms gezählt (bei 40 Millionen verimpften Dosen). Prof. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, weist darauf hin: Ein zeitlicher Zusammenhang ist nicht automatisch ein kausaler Zusammenhang! Sein Fazit: „Insgesamt ist das GBS-Risiko durch die Impfung gegen SARS-CoV-2 nach heutigem Kenntnisstand als sehr gering einzustufen – und wir haben zum Glück eine wirksame Therapie dieses Krankheitsbilds zur Verfügung.“
Es lässt sich wohl festhalten: Es gibt das Risiko unerwünschter Impf-Nebenwirkungen. Diese sind in sehr vielen Fällen jedoch gut behandelbar.
Vor diesem nüchternen Befund scheint, dass mögliche und seltene Impf-Nebenwirkungen vor allem in der Phantasie sehr viel präsenter sind als alltägliche Gefahren. Der englische Statistiker und Risikoforscher David Spiegelhalter hält zum Beispiel fest: „Im Auto genügen 530 Kilometer, um mit einer Eins-zu-einer-Million-Wahrscheinlichkeit zu sterben.“ Wer im Jahr 20.000 Auto-Kilometer zurücklegt, ist schon einer statistischen Sterbewahrscheinlichkeit von 1:26.525 ausgesetzt.

Angst vor Langzeitfolgen

Eine „besondere“ Angst sind die vermuteten Langzeitfolgen. Hierzu hält die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung fest: „Nebenwirkungen, die unerwartet und erst lange Zeit(z. B. mehrere Jahre) nach der Impfung auftreten, sind bei noch keiner Impfung beobachtet worden und sind auch bei den COVID-19-Impfstoffen nicht zu erwarten. In der Vergangenheit kam es vor, dass sehr seltene Nebenwirkungen, die bei Geimpften kurz nach der Impfung auftraten, von Forschenden erst später erkannt wurden. Der Grund dafür ist, dass sehr viele Menschen geimpft werden müssen, um sehr seltene Nebenwirkungen aufzuspüren. In der Regel braucht das eine gewisse Zeit. Die COVID-19-Impfstoffe wurden in kürzester Zeit an viele Menschen weltweit verabreicht. Deshalb können sehr seltene Nebenwirkungen schneller als sonst erkannt und beurteilt werden.“

Spekulation – und Sachlichkeit

Und ein Fazit? Erschreckende Horrorszenarien, mit denen Verschwörungserzählungen arbeiten, üben eine gewisse Faszination auf mich aus. Die Vorstellung, das Virus sei in einem chinesischen Labor erfunden worden, passt zu meiner China-Skepsis. Die Behauptung, das ganze Corona-Virus wäre eine einzige Bereicherung der Pharma-Industrie, deckt sich mit meiner Sorge vor der Übermacht großer Konzerne. Und, und, und.
Die Übermacht der sachlichen Argumente im Blick auf die Corona-Impfung jedoch finde ich in jedem einzelnen Punkt im sogenannten „Mainstream“. Ich habe keinen einzigen ernsthaften Grund gefunden, daran zu zweifeln – trotz aller ernsthafter Bemühung um Offenheit.
So schließe ich mit einem Zitat der forsa Politik- und Sozialforschung GmbH, die in einer 41-seitigen Publikation die Gründe und Aussagen von Menschen untersucht hat, die sich nicht impfen lassen wollen: „Die Untersuchung hat zudem gezeigt, dass sich die Ungeimpften in ihren Einstellungen und Grundhaltungen fundamental von der Gesamtbevölkerung unterscheiden und in großen Teilen Verschwörungs-‚Theorien‘ zuneigen. So sind jeweils mindestens drei Viertel der Nichtgeimpften der Ansicht, dass die Medien einseitig über Corona berichten, nicht alle Stimmen aus der Wissenschaft Gehör finden, im Umgang mit Corona mehr auf ‚den gesunden Menschenverstand‘ vertraut werden sollte und die Grundrechtseingriffe durch die Corona-Beschränkungen schwerwiegender sind als die Gefahr durch das Virus selbst. Auch die Vermutung, dass Corona häufig ein Vorwand ist, um mehr staatliche Kontrolle zu erhalten, teilen zwei Drittel der Befragten. Ein Fünftel der Nichtgeimpften ist sogar der Ansicht, dass bis heute keine eindeutigen Beweise für die Existenz des Coronavirus vorliegen.“
Ob eine Impflicht vor diesem Hintergrund eine wirklich nachhaltig gute Option ist – das wage ich persönlich zu bezweifeln. Wünschenswert scheint mir vielmehr eine sachlich begründete Einsicht. Und eine Bereitschaft zur Solidarität besonders gegenüber den gefährdeten und durch die Pandemie belasteten Menschen, auch gegenüber denen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können.

 

 

Zuletzt aktualisiert: 04. Februar 2022
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