Eine Hoffnungsspur aus dem franziskanischen Bethlehem
Die Franziskanische Familie erinnert sich an diesem Weihnachtsfest besonders an die Krippenfeier des Franziskus im italienischen Greccio, jährt sie sich doch nun zum 800. Mal.
Die Sehnsucht nach einer heilen Welt treibt Menschen um – besonders im Advent und an Weihnachten, zumal in schwierigen Zeiten. Woraus schöpfen Menschen Kraft, um im Engagement für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung beharrlich zu bleiben? Greccio, ein Flecken von 1.500 Einwohnern im Rietital, zwei Stunden Fahrzeit von Assisi entfernt, birgt eine Quelle der Inspiration für die franziskanische Familie und weit darüber hinaus. Vor 800 Jahren feierte Franziskus Weihnachten mit den eigenen Brüdern, Frauen und Männern, Ochs und Esel und stiftete damit ein wunderbares Hoffnungspotential gegen alle Verletzung der Würde von Mensch und Mitgeschöpf. Wir sind eingeladen, an den spirituellen Quellen der Überlieferung zu verweilen und nach Möglichkeiten einer Gestaltung des Weihnachtsfestes aus franziskanisch-klarianischem Geist zu suchen.
Inmitten erfüllten Lebens
Die Krippenfeier von Greccio entspringt nicht dem Einfall eines Charismatikers aus heiterem Himmel. Franziskus hat leidvolle Erfahrungen aus dem heillos „Heiligen Land“ hinter sich. Im Herbst 1219 setzt er ein prophetisches Zeichen mitten im fünften Kreuzzug; er reist zu den Kreuzfahrern und Sultan Muhammad-al Kamil zur freundschaftlichen Begegnung mit der Absicht, Frieden zu stiften. Ohne Erfolg, dennoch mit Hoffnungspotential bis heute (z.B. Abu Dhabi 2019)! Nach seiner Rückkehr aus Palästina steht das Pfingstkapitel 1221 nicht nur für die Aussendung der Brüder nach Deutschland, sondern die konfliktgeladene Formung eines charismatischen Anfangs zu einer Institution. Am 29. November 1223, also unmittelbar vor der Krippenfeier von Greccio, bestätigt Papst Honorius III. die Ordensregel. In ihrem Entstehungsprozess eine schwierige Herausforderung für einen Menschen, dem der Allerhöchste geoffenbart hat, das Evangelium zu leben und der dann damit klar kommen muss, dass andere Menschen mitziehen wollen! Neun Monate nach „Greccio“ wird der Ordensvater während des Michaelfastens im September 1224 auf dem La Verna mit den Wundmalen Jesu gezeichnet. Am 3. Oktober zwei Jahre später wird er heimgerufen in seiner geliebten Portiuncula. „Greccio“ fällt somit in die letzte Reifungsphase eines prallvoll erfüllten Lebens.
So greifbar wie möglich
Die prägendsten Schriftzeugnisse über die Krippenfeier des Franziskus verdanken wir den Brüdern Thomas von Celano und Bonaventura von Bagnoregio (1 C 84-87; 2 C 35, 199f; LM X 7). Sein zeitgenössischer Gefährte, Thomas von Celano, stellt der Beschreibung der weihnachtlichen Ereignisse 1223 das Motiv des Poverello voraus: „das heilige Evangelium in allem und durch alles beobachten“ zu wollen, sich und andere zur Betrachtung der „Demut der Menschwerdung Jesu und die durch sein Leiden bewiesene Liebe“ anzuhalten; Krippe und Kreuz gehören untrennbar zusammen. Franziskus sucht mit kreativen Mitteln, ein inniges Echo im menschlichen Herzen auf die Liebe Gottes im Kind von Bethlehem und zum Gekreuzigten zu wecken. Er bittet seinen Freund Johannes zwei Wochen vor Weihnachten, für eine gemeinschaftliche Feier eine Krippe, Heu, Ochs und Esel zu bereiten. Er will „so greifbar wie möglich mit leiblichen Augen“ das Kind von Bethlehem „in seiner bitteren Not“ schauen. Zur nächtlichen Feier lassen sich die Brüder aus den umliegenden Niederlassungen einladen; die Menschen der Umgebung werden animiert, mit Fackeln und Kerzen zu kommen. Thomas von Celano beschreibt fast überschwänglich die neue Freude, die sich einstellt für Mensch und Schöpfung beim „Krippenspiel“. Ein Priester feiert das Hochamt über der Krippe, sein Herz wird mit ungeahntem Trost erfüllt. Franziskus selbst singt als Diakon mit ganzer Hingabe das Evangelium und schleckt sich die Lippen beim Aussprechen des Namens „Jesus“. Ungewöhnlich ist diese Eucharistiefeier außerhalb von Kirche und Kapelle. Der Ordensvater habe eine Sondererlaubnis erwirkt, denn die Mitnahme von Tragaltären für den neuen Bettelorden gab es von Rom erst am 3. Dezember 1224.
Feier mit Folgen
Die Wirkung der ganzen Feier beschreibt sein erster Biograf so: „Ein frommer Mann hatte eine wunderbare Vision. Er sah nämlich in der Krippe ein lebloses Knäblein liegen; zu diesem sah er den Heiligen Gottes hinzutreten und das Kind wie aus einem tiefen Schlaf erwecken. Gar nicht unzutreffend ist diese Vision; denn der Jesusknabe war in vielen Herzen vergessen. Da wurde er in ihnen mit Gottes Gnade durch seinen heiligen Diener Franziskus wieder erweckt und zu eifrigem Gedenken eingeprägt.“ Die Feier hat nicht nur eine persönliche Wirkung zur Verlebendigung der Christusbeziehung. Spannend ist diesbezüglich die Wendung in der 2. Lebensbeschreibung bei Thomas von Celano: „mit dem Kinde zum Kinde werden“. Das klingt erstaunlich modern. Diese Weihnachtsfeier hat heilsame Folgen für Bedürftige, die von den Reichen gespeist werden sollen, für die Tiere, die mit einer größeren Portion an Heu wie sonst versorgt werden sollen, für die Vögel, besonders die Lerchen.
Franziskus selbst verfasst einen Psalm im Offizium vom Leiden des Herrn zum Weihnachtsgeheimnis (Off 5. Teil, XV), in dessen Mitte „das heiligste, geliebte Kind“ steht, das uns geschenkt und für uns „am Weg geboren“ ist. Der sogenannte zweite Ordensgründer Bonaventura ist kürzer in seiner Darstellung und zeichnet Franziskus als Beter in „Greccio“, sparsamer mit emotionalen Ausführungen. Der große Theologe bringt das Ziel der Feier auf den Punkt, dass der Glaube an Christus geweckt worden sei – vorher „starr daniederliegend“ – und fügt heilsame Wunder unmittelbar an.
Universale Deutung
Das Weihnachtsgeschehen in Greccio macht Mut, aus Lebens- und Todesängsten auf Hoffnung zu setzen, die vom Krippenkind ausgeht – ein Ausrufezeichen mit Freude und Jubel! Die Erinnerung birgt allerdings auch Anfragen. Wo stehe ich an der Krippe innerlich? Was hilft mir zu Verlebendigung meiner Beziehung zu ihm? Franziskus wollte das Fest der Feste nicht allein feiern, sondern wählte den Weg hinaus aus dem kirchlichen Binnenraum, weg von Glanz und Gloria. Eine Feier in geschwisterlicher Gemeinschaft, keine geschlossene Gesellschaft, befreiend für die ganze Schöpfung!
Ochs und Esel werden in den Evangelien nicht erwähnt, finden sich aber seit dem 4. Jahrhundert in schriftlichen und bildlichen Darstellungen, angeregt durch Jes 3,1. Br. Niklaus Kuster, Kapuziner und Franziskusforscher, sieht darin eine feinsinnige friedenspolitische Spur: „Die Geburt des Erlösers in Betlehem verheißt „pax in terra hominibus bonae voluntatis“ – „Friede allen Menschen auf Erden, die guten Willens sind und Gottes Wohlgefallen finden (Lk 2,14).“ Franziskus deutet diese Verheißung universal und ebenso die Sendung seiner Brüder: Gottes Friede und die Friedensmission des Evangeliums lassen sich weder durch politische noch kulturelle, nationale und religiöse Grenzen einschränken. Der Ochse als Symbol für das ersterwählte Volk Gottes und der Esel als Symbol aller anderen nichtchristlichen Völker sind an die Krippe gerufen: ein Symbolbild für die ganze Menschheit, die Christi bleibende und nährende Gegenwart mitten unter den Menschen entdecken sollen.“ (vgl. WiWe 84-2021-21)
Persönliche Ergriffenheit
Das Fresko in der Höhle von Greccio zum Weihnachtsgeschehen (siehe das Titelbild dieser Ausgabe) scheint mir eine wichtige Schlüsselrolle in der franziskanischen Tradition bis zur Stunde zu spielen. Wie viele Menschen haben hier an Ort und Stelle die Heilige Messe feiert! Wie oft ist hier für die deutschsprachigen Pilgernden der Klassiker „Stille Nacht, heilige Nacht“ angestimmt worden! Der Meister von Narni gestaltet an der Wende des 15. Jahrhunderts eine schlichte Darstellung, die uns anhält, mit dem knienden Franziskus das Kind in der Krippe anzubeten. Das ist ein zutiefst intimes geistliches Geschehen. Allerdings ist es in Verbindung zu sehen mit Gemeinschaft, denn das Fresko zeigt bewegte Frauen und Männer hinter dem Poverello, vor ihm den Priester bei der Messfeier, am Boden Ochs und Esel. Der nachsinnende Josef sitzt vor Maria, die dem Jesuskind die Brust reicht. Weihnachten gehört in die Stille eigener Kapitulation vor einem Gott, der sich so klein macht und in die frohe Feier von Gemeinschaft.
Ermutigt vom Ernstfall der Liebe
Machen wir einen Sprung über die jahrhundertalte Wirkungsgeschichte von „Greccio“ in die Gegenwart. Am 1. Dezember 2019 hat Papst Franziskus im Heiligtum der Weihnachtskrippe von Greccio das Apostolische Schreiben Admirabile signum unterzeichnet. Ähnlich wie Thomas von Celano steht das Stichwort „Demut“ gleich zu Beginn seiner Betrachtungen entlang der Gestalten an der Krippe: „sich anziehen zu lassen von der Demut des Einen, der Mensch wurde, um jedem Menschen zu begegnen.“ (AS 1) Der Papst unterstreicht, dass es an der franziskanischen Krippe keine Figuren gibt, damit wir uns selbst als Menschen mit Hingabe ins Geheimnis hineinspielen und nicht Zuschauer bleiben. Der Papst betont die Verletzlichkeit Jesu als Krippenkind: „In der Schwachheit und Zerbrechlichkeit verbirgt er seine alles erschaffende und verwandelnde Kraft.“ (AS 8) Als Liebhaber der Volksfrömmigkeit hat er eine Art kindliche Freude an der Kreativität beim Krippenbau, weil ihm die Evangelisierung am Herzen liegt. „Vor der Krippe kehrt man im Geist gern in die Kindheit zurück, als man ungeduldig den Zeitpunkt für den Krippenaufbau erwartete. Diese Erinnerungen machen uns immer wieder neu das große Geschenk bewusst, das uns durch die Weitergabe des Glaubens zuteil wurde. Zugleich erinnern sie uns an die freudige Pflicht, unsere Kinder und Enkelkinder auch an eben dieser Erfahrung teilhaben zu lassen. Es ist nicht wichtig, wie man die Krippe aufstellt; es kann immer gleich sein oder jedes Jahr anders – was zählt, ist, dass sie zu unserem Leben spricht. Wo und in welcher Form auch immer erzählt die Krippe von der Liebe Gottes, des Gottes, der ein Kind geworden ist, um uns zu sagen, wie nahe er einem jedem Menschen ist, egal in welcher Situation er sich befindet“. (AS 10) Der Ernstfall der Liebe zum Kind von Bethlehem heißt, „ihm in den bedürftigsten Brüdern und Schwestern zu begegnen und in Barmherzigkeit zu dienen.“ (AS 3) Hier dürfen wir die Sorge um den Schutz menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum Tod mit ansetzen.
Ins Heute integrieren
Drei Hinweise zu einer Auseinandersetzung mit dem Geheimnis des Mensch gewordenen Gottes stehen am Ende, zunächst Klara von Assisi! In ihrer Liebe zur Demut Gottes in der Eucharistie steht sie Franziskus in nichts nach. Sie ist überzeugt, dass dort die tiefste seelische Armut Erfüllung findet. „Wenn also ein Herr von solcher Erhabenheit und solch edlem Wesen in den jungfräulichen Schoß eintreten und verachtet, bedürftig und arm in der Welt erscheinen wollte, damit die Menschen, die ganz und gar arm und bedürftig waren und überaus großen Mangel an himmlischer Speise litten, in ihm reich würden und die Reiche der Himmel in Besitz nehmen könnten, so jubelt von Herzen und freuet Euch, erfüllt von übergroßer Freude und geistlichem Jubel!“ (1. Brief an Agnes 19-21)
Die Interfranziskanische Arbeitsgemeinschaft (= INFAG) bietet auf ihrer Homepage unter www.franziskanisch.net eine Fundgrube von Impulsen zum Verständnis und zur Gestaltung von Weihnachten: darunter Materialien zu Hintergrund, Krippenspielen, Geschichten und Bildern. Dazu gehören eine interessante Krippenselfie-Aktion des OFS Stuttgart bzw. ein Hörtipp.
Oder suchen Sie, wenn möglich, einfach Kontakt zu einer Ordensfrau der Dienerinnen der Hl. Kindheit Jesu aus Oberzell/Würzburg, die aus der Spiritualität der Menschwerdung lebt. An Weihnachten, so schreiben die Schwestern, „denken wir in unserem Gebet und besonders am 25. eines jeden Monats. Das ganze Jahr über suchen wir den Mensch gewordenen Gott – in uns selbst, im Betrachten des Wortes Gottes, in der Begegnung mit Menschen. Alle betrachten wir als Kinder Gottes: einzigartig und gewollt, mit unveräußerlicher Würde.“