Hoffnungsschimmer im Krieg
Kriege zwischen Nationen, Auseinandersetzungen zwischen Religionen – trauriger Teil unserer Wirklichkeit. Ohne davor die Augen zu verschließen, lässt sich aber auch über hoffnungsvolle Erlebnisse berichten. Unser Thema des Monats spricht davon.
Drei Tage, nachdem die ersten Schüsse in der ‚Schlacht von Marawi‘, einer Stadt am Ufer des „Lake Lanao“ auf der philippinischen Insel Mindanao, gefallen waren, befanden sich schon 200.000 Zivilisten, also etwa 90 Prozent der gesamten Bevölkerung, auf der Flucht. Sie flohen aus der Stadt, um ihr Leben zu retten. Aber nicht alle Fluchtrouten befanden sich unter der Kontrolle der Regierungstruppen. Einige wurden von der mit dem IS verbündeten Maute-Gruppe besetzt. An den Brücken hatten sie Straßensperren errichtet und jeder Flüchtende wurde ganz direkt gefragt: „Was bist du? Christ oder Moslem?“ Bischof Edwin de la Peña von Marawi erzählt: „Wer geantwortet hat ‚Ich bin Christ‘, der wurde von der Gruppe getrennt.“
Christenverfolgung heute
„Mittlerweile“, so fährt er fort, „wissen wir schon, was mit manchen von ihnen geschah. Einige wurden geköpft. Drei Tage lang wurden Menschen auf diese Weise ermordet − und alle Muslime sahen dabei zu.“ Dann jedoch passierte etwas, was die militanten Muslime wohl nicht erwartet hätten. Die zivilen Muslime nämlich wandten sich plötzlich gegen sie: „Das dürft ihr unseren christlichen Schwestern und Brüdern nicht länger antun − nur über unsere Leichen!“
Bischof de la Peña erinnert sich an diese plötzlich aufgetretene Solidarität: „Es war auf einmal allen klar geworden, dass wir etwas teilen: nämlich unser Menschsein. Und ich glaube, das ist heute eine Botschaft an die ganze Welt. Wir dürfen Hoffnung haben, dass Muslime und Christen zusammenarbeiten, solange wir uns um Frieden mühen. Der Dialog zwischen Glaube und Religion kann uns dabei helfen!“
Der IS auf den Philippinen
Den Philippinen machen militante islamistische Kämpfer schon seit langem zu schaffen, insbesondere seit sich im Jahr 2014 die Maute-Gruppe dem IS anschloss. Diese Gruppe, auch bekannt als „Islamischer Staat von Lanao“, ist eine radikal-islamistische Gruppierung, die sich aus ehemaligen Guerillakämpfern der „Moro Islamic Liberation Front“ und ausländischen Kämpfern unter der Führung von Omar Maute zusammensetzt. Maute ist der angebliche Gründer des „Dawlah Islamiya“, des Islamischen Staats in Lanao auf der philippinischen Insel Mindanao.
In diesem gleichen Jahr − 2014 − besetzten ISIS-Kämpfer auch Teile des Irak und vertrieben dabei weit über 100.000 Christen aus der Heimat ihrer Vorfahren. Ihr Ziel auf den Philippinen war das Gleiche: ein Kalifat mit muslimischer Bevölkerung zu errichten.
Die Schlacht von Marawi begann jedoch eher per „Zufall“. Der Militärgeheimdienst erfuhr, dass Isnilon Hapilon, der Anführer der Abu-Sayyaf-Terrorgruppe, sich in der Stadt aufhielt. Hapilon, einer der gesuchtesten Terroristen weltweit − die USA haben für seine Gefangennahme eine Belohnung über fünf Millionen Dollar ausgelobt – war damals gerade zum Emir des Islamischen Staats auf den Philippinen ernannt worden und versuchte, in der Stadt die verschiedenen islamistischen Gruppierungen zu einen.
Philippinische Sicherheitskräfte versuchten ihn in einer Militäroperation am 23. Mai 2017 festzunehmen − stießen dabei aber auf eine Stadt voll hochgerüsteter Kämpfer. Die folgenden Kämpfe gehören zu den schlimmsten, die man auf den Philippinen seit dem 2. Weltkrieg erlebt hat. Sie dauerten über fünf Monate und endeten erst am 23. Oktober 2017, genau eine Woche, nachdem Hapilon und Omar Maute getötet worden waren.
Hass auf Christen
Als die Kämpfe endlich aufhörten, lag Marawi zu 80% in Ruinen. 978 Milizkämpfer waren tot, darunter auch 13 Ausländer, 12 konnten gefangen genommen werden. 87 Zivilisten und 168 Kämpfer der Regierungstruppen wurden ebenfalls als Opfer gemeldet. 1.400 Soldaten waren während der Auseinandersetzungen verletzt worden.
Das Vorgehen der Terroristen war geprägt von einem tiefen Hass auf die Christen. Selbst als sie von Landstreitkräften und aus der Luft mit moderner Waffentechnik angegriffen wurden, hatten sie offensichtlich noch die Ruhe, sich selbst dabei zu filmen, wie sie die Kathedrale der Stadt, eines ihrer ersten Ziele, schändeten und zu zerstören versuchten.
In der Stadt, in der die Christen einen Bevölkerungsanteil von nur fünf Prozent haben, machten die Jihadisten regelrecht Jagd auf die Christen, um sie gefangen zu nehmen und anschließend umzubringen. Interessant, dass auch einige Christen von Muslimen versteckt wurden!
Unter den Gefangenen befand sich auch Teresito Chito Soganob, der Generalvikar von Marawi. Die Jihadisten zwangen ihn, dabei zuzusehen, wie sie einen anderen christlichen Gefangenen enthaupteten. Schließlich zwangen sie ihn und andere christliche Geiseln, zum Islam zu konvertieren und sogar dazu, während der Belagerung beim Waffentransport zu helfen. Nachdem die Geiseln Monate später befreit worden waren, erklärt Bischof de la Peña, dass die Konversionen angesichts der gewaltsamen Umstände ungültig seien.
Mittlerweile sind alle Christen aus Marawi geflohen und die Regierung wird sie vor dem 1. Quartal des Jahres 2020 nicht zurücklassen. So lange werden etwa 10.000 von ihnen in Flüchtlingscamps in der Umgebung leben müssen − unter ihnen auch ihr Bischof de la Peña.
Suche nach Vermissten
Zahlreiche dieser Flüchtlinge sind in Sorge um ihre Verwandten, von denen sie kein Lebenszeichen haben. Sollten sie umgebracht worden sein, möchten sie wenigstens ihre Leichname bestatten können. Evelyn Powao und Melgie haben über ein Jahr lang jeden Tag gebetet, dass ihre Ehemänner zurückkommen mögen. Gemeinsam mit acht anderen Männern aus ein und derselben Familie „verschwanden“ sie während der Kämpfe.
Man muss ehrlich sagen: Für alle Flüchtlinge wird es noch lange dauern, bis sie in ein einigermaßen normales Leben zurückkehren können − falls das überhaupt jemals der Fall sein wird. Bischof de la Peña gibt in dieser schwierigen Situation aber nicht dem Islam die Schuld oder den Muslimen. Er hat großen Respekt vor Andersgläubigen. Das Problem sieht er vielmehr in einer grausamen und verkehrten Interpretation einer Religion − einer Interpretation, die von außerhalb der Philippinen kommt.
Bischof de la Peña ist überzeugt, dass der Fundamentalismus in seine Heimat „über muslimische Intellektuelle, die nach ihren Studien im Mittleren Osten hierher kamen“ importiert worden ist. Sie wurden infiltriert „mit einem extremistischen und gewalttätigen Islam“. Sie brachten dann den Krieg nach Mindanao, so der Bischof, „weil der Islamische Staat im Irak und in Syrien an Boden verlor und seinen Einfluss in Südostasien ausdehnen wollte.“ Erfolg sei ihm dabei nicht beschieden gewesen. Der Grund dafür? Der Bischof ist überzeugt, dass die über vierzigjährigen Bemühungen der katholischen Minderheit, mit den Muslimen vor Ort eine gute Beziehung aufzubauen, dafür entscheidend waren. Jetzt, wo die Christen allmählich planen, wieder nach Hause zurückzukehren, setzen sie auch wieder ganz auf einen fruchtbaren interreligiösen Dialog, um erneut gegenseitiges Vertrauen, Sicherheit und Wohlstand herzustellen.
Globale Bedrohung
Die Erfahrung der Bewohner von Marawi könnte eine Art
„Mikrokosmos“ sein für etwas, was auf der ganzen Welt passieren könnte, wenn man sich gegen den islamistischen Extremismus wendet. Der Bericht „Religionsfreiheit weltweit 2018“ des internationalen katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“ konstatiert, dass die Gefährdung der Religionsfreiheit durch
islamistische Extremisten ein weltweites Phänomen geworden ist, seitdem der Islamische Staat im Irak und Syrien militärische Niederlagen hinnehmen musste.
Mit zunehmender Häufigkeit haben Terroristen Anschläge in England, Spanien, Frankreich, Deutschland, Schweden, Belgien und Australien, um nur einige westliche Nationen aufzuzählen, verübt. Darüber hinaus hat islamistische Gewalt auch Länder wie Indonesien, Somalia, Niger, Libyen und Pakistan im Griff. Und auch wenn in Syrien und im Irak die Zahl terroristischer Anschläge erstmals seit Jahrzehnten zurückgegangen ist: Das Risiko ist nach wie vor hoch. Und allmählich beginnen Flüchtlinge, nach Hause zurückzukehren.
Bei allen Schwierigkeiten gibt es doch noch Hoffnungsschimmer, und Bischof de la Peña ist nicht der einzige, der diese Hoffnung sieht…
Wunderbares Zeugnis
Prinz Charles, der britische Thronfolger, sprach während eines Gottesdienstes in der Westminster Abbey, London, im vergangenen Dezember sehr optimistisch von der Hoffnung, die er aus den Beispielen der verfolgten Christen schöpft. Er meinte, die Rückkehr christlicher Flüchtlinge aus dem Irak nach Ninive sei „das wunderbarste Zeugnis menschlicher Ausdauer und der außergewöhnlichen Kraft des Glaubens, selbst den brutalsten Versuchen, den Menschen auszulöschen, Widerstand zu leisten.“ Der Kronprinz wiederholte mehrmals, wie tief berührt und innerlich bewegt er angesichts der immensen Vergebungsbereitschaft derer sei, die so viel erlitten hatten. „Vergebung“, so erklärte er, „ist ein Akt höchsten Mutes. Man entscheidet sich, sich nicht bestimmen zu lassen vom Verbrechen, das an einem verübt wurde, sondern konzentriert sich ganz auf die Liebe und die Gewissheit, dass sie über den Hass triumphiert.“ Und weiter: „Wir können wirklich nur danken für die bewundernswerte Glaubensstärke so vieler Christen, die der Verfolgung ausgesetzt sind − für eine Glaubensstärke, die ihnen Mut und Kraft zum Durchhalten gibt. Sie sind ein Vorbild für die ganze Kirche und alle Menschen guten Willens!“
Prinz Charles äußerte die Hoffnung, dass Christen und Muslime in Zukunft wieder miteinander im Frieden leben würden, so wie es auch aus der Vergangenheit Beispiele gebe, dass es möglich sei, Seite an Seite als Nachbarn und Freunde zu leben. Und auch heute: „Ich weiß zum Beispiel, dass im Libanon Christen gemeinsam mit Muslimen an einem Wallfahrtsort der ‚Gottesmutter vom Libanon‘ gemeinsam Maria verehren. Und ich kenne muslimische Religionsführer, die öffentlich für christliche Gemeinschaften Partei ergriffen und ihren Wert für die Umgebung herausgestellt haben.“ Der britische Thronfolger schloss: „Das friedliche Miteinander und das gegenseitige Verständnis sind also nicht nur eine bloße theoretische Idee. Es funktioniert! Und Hunderte Jahre gelebter Erfahrung bestätigen das. Extremismus und Spaltung sind überwindbar!“
Hoffnung für die Zukunft
Einige Tage nach dieser Rede, am Abend der Seligsprechung von Pierre Claverie und seinen Gefährten („die 19 Märtyrer von Algerien“; 8. Dezember 2018), äußerte einer von Algeriens ranghöchsten Bischöfen eine ganz ähnliche Beobachtung. Die Seligsprechungen wären vielmehr eine „Hoffnung für die Zukunft“ als ein „Bedauern der Vergangenheit“, so Erzbischof Paul Jacques Marie Desfarges. Sie seien eine Auszeichnung für alle algerischen Christen und Muslime, die nach dem Ende des Bürgerkriegs nun in Frieden miteinander leben.
Im Volk, so der Erzbischof, würden die katholischen Märtyrer gerne mit den 114 Imamen verknüpft, die sich weigerten, Gewaltexzesse während der dunklen Zeiten in den 1990er Jahren zu dulden. „Es gab auch eine Reihe von Journalisten, Schriftstellern, Künstlern und ganz normalen Eltern“, so der Erzbischof weiter, „die den bewaffneten Truppen Widerstand leisteten. Weil sie ihrem Glauben, ihrem Gewissen und der wahren Vaterlandsliebe treu blieben, mussten einige sogar ihr Leben lassen. Wir können unsere Märtyrer nicht verehren, wenn wir nicht auch all diese Menschen in unser Dankgebet einschließen.“
Nie wieder!
Für Christen ist die Hoffnung ein übernatürliches Geschenk, eine göttliche Tugend − und vielleicht kann man in all dem auch den Fingerzeig der göttlichen Vorsehung entdecken, die Weisheit Christi, die Lösungen schenkt, die an und für sich völlig verfahren und hoffnungslos erscheinen.
Immer wieder hat die Menschheit solche Phasen erlebt. Im Westen blühte die religiöse Toleranz nach der blutigen Phase der protestantischen Reformation neu auf, und die heutige Betonung der Menschenrechte ist auch ein Ergebnis aus dem 2. Weltkrieg und dem Holocaust. Auf verschiedene Weise will man zum Ausdruck bringen: „Nie wieder!“ Könnte es also nicht auch sein, dass inmitten des Blutvergießens heutiger Ideologien Menschen guten Willens ihr gemeinsames Menschsein tiefer erkennen − und die Hoffnung wächst, dass die Liebe endlich über die Gewalt siegt?