Ich hab halt meinen Koffer ausgepackt....
...so antwortet Benedikt XVI. laut Peter Seewald auf die Frage, was er denn gemacht habe, nachdem er als emeritierter Papst in Castel Gandolfo angekommen war. Ein Bild, das vielleicht für sein ganzes Leben stehen kann: ein Leben im Dienst der Kirche. Zu seinem 90. Geburtstag werfen wir einen Blick auf seine Biografie.
Zwischen zwei historischen Überschriften lagen acht Jahre: „Wir sind Papst!“ titelte die Bild-Zeitung nach der Wahl Josef Ratzingers zum Bischof von Rom am 19. April 2005. Der erste deutsche Papst seit 482 Jahren. Und als dieser am 11. Februar 2013 vor Kardinälen seinen Rücktritt zum Monatsende ankündigte – als zweiter Papst überhaupt nach Cölestin V. (1209/10-1296) – konstatierte das Boulevardblatt: „Keine Kraft mehr!“ Seither lebt Benedikt XVI. als emeritierter Papst im Kloster „Mater Ecclesiae“, dem für ihn umgebauten Alterssitz innerhalb der vatikanischen Mauern.
„Na, hoffentlich nicht!“, soll er bei einem Gespräch mit dem Journalisten Peter Seewald vor etwa einem Jahr gesagt haben, als dieser ihn darauf ansprach, dass er ja bald seinen 90. Geburtstag erleben werde. Seit seinem überraschenden Rücktritt hat Benedikt XVI. zwar körperlich merklich abgebaut, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird er seinen Geburtstag am 16. April wohl tatsächlich feiern können.
Kindheit in Oberbayern
Geboren wird er im Jahr 1927 in Marktl im oberbayerischen Landkreis Altötting, einem heute etwa 2.600 Einwohner zählenden Ort. Seine Eltern Joseph, Polizist, und Maria, Köchin, lassen ihn noch am gleichen Tag in der Pfarrkirche St. Oswald taufen – keine vier Stunden nach der Geburt. Warum die Eile? Im Buch „Salz der Erde“ erklärt Benedikt XVI., die Eltern hätten sich halt gesagt: „Jetzt is er scho do, der Bua, dann wird er natürlich in dieser liturgischen Stunde, die ja eigentlich Taufstunde der Kirche ist, auch getauft.“ Seine Schwester Maria, geboren 1921, wird später einmal seinen Haushalt führen; der drei Jahre ältere Bruder Georg wird es als „Chef“ der Regensburger Domspatzen selbst zu einiger Bekanntheit bringen.
Doch bis dahin vergeht noch einige Zeit. Mehrere Male zieht Familie Ratzinger um, bis Joseph dann schließlich am 16. April 1939 in das erzbischöfliche Studienseminar St. Michael in Traunstein aufgenommen wird, um von dort aus das Chiemgau-Gymnasium zu besuchen. Die Hitler-Jahre bringen es mit sich, dass er mit 14 Jahren in die Hitlerjugend aufgenommen, später als Luftwaffenhelfer und Reichsarbeitsdienstler eingesetzt und schließlich, im Dezember 1944, in die Wehrmacht eingezogen wird. Nach Kriegsende und kurzer Kriegsgefangenschaft legt er das Abitur ab und studiert von 1946 bis 1951 in Freising und München katholische Theologie und Philosophie. Berufswunsch: Priester.
Priesterweihe und akademische Laufbahn
Gemeinsam mit seinem Bruder Georg wird er am 29. Juni 1951 im Freisinger Dom durch Kardinal Faulhaber zum Priester geweiht, wenige Tage später wird die gemeinsame Primiz in der Pfarrkirche St. Oswald zu Traunstein gefeiert. Nach einer kurzen Kaplanszeit wird Joseph Ratzinger als Dozent an das diözesane Priesterseminar versetzt. 1953 schließt er seine Promotion ab. Seine anschließende Promotion bei Gottlieb Söhngen wird durch ein vernichtendes Urteil des Zweitkorrektors Michael Schmaus zum Drama. In seinen Erinnerungen „Aus meinem Leben“ schreibt Ratzinger später: „Eine Welt drohte für mich zusammenzubrechen.“ Schließlich veröffentlicht er nur einen Teil seines Werkes, die Habilitation wird 1957 angenommen. Und schon als 31-Jähriger übernimmt er die Professur für Dogmatik und Fundamentaltheologie in Freising, bevor ihn Rufe nach Bonn bzw. Münster ereilen. Hans Küng vermittelt ihm 1966 einen Lehrstuhl in Tübingen, wo es der als aufgeschlossen und fortschrittlich geltende Ratzinger – immerhin war er 1963 zum Konzilstheologen berufen worden – nicht ganz so leicht hat. Die Studentenproteste Ende der 60er-Jahre haben sein weiteres Denken wohl stark geprägt und er wechselt 1969 an die Universität Regensburg.
Die akademische Laufbahn, von der er im Interview-Buch glaubt, sie wäre das Glück seines Lebens geworden, endet, als er 1977 von Papst Paul VI. zum Erzbischof von München-Freising ernannt wird. Im gleichen Jahr wird er in das Kardinalskollegium aufgenommen, so dass er an beiden Konklaven des Jahres 1978 teilnehmen kann.
Wechsel nach Rom
Johannes Paul II. muss sich etwas gedulden, bis er seinen Lieblingskandidaten für das Amt des Präfekten der Glaubenskongregation nach Rom holen kann – Kardinal Ratzinger hatte sich längere Bedenkzeit erbeten – doch am 1. März 1981 ist es so weit und er tritt seinen Dienst als oberster Glaubenshüter an. Ohne Italienisch-Kenntnisse leitet er seine ersten Besprechungen allesamt auf Latein.
Als Präfekt der Glaubenskongregation macht er sich in den folgenden Jahren, vielleicht auch qua Amt, nicht nur Freunde. Nicht selten wird nun von ihm in den Medien das Bild eines Großinquisitors gezeichnet, der gegen die Vielfalt in der Kirche und für die Förderung des römischen Zentralismus kämpft. Sein Vorgehen gegen Theologen, die nicht auf Linie liegen, seine Vorbehalte gegen die Befreiungstheologie und der Ökumene hinderliche Verlautbarungen tragen zu diesem Image bei. Auch beim von Rom gegenüber den deutschen Bischöfen erzwungenen Ausstieg aus der Schwangerenkonfliktberatung spielt der Präfekt der Glaubenskongregation wohl eine entscheidende Rolle.
Nicht nur er wartet vermutlich mit einiger Sehnsucht auf seinen 75. Geburtstag im Jahr 2002, um sein Rücktrittsgesuch beim Papst einzureichen. Der habe ihm jedoch gesagt, so Benedikt XVI. in „Licht der Welt“: „Sie brauchen den Brief gar nicht zu schreiben, denn ich will Sie bis zum Ende haben.“
...und plötzlich Papst
So fiel dann Joseph Ratzinger am 8. April 2005 als Kardinaldekan die Aufgabe zu, das Begräbnis für den verstorbenen Johannes Paul II. zu leiten. Dass er wenige Tage später dessen Nachfolger sein wird, kann er noch nicht ahnen: 78-jährig wird Joseph Ratzinger am 19. April im vierten Wahlgang von den 115 zum Konklave versammelten Kardinälen zum Papst gewählt. Als Benedikt XVI. betritt er die Benediktionsloggia am Petersdom und grüßt die nach einem der kürzesten Konklave der Kirchengeschichte teils überraschte Weltöffentlichkeit: „Nach einem großen Papst Johannes Paul II. haben die Herrn Kardinäle mich gewählt, einen einfachen und bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn. Mich tröstet die Tatsache, dass der Herr auch mit ungenügenden Werkzeugen zu arbeiten und zu wirken weiß. Vor allem vertraue ich mich euren Gebeten an.“
Bei seiner ersten Audienz für deutsche Pilger schildert er den Moment seiner Wahl, „als das Fallbeil auf mich herabfiel und mir ganz schwindelig zumute wurde.“ Seine Bitte an den Herrn „tu‘ mir das nicht an“, habe dieser offenkundig nicht erhört.
Wenn auch eine umfassende Darstellung und Würdigung seines Pontifikates den Rahmen dieses Beitrags übersteigt, sollen doch einige Aspekte seiner Regierungszeit herausgehoben werden.
Schwerpunkt Liturgie
Davon überzeugt, dass die Kirchenkrise „weitgehend auf dem Zerfall der Liturgie beruht“ (in: „Der Geist der Liturgie“), setzte Papst Benedikt XVI. liturgische Akzente. Von ihm wieder „hervorgeholte“ gotische und barocke Paramente interpretierten dabei nicht wenige als Zeichen einer erstarkenden Rückwärtsgewandtheit. Im Apostolischen Schreiben Summorum Pontificum erklärte das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche dann im Juli 2007, dass die außerordentliche Form des römischen Ritus („tridentinische Messe“) von jedem Priester wie selbstverständlich gefeiert werden dürfe. Wo man Benedikt XVI. die Rückgängigmachung der Liturgiereform des 2. Vatikanischen Konzils unterstellte, verwies der darauf, dass die außerordentliche Form niemals abgeschafft worden sei und dass die theologischen Grundgedanken ohnehin die gleichen seien.
Die nicht zuletzt in diesem Zusammenhang entstandene Aufregung um die Karfreitagsfürbitte für die Juden belastete den jüdisch-christlichen Dialog. Dazu trugen auch die Holocaust-Leugnungen von Bischof Richard Williamson aus der Priesterbruderschaft St. Pius X. bei, dessen Exkommunikation nach offensichtlichen Kommunikationspannen im Vatikan vom Papst aufgehoben worden war.
Dialog der Religionen
Als ein den islamisch-christlichen Dialog belastendes Zitat geht eine kurze Passage einer Vorlesung des Papstes während seines zweiten Deutschlandbesuchs in Regensburg ein. Am 12. September 2006 zitiert Benedikt XVI. den byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaiologos (1350–1425), der Mohammed vorwirft, den Glauben durch das Schwert zu verbreiten. Schnell wird dem Papst selbst eine „Hasspredigt“ unterstellt. Dabei ging es ihm lediglich darum, so sieht sich Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone genötigt klarzustellen, jegliche religiöse Motivation von Gewalt entschieden zurückzuweisen.
Wie so oft: Als die Wogen sich wieder glätten, nutzen Papst und muslimische Gesprächspartner viele Gelegenheiten zum Dialog, so dass die islamische Zeitung Zaman nach einem Türkeibesuch des Pontifex maximus berichten kann, „dass der Dialog der Religionen nun wirklich in Gang gekommen ist.“
Schwere Brocken
Offenkundig schwer zu schaffen machen dem Papst im Frühjahr 2010 eine Reihe von neuen Missbrauchsvorwürfen, die nun auch die Bistümer in Deutschland und Österreich treffen. Weiter lässt die Vatileaks-Affäre – 2011 und 2012 gelangen immer wieder interne Dokumente in die Medien, die vom päpstlichen Kammerdiener Paolo Gabriele gestohlen worden waren – den Vatikan in keinem guten Licht erscheinen. Vorwürfe von Korruption und Misswirtschaft, Unregelmäßigkeiten bei der Vatikan-Bank und Gerüchte einer homosexuellen Lobby sind Themen, mit denen sich der gelehrte Papst auseinandersetzen muss. Auch in seiner Personalpolitik scheint ihm manches Mal das Glück zu fehlen.
Ob er sich als Papst folglich gescheitert sieht, fragt ihn Peter Seewald in „Letzte Gespräche“. Darauf er, dann schon als emeritiertes Oberhaupt der katholischen Kirche: „Als Gescheiterten kann ich mich nicht sehen. Ich habe acht Jahre meinen Dienst getan. Da war viel Schweres in der Zeit. (...) Aber im Ganzen war es doch auch eine Zeit, in der viele Menschen neu zum Glauben gefunden haben und eine große positive Bewegung da war.“
Historischer Rücktritt
Knapp acht Jahre wird Benedikt XVI. am 11. Februar 2013 Papst gewesen sein, als er zur Überraschung der Weltöffentlichkeit vor dem Kardinalskollegium seinen Rücktritt erklärt: „Nachdem ich wiederholt mein Gewissen vor Gott geprüft habe, bin ich zur Gewissheit gelangt, dass meine Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben.“ Am 28. Februar fliegt Papst Benedikt Richtung Castel Gandolfo, um 20.00 Uhr beginnt offiziell die Sedisvakanz. Rückblicke auf das Pontifikat zeigen die Herausforderungen der vergangenen Jahre – aber auch das unglaublich produktive Arbeitspensum Benedikts: 24 Reisen haben ihn auf alle Kontinente geführt, drei Enzykliken wurden veröffentlicht, Stichworte wie seine „Entweltlichungs-Rede“ in Freiburg haben den öffentlichen Diskurs geprägt, und nicht zu vergessen seine Trilogie „Jesus von Nazareth“ – die Leidenschaft für das theologische Schreiben hat er sich bewahrt. Walter Kardinal Kasper resümiert die Benedikt-Jahre: „Wir werden nicht so schnell wieder einen Papst von dem gleichen geistigen und geistlichen Format haben wie Benedikt XVI.“
Zwei Päpste?
Mit der Wahl von Jorge Kardinal Bergoglio zum 266. Bischof von Rom hat die Welt seit dem 13. März 2013 einen neuen Papst, einen „vom anderen Ende der Welt“, der anders auftritt und andere Akzente setzt. Doch beide, Franziskus wie Benedikt, betonen immer wieder ihre Verbundenheit. Benedikt verspricht dem neuen Papst bedingungslosen Gehorsam, und Franziskus zeigt sich dankbar für die gespürte Unterstützung: „Seine unaufdringliche Präsenz und seine Gebete für die Kirche geben mir Halt und Trost bei meinem Dienst.“
So manch einer – vielleicht auch der emeritierte Papst selbst – mag sich die Zurückgezogenheit in das Kloster „Mater Ecclesiae“ weit stiller vorgestellt haben. Wie dem auch sei: Es wird wohl erst die Zukunft das Pontifikat Benedikts XVI. für den Lauf der Kirchengeschichte einordnen und entsprechend würdigen können. Zum 90. Geburtstag sei ihm nun jedenfalls herzlich gratuliert: Gottes reichen Segen!