Mein unbeflecktes Herz wird euch zu Gott führen
Unter diesem Motto steht die 100-Jahr-Feier am zweitgrößten Wallfahrtsort Europas, in Fatima. Unser Beitrag widmet sich der Marienverehrung und der Geschichte rund um die drei Hirtenkinder.
An Maria scheiden sich die Geister. Das habe ich während des Theologie-Studiums in unserem Juniorat in Würzburg gemerkt, als ich manch einem Mitbruder nicht fromm genug war – äußeres Indiz war der bei mir am Habit fehlende Rosenkranz. Und das merke ich nun auch, wenn ich selbst einen Priester skeptisch beäuge, der zum Schluss der Messe grundsätzlich nie ein Marienlied singen lässt – etwas, was an unserer Wallfahrtskirche in Schwarzenberg nahezu absolute Selbstverständlichkeit ist. Die Frage, wie jemand es mit Maria hält, wird leider oft genug zum Gradmesser, wie katholisch jemand ist (oder eben nicht). Das ist durchaus bedauerlich, wenn Maria dann auf eine solche Rolle reduziert wird. Um dem gegenzusteuern, wird kein Christ umhin können, sich immer wieder einmal der Frage zu stellen, welches Potential die Gottesmutter Maria für seinen persönlichen Glauben haben darf.
Marianisches Jahrhundert
Gisbert Greshake, der ehemalige Freiburger Dogmatiker, hat darauf hingewiesen, dass die Zeit von der Verkündung des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis Mariens (8. Dezember 1854) bis zum 2. Vatikanischen Konzil (1962-1965) als „Marianisches Jahrhundert“ bezeichnet werden kann. Eine reiche, bisweilen wohl auch übertriebene Marienfrömmigkeit war selbstverständlicher Teil der religiösen Praxis von Katholiken. Sage und schreibe etwa 100.000 in dieser Zeit entstandene marianische Bücher sind ebenso Zeuge davon wie zigtausende marianische Vereinigungen, die in diesen Jahren gegründet wurden. Von Maria, so schien man überzeugt, kann nie genug gesagt werden.
Und so war es dann auch nicht nur eine Minderheit, die hoffte, während des 2. Vatikanums die marianischen Titel „Miterlöserin“ und „Mittlerin der Gnade“ zu dogmatisieren. Doch so weit kam es nicht. Mit knapper Mehrheit entschieden die Konzilsväter, das Thema „Maria“ nur innerhalb der Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“ zu behandeln – und die frommen Titel nicht verbindlich festzulegen. Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., spricht denn auch von einem „Kollaps der Mariologie“, der sich nach dem Konzil ereignete.
Hans Urs von Balthasar stellt im Blick auf die Konsequenzen vielleicht nicht zu Unrecht fest: „Ohne Mariologie droht das Christentum unter der Hand unmenschlich zu werden. Die Kirche wird funktionalistisch, seelenlos, ein hektischer Betrieb ohne Ruhepunkt, in lauter Verplanung hinein verfremdet. Und weil in dieser mann-männlichen Welt nur immer neue Ideologien einander ablösen, wird alles polemisch, kritisch, bitter, humorlos und schließlich langweilig, und die Menschen laufen in Massen aus einer solchen Kirche davon.“ Der Kirche, so von Balthasar, würden die mystischen Züge fehlen, zu denen unzweifelhaft auch die marianischen gehören. Und selbst Eugen Drewermann hält es dann im Blick auf diese Welt für eine „unausweichliche, lebensnotwendige Reaktion“, Maria als „eine ewige, göttliche Wahrheit (wieder-)zu entdecken und zu bestätigen.“
Erscheinungen in Portugal
Marianische Wallfahrtsorte sind seit jeher genau diesem Ziel verpflichtet. 2017 blickt die katholische Welt da vor allem auf den portugiesischen Ort Fatima, wo man den 100. Jahrestag der Erscheinungen feiert.
Erinnert wird an Erscheinungen, von denen die drei Hirtenkinder Lucia, Jacinta und Francisco Marto berichten. Erste Offenbarungen gehen dabei zurück bis in das Jahr 1915. Rückblickend erzählt Schwester Lucia, wie sie, ihre Cousine und ihr Cousin „wie in der Luft schwebend eine Gestalt sahen, ähnlich einer Statue aus Schnee, die durch die Sonnenstrahlen ein wenig durchsichtig wurde.“ Später erscheinen ihnen Engel, die sie zum Mitbeten auffordern – und dann schließlich, am 13. Mai 1917, die Gottesmutter, die sie bittet, in den nächsten Monaten jeweils am 13. Tag zurückzukehren. Sr. Lucia erinnert sich später an diese Erscheinung: „Habt keine Angst! Ich tue euch nichts Böses! – Woher kommen Sie? fragte ich sie. – Ich bin vom Himmel! – Und was wollen Sie von mir? – Ich bin gekommen, euch zu bitten, dass ihr in den folgenden sechs Monaten, jeweils am Dreizehnten zur selben Stunde hierherkommt. Dann werde ich euch sagen, wer ich bin und was ich will. Ich werde danach noch ein siebtes Mal hierher zurückkehren.“
Die kleine Jacinta plaudert diese Aufforderung aus, so dass sich in den kommenden Monaten oft viele Tausend Schaulustige zusammenfinden. Am 13. Oktober 1917 werden sie Zeugen eines sogenannten Sonnenwunders, das im Oktober 1930 von der Kirche auch offiziell als Wunder anerkannt wird. Die drei Geheimnisse, die den Hirtenkindern einige Monate vorher, nämlich am 13. Juli, anvertraut werden, bleiben der Öffentlichkeit allerdings zunächst verborgen. Erst 1941 werden sie von Sr. Lucia, die zunächst in das Kollegium der Dorotheerinnen eintritt und später in den Karmel von Coimbra wechselt, aufgeschrieben und veröffentlicht – jedenfalls die beiden ersten Geheimnisse.
Prophezeiungen von Krieg
Das zweite Geheimnis, das hier exemplarisch wiedergegeben werden soll, wird heute nicht nur als Voraussage des Endes des 1. Weltkriegs gedeutet, sondern auch als Prophezeiung des 2. Weltkriegs und als konkrete Aufforderung, für die Bekehrung Russlands zu beten: „Ihr habt die Hölle gesehen, wohin die Seelen der armen Sünder kommen. Um sie zu retten, will Gott in der Welt die Andacht zu meinem unbefleckten Herzen begründen. Wenn man tut, was ich euch sage, werden viele Seelen gerettet werden, und es wird Friede sein. Der Krieg wird ein Ende nehmen. Wenn man aber nicht aufhört, Gott zu beleidigen, wird unter dem Pontifikat von Papst Pius XI. ein anderer, schlimmerer beginnen. Wenn ihr eine Nacht von einem unbekannten Licht erhellt seht, dann wisst, dass dies das große Zeichen ist, das Gott euch gibt, dass Er die Welt für ihre Missetaten durch Krieg, Hungersnot, Verfolgungen der Kirche und des Heiligen Vaters bestrafen wird. Um das zu verhüten, werde ich kommen, um die Weihe Russlands an mein unbeflecktes Herz und die Sühnekommunion an den ersten Samstagen des Monats zu verlangen. Wenn man auf meine Wünsche hört, wird Russland sich bekehren und es wird Friede sein. Wenn nicht, wird es seine Irrlehren über die Welt verbreiten, wird Kriege und Kirchenverfolgungen heraufbeschwören. Die Guten werden gemartert werden, der Heilige Vater wird viel zu leiden haben, verschiedene Nationen werden vernichtet werden, am Ende aber wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren. Der Heilige Vater wird mir Russland weihen, das sich bekehren wird, und der Welt wird eine Zeit des Friedens geschenkt werden.“
Skeptiker geben zu bedenken, dass die Prophezeiung erst 1941 aufgeschrieben und veröffentlicht worden sei – lange nach dem Ende des 1. Weltkriegs und schon einige Zeit nach Beginn des neuerlichen Kriegs.
Langes Geheimnis um das 3. Geheimnis
Im dritten Geheimnis, das einige Jahre später, nämlich 1944, von Schwester Lucia aufgezeichnet und erst am 26. Juni 2000 veröffentlicht wird, fordert Maria die Menschheit eindringlich zur Umkehr auf: „Buße, Buße, Buße!“ Die Rede ist auch von „einem in Weiß gekleideten Bischof“, der als Papst gedeutet wird, und der schließlich von einer Gruppe von Soldaten getötet wird. Viele andere Bischöfe, Priester und Gläubige werden ebenfalls umgebracht – lassen in der Vision als Märtyrer ihr Leben für den Glauben.
Als Papst Johannes Paul II. am 13. Mai 1981, dem Jahrestag der ersten Marienerscheinung in Fatima, von Ali Agca niedergeschossen wird, schreibt er seine Rettung der Gottesmutter zu. Die Vorhersage des dritten Geheimnisses bezieht er auf sich und zeigt sich überzeugt, dass „eine mütterliche Hand die Flugbahn der Kugel leitete“ und ihn vor dem Tod bewahrte. Er ist es auch, der am 13. Mai 2000 die beiden bereits 1919 bzw. 1920 verstorbenen Seherkinder Francisco Marto und Jacinta seligspricht. Mit Sr. Lucia verbindet ihn zeitlebens eine innige Freundschaft.
Ob sie sich mit ihren Erscheinungen wichtigmachen will? Der ehemalige Kölner Erzbischof, Joachim Kardinal Meisner, erinnert sich: „Schwester Lucia war eine nüchterne Frau. Ich begegnete ihr erstmals in ihrem Kloster, als ich dort für den Konvent die Messe feierte. Sie war dort Ökonomin, zuständig für die ganze Wirtschaft, für die Kartoffelvorräte genauso wie für die Wasserleitungen und ähnliches. Von den Marienerscheinungen redete sie nur, wenn man sie dazu drängte.“ Kapital will sie offenbar nicht daraus schlagen, auch wenn das Wallfahrtsgeschehen sicher für die Region rund um Fatima mittlerweile zum bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden ist.
Fatima als angebotene Hilfe
Als Präfekt der Glaubenskongregation hat Joseph Kardinal Ratzinger im Jahr 2000 eine sehr hilfreiche Interpretation mit dem Titel „Die Botschaft von Fatima“ herausgegeben. Er ordnet die Botschaft der Seherkinder von Fatima darin den sogenannten Privatoffenbarungen zu, die der Lehre der Kirche nicht widersprechen dürfen und die helfen sollen, in einer konkreten Zeit tiefer aus der abgeschlossenen Offenbarung Christi zu leben. „Der Maßstab für Wahrheit und Wert einer Privatoffenbarung“, so Kardinal Ratzinger, „ist demgemäß ihre Hinordnung auf Christus selbst. Wenn sie uns von ihm wegführt, wenn sie sich verselbstständigt oder sich gar als eine andere und bessere Ordnung, als wichtiger denn das Evangelium ausgibt, dann kommt sie sicher nicht vom Heiligen Geist, der uns in das Evangelium hinein- und nicht aus ihm herausführt.“
Für die Botschaft von Fatima, deren Auslegung der Kirche zukommt, gelte, so der Präfekt der Glaubenskongregation: „Sie ist eine Hilfe, die angeboten wird, aber von der man nicht Gebrauch machen muss.“ Die große Chance des portugiesischen Wallfahrtsortes sieht er darin: „die Führung zum Gebet als Weg zur ‚Rettung der Seelen‘ und im gleichen Sinn der Hinweis auf Buße und Bekehrung.“
Anziehungspunkt für die Gläubigen
Und mit dieser Aufgabe scheint der Ort, der durch die Erscheinungen im Jahr 1917 weltberühmt geworden ist, von seiner Anziehungskraft nichts verloren zu haben, auch wenn das Magazin „Der Spiegel“ in einem Beitrag zum 50-jährigen Jubiläum im Jahr 1967 noch eine „schleichende Abwendung“ von der Marienverehrung prophezeite und damit offensichtlich nicht Recht behielt. Je nach herangezogener Quelle pilgern Jahr für Jahr etwa vier Millionen Gläubige nach Fatima. Ihr erstes Ziel ist das Herzstück der Wallfahrt, die „Erscheinungskapelle“, die die Bevölkerung am Erscheinungsort errichtet hatte, und vor der heute die berühmte Statute der Jungfrau von Fatima steht. Vom Turm der 1953 fertiggestellten Basilika spielen die 61 dort aufgehängten Glocken stündlich das Fatima-Lied. Das größte Fassungsvermögen allerdings – nämlich ca. 9.000 Sitzplätze – bietet die 2007 eingeweihte Dreifaltigkeitskirche, die Igreja da Santissima Trindade. Sie gehört neben der Antoniusbasilika von Padua und sechs weiteren Gotteshäusern zu den acht internationalen Heiligtümern und ist die viertgrößte Kirche weltweit.
Jubiläum 2017
Die Jubiläumsfeierlichkeiten in Fatima begannen bereits im Jahr 2016 – doch einer der Höhepunkte steht nun kurz bevor: Am 12./13. Mai wird Papst Franziskus, der im Jahr 2013 seine Amtszeit unter den Schutz der Jungfrau von Fatima stellte, in Portugal erwartet. Seinen knapp 24-stündigen Aufenthalt hat er unter das Motto gestellt: „Mit Maria, Pilger in Hoffnung und in Frieden“. Auf dem größten Kirchplatz der Welt wird er am 100. Jahrestag der Erscheinungen auf dem Feld Cova da Iria am 13. Mai einen festlichen Gottesdienst feiern. Für Juni ist ein großer internationaler Kongress geplant, bei dem Wissenschaftler nach Angaben der Veranstalter versuchen wollen, dazu beizutragen, „Fatima neu zu deuten und neu zu begreifen“ – unter anderem aus soziologischer, psychologischer und kulturhistorischer Sicht. Und 2018 wird dann Fatima nach Rom kommen und zwar mit einer Foto-Ausstellung zum Thema „Fatima und die Päpste“.
Wie jeder einzelne Gläubige dieses Jubiläum annimmt und mitfeiert, wird letztlich ihm überlassen sein. Gewiss kann es, vielleicht auch verbunden mit einer Fatima-Wallfahrt, zu einer innigeren Begegnung mit Gott und einer Vertiefung des eigenen Glaubens führen: Durch Maria zu Christus finden, das ist schon lange ein Anliegen marianischer Spiritualität.