Mobil in die Zukunft
Jede und jeder ist auf Mobilität angewiesen. Mit dem Schwerpunkt „Verkehr“ widmet sich dieser Beitrag einem der großen Zukunftsthemen unserer Zeit.
Fünf Jahre sind vergangen, seit Saudi-Arabien das bis dahin bestehende Fahrverbot für die Hälfte der Bevölkerung gekippt hat. Als letztes Land der Erde hat die Monarchie 2018 Frauen das Recht zugestanden, einen Autoführerschein zu machen. Zwar bleiben die Hürden zur Fahrerlaubnis hoch und teuer, doch heute gehören weibliche Fahrerinnen zur Normalität: Sie steuern Autos für Fahrdienste wie Uber, fahren für den Online-Händler Amazon Pakete aus und nutzen das höhere Maß an Mobilität und Flexibilität – zumindest theoretisch – auch im privaten Leben. Theoretisch, denn: Von echter Gleichstellung ist das Land weit entfernt. Wie in wenigen anderen Länder der Erde sind Frauen in Saudi-Arabien auf die jeweilige Erlaubnis ihres Ehemannes angewiesen, wenn sie Dinge tun wollen, die anderswo im Rahmen der Freiheit problemlos möglich sind. Doch immerhin: Ihre Mobilität hat sich in den vergangenen fünf Jahren zumindest ein wenig verbessert.
Ohne Fahrer und ohne Auto…
Ein Szenenwechsel führt uns in die USA, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten schlechthin. Eine kalifornische Regierungsbehörde hat der Google-Schwesterfirma Waymo jüngst die Erlaubnis erteilt, den Radius ihres Robotaxi-Dienstes deutlich zu erweitern. Etwa 60 Kilometer weit dürfen nun Passagiere in selbstfahrenden Autos ohne Menschen am Steuer transportiert werden. 250 Wagen sind bereits seit einiger Zeit mit bis zu 105 Stundenkilometern Geschwindigkeit im Einsatz. Immer wieder gibt es kleinere Zwischenfälle und größere Unfälle, doch der Trend zum fahrerlosen Fahren scheint nicht mehr zu stoppen.
Ein weiterer Szenenwechsel, und wir landen in Osttimor, einem Inselstaat in Südostasien mit etwa 1,3 Millionen Einwohnern. Die Rangliste der „50 Länder mit den wenigsten PKW“ führt das Land – nach Grönland – auf Platz 2. Nur ein paar Tausend Autos sind zugelassen und etwas mehr Motorräder. Die meisten Timoresen sind auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen, um von einem Ort zum andern zu kommen. Die Mehrheit der (wenigen) Straßen gilt als reparaturbedürftig.
Beweglichkeit überwindet Grenzen
Wer sich mit dem Stichwort „Mobilität“ befasst, betritt ein weites Feld und stößt auf Entwicklungen mit höchst unterschiedlichen Geschwindigkeiten.
Um das Feld ein wenig einzugrenzen, definiert das österreichische Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie: „Mobilität beschreibt die Bewegung von Menschen und Dingen in Räumen. Der Ausdruck entstammt der Militärsprache des 18. Jahrhunderts (‚mobile‘ im Sinne von ‚beweglich, einsatzbereit‘). So wird Mobilität allgemein als physische, psychische oder soziale ‚Beweglichkeit‘ definiert. Im verkehrlichen Kontext wird der Begriff Mobilität auf die Beweglichkeit des Menschen außer Haus zum Zwecke der Überwindung räumlicher Distanzen eingeschränkt. Mobilität dient auch dazu, den Lebensraum optimal zu nutzen und zu erweitern. Vielfach wird Mobilität auch als Bereitschaft und Fähigkeit definiert, räumliche Standortveränderungen vornehmen zu wollen oder zu können.“
Weltweit vernetzt
Eine verbesserte Mobilität hat in den vergangenen Jahrzehnten wesentlich zur Entwicklung der Welt beigetragen. Mobilität hat eine entscheidende Rolle bei der Globalisierung gespielt. Der Einsatz von Schiffen, Flugzeugen, Lastwagen und anderen Transportmitteln ermöglicht es Unternehmen, Produkte weltweit zu vertreiben und ihre Märkte zu erweitern. Der stets einfachere Zugang zu Transportmitteln erleichtert aber auch die internationale Reisetätigkeit von Menschen. Geschäftsleute, Touristen, Wissenschaftler und Arbeitsmigranten können leichter zwischen Ländern reisen, was den kulturellen Austausch fördert und die globale Zusammenarbeit erleichtert. Dieser menschliche Austausch unterstützt obendrein den Austausch von Ideen, Technologien und Innovationen und hat für eine historisch einmalige Geschwindigkeit im Fortschritt der Welt gesorgt.
Mobilität mit Nebenwirkungen
Allerdings: Die enge Verflechtung von Mobilität und Globalisierung führt auch zu einer Reihe von Herausforderungen, wie beispielsweise Umweltauswirkungen, Verkehrsstaus und Abhängigkeiten von bestimmten Verkehrsmitteln oder Handelswegen.
Verbrennungsmotoren setzen Schadstoffe wie Stickoxide (NOx), Kohlenmonoxid (CO), flüchtige organische Verbindungen (VOCs) und Partikel frei, die die Luftqualität verschlechtern und Gesundheitsprobleme verursachen können. Sie greifen auch Pflanzen, Gewässer, Böden und sogar Bauwerke an. Emissionen wie Treibhausgase und Kohlendioxid (CO2) tragen zum Klimawandel bei, indem sie den Treibhauseffekt verstärken und die globale Erwärmung beeinflussen. Darüber hinaus erzeugt der Verkehr Lärm, der für Umwelt und menschliche Gesundheit schädlich sein kann.
Einsparungen im Blick auf den Schadstoffausstoß sind in den letzten Jahren kaum gelungen. Zwar trägt die Verbesserung von Motoren und Abgastechnik sowie die Verwendung neuer Kraftstoffe zu einer Verringerung bei: Diese Maßnahmen werden jedoch durch das steigende Verkehrsaufkommen sowie die zunehmende Zahl hochmotorisierter Fahrzeuge mit vergleichsweise hohem Kraftstoffverbrauch mehr als aufgewogen. Eine der Folgen: Zwischen 1990 und 2021 erhöhte sich laut Eurostat der jährliche CO2-Ausstoß im Straßenverkehr EU-weit um 21 Prozent. Die Umweltbelastungen durch den Flugverkehr oder das Schweröl der Schifffahrt sind damit noch gar nicht berücksichtigt, geschweige denn Havarien, Lecks und Ölkatastrophen.
Teuerungen und Lieferengpässe
Dass die jemenitische Huthi-Miliz im Roten Meer seit Monaten Angriffe auf Frachter verübt, gefährdet die Sicherheit der internationalen Schifffahrt und damit den Welthandel: Etwa zwölf Prozent des Welthandels laufen über das Rote Meer. Reedereien bleibt häufig nichts anderes übrig, als Schiffe umzuleiten: Sie müssen dann die erheblich längere Route um das Kap der Guten Hoffnung an der Südspitze Afrikas nehmen. Das deutsche Bundeswirtschaftsministerium teilt mit: „Freie und sichere Handelsrouten sind für den globalen Handel von großer Bedeutung. Sollte es zu einer längeren Behinderung auf der Handelsroute kommen, wären längere Lieferzeiten aufgrund alternativer Routen zu erwarten.“
Für teils dramatische Folgen hatte im März 2021 das Containerschiff „Ever Given“ gesorgt: Es war auf Grund gelaufen und hatte für sechs Tage den Suezkanal komplett blockiert. Hunderte Schiffe konnten die Wasserstraße nicht passieren. Industrie und Handel hatten mit massiven Störungen und Verzögerungen zu kämpfen. Und bereits spätestens seit der Corona-Pandemie sind Lieferkosten deutlich gestiegen.
Mehr Güter auf die Schiene
Für manche Mobilitäts-Herausforderungen gibt es aktuell kaum wirkliche Lösungen – für andere hingegen eigentlich (!) schon. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland hält beispielsweise fest: „Nachhaltige Mobilität ist unmöglich ohne eine gute Bahn. Die Klimaschutzziele werden verfehlt, wenn es nicht gelingt, Verkehr konsequent auf die Schiene zu verlagern. Der Anteil des Schienengüterverkehrs z.B. könnte innerhalb von 15 Jahren verdoppelt werden.“ Allerdings: „Jahrzehntelang ist der Schienenausbau in Deutschland rückläufig gewesen – das Schienennetz ist seit der Bahnreform deutlich geschrumpft und viele Strecken sind jetzt schon an ihrer Auslastungsgrenze.“ Aktuell gilt die Deutsche Bahn als so unzuverlässig wie selten.
Günstiger Zug fahren
In Österreich wurde zum Nationalfeiertag 2021 das sogenannte „KlimaTicket“ eingeführt. Zum Normalpreis von 1.095 Euro fahren Nutzer ein Jahr lang unbegrenzt in nahezu allen österreichischen Zügen und öffentlichen Verkehrsmitteln. Über 260.000 Menschen nutzen mittlerweile das Angebot, welches laut Eigenwerbung einen „wertvollen Beitrag für das Klima unseres Planeten“ leisten möchte. Für 18-Jährige will die österreichische Regierung künftig eine ein Jahr lang gültige Gratiskarte zur Verfügung stellen. 18-Jährige seien in einer Lebensphase, „in der allerhand Entscheidungen anstehen und in der auch das Mobilitätsverhalten geprägt wird“, so Klimaministerin Leonore Gewessler von den Grünen, die Volljährige für öffentliche Verkehrsmittel als Alternative zum Auto begeistern will. Andere Länder, wie zum Bespiel Deutschland mit dem „49-Euro-Ticket“, sind dem österreichischen „KlimaTicket“ nachgefolgt. Auch hier gibt es allerdings, abgesehen von den Steuermillionen, die solche vergünstigten Pauschalangebote verschlingen, nicht nur Gewinner: Das Nachsehen haben häufig Menschen, die auf dem Land wohnen. Hier ist die öffentliche Verkehrsinfrastruktur weniger gut ausgebaut. Eine Umfrage des deutschen Bundeslandwirtschafsministeriums aus dem Jahr 2021 zeigt: Für 84 Prozent der Landbewohner sind Autos, Motorräder oder Mofas die erste Verkehrsmittelwahl. In städtischen Gebieten sind es 70 Prozent. Umgekehrt: In Ballungsgebieten nutzen 71 Prozent Bus und Bahn, im ländlichen Raum nur knapp über 40 Prozent. Für Befürworter der „Verkehrswende“ ist es möglicherweise ernüchternd, was Andreas Knie, Verkehrsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin meint: „Wir müssen einfach einmal anerkennen, dass wir in einer Automobilgesellschaft leben. Und das ist auf dem Land noch mehr der Fall als in der Stadt. Wir sind in ländlichen Räumen in manchen Kreisen bei 700 Autos pro 1.000 Einwohner. Diese Menschen steigen nicht einfach in den Bus, wenn wir mehr Busse einsetzen würden.“
Mit Smart Mobility in die Zukunft
Wo sich die große, optimale Lösung für alles noch nicht abzeichnet oder schnell an praktische Grenzen stößt und man wohl noch mit einigen Sackgassen und Schlaglöchern rechnen muss, lassen sich in manchen Bereichen durchaus rasante Entwicklungen beobachten. Das Konzept der Stunde lautet „Smart Mobility“. Dessen Idee ist es, das Verkehrssystem durch den Einsatz von vernetzten und automatisierten Fahrzeugen sowie einer intelligenten Verkehrssteuerung effizienter, umweltfreundlicher und sicherer zu gestalten. Zu den Grundannahmen gehört die statistisch belegte Tatsache, dass sich das Verkehrsaufkommen insgesamt nicht reduzieren, sondern weiter erhöhen wird. Wachstumsmärkte wie China oder Indien haben enorme Zuwachsraten im Verkehrsbereich. Mit Hilfe von Elektromobilität wird versucht, Schadstoffe zumindest zu reduzieren. Bis zum Jahr 2030 will die Volksrepublik 100 Prozent ihrer Stadt- und Linienbusse elektrisch betreiben – schon jetzt sind es weit über die Hälfte, die ohne Benzin und Diesel auskommen. Im Rahmen von „Smart Mobility“ kann schließlich „Carsharing“ einen Beitrag leisten, dass nicht mehr jeder sein eigenes Fahrzeug braucht: Mehrere Personen nutzen gemeinsam einen Wagen. Das spart Kosten und reduziert die Anzahl der zur Verfügung stehenden Fahrzeuge. Intelligente Verkehrsleitsysteme nutzen Datenanalyse und Vernetzung, um Verkehrsströme zu optimieren, Verkehrsbelastungen zu reduzieren und die Sicherheit im Straßenverkehr zu verbessern – im Idealfall kombiniert mit autonomen Fahrzeugen, von denen eingangs bereits die Rede war. Mobilitäts-Apps ermöglichen es ihren Nutzern, verschiedene Transportmittel möglichst effizient zu kombinieren.
Hohe Investitionskosten, problematische Aspekte wie Datenschutz und Datensicherheit, aber auch eine zunehmende Abhängigkeit von immer komplexerer Technologie und der Verlust von Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie und im Transportsektor gehören zu den Schattenseiten dieses Wandels. Doch der Fantasie, wie sich Mobilität innerhalb der nächsten Jahrzehnte grundlegend verändern wird, sind kaum Grenzen gesetzt: Visionäre wie Elon Musk träumen bereits von unterirdischen Tunneln, mit denen er das Verkehrswesen revolutionieren will.