Wie ein Suchender zum Schlamperpatron wird

07. Juni 2021 | von

Der 13. Juni, das Fest des heiligen Antonius, fällt in diesem Jahr auf einen Sonntag. Der Heilige aus Padua ist auch heute noch ein gesuchter Fürsprecher, nicht nur dann, wenn Dinge verloren gehen. Unter dem Stichwort des „Suchens” werfen wir einen Blick auf seine Biografie – und können dieser vielleicht auch für unser eigenes Leben Anregungen entnehmen.

Versteckspielen, Ostereier suchen, Schnitzeljagd – von Kindheit an ist der Mensch damit vertraut, dass es Dinge gibt, die nicht gleich auf der Hand liegen, sondern mit einer Suche verbunden sind. Und selbst bei banalen Dingen wie einem Spiel kann die Suche manchmal mühsam sein, umso mehr dann, wenn es um existenzielle Angelegenheiten des Lebens geht: die Suche nach dem richtigen Beruf, die Suche nach dem perfekten Partner, der vollkommenen Partnerin, die Suche nach der Berufung, die Suche nach Sinn, die Suche nach Gott. Da gibt es oft keine eindeutigen Antworten, und streckenweise vielleicht auch erst einmal gar keine. Da gilt es, dranzubleiben, auszuhalten, die Geduld nicht zu verlieren.
Jenseits dieser faktischen Gegebenheiten – Leben ist immer mit Suchen verbunden – sehnt sich der Mensch aber wohl ebenso nach dem Finden: Ich möchte wissen, woran ich bin, ich hätte es gern schwarz auf weiß, ich sehne mich nach Klarheit. Und so wie es ist, so soll es dann auch bleiben.
Leben in dieser Spannung muss ich für mich selbst akzeptieren – andernfalls werde ich wohl irre; und Leben in dieser Spannung vom Suchen und Finden muss ich auch in den Heiligenbiografien annehmen – sonst werde ich maßlos enttäuscht. Für mich persönlich war es ein langer Weg, die vielen „Brüche” in der Biografie des späteren heiligen Antonius zu akzeptieren. Es waren mir zu viele Windungen, zu viele Korrekturen. Mittlerweile weiß ich: Leben gibt es nur so, und vielleicht liegt auch gerade darin der Reiz.

Von einer ganz normalen Kindheit
Das Leben des Antonius beginnt um das Jahr 1195 – und es beginnt nicht als das Leben des Antonius, sondern des Fernando und nicht in Padua, sondern in Lissabon. Er stammt wohl aus „ordentlichen Verhältnissen” und kann sich mit einiger Sicherheit ausrechnen, es im Leben „zu etwas zu bringen”. Eine materielle Unbeschwertheit gehört ebenso zu seiner Kindheit wie eine recht ordentliche Schulbildung. Ob er sich in jungen Jahren schon tiefere Gedanken rund um Zukunft und Gott gemacht hat? Heiligenbiografen dichten den von ihnen Beschriebenen ja häufig und gern ein besonders religiös geplantes und geprägtes Heranwachsen an. Doch für die Kindertage und Teenagerzeit weiß die Assidua, die berühmteste Biografie des Antonius, nichts dergleichen zu berichten. Ganz im Gegenteil: Man wird eher vermuten dürfen, dass den jungen Fernando die gleichen Dinge erfreuten oder herausforderten, die auch seine Altersgenossen beschäftigten. Der Biograf hält schließlich fest, unter welche ganz natürliche Suche der heranwachsende Portugiese ziemlich kategorisch einen Schlussstrich zieht: „Da mit der Pubertät die Versuchungen des Fleisches zunahmen und er sich mehr als gewöhnlich davon gequält fühlte, gewährte er doch der Jugend und der Lust keinen freien Lauf, sondern zog der bedrängenden fleischlichen Begierde die Zügel an und besiegte auf diese Weise die schwache menschliche Natur.”
Ein wohl erstes Element der Lebenssuche des späteren Heiligen: Suchen ist immer auch mit Entscheidungen verbunden: wann man nicht mehr sucht, worauf man verzichtet, was man nicht weiterverfolgt. Im Alter von 15 Jahren trifft Fernando eine solche Entscheidung und bahnt damit seiner Berufung zu klösterlichem Leben die Spur.

Eine erste bewusste Entscheidung für Gott

Über das mittelalterliche Lissabon, Fernandos Heimatstadt, „erhebt sich ein Kloster des Ordens des heiligen Augustinus”, wie der Verfasser der Assidua schreibt. Es lässt förmlich vermuten, dass das Suchen des Fernando mehr und mehr „nach oben” ging: Welche Rolle spielt Gott in meinem Leben? Was könnte er mit mir vorhaben? Schließlich wagt Fernando einen einschneidenden Schritt: Er schließt sich der Gemeinschaft der Regular-Kanoniker an, will sich fortan ganz dem widmen, was Gott mit ihm vorhat – sich mit seinem Leben in den Dienst der heiligen Sache stellen.
Doch auch bei dieser Suchentscheidung muss er bald etwas lernen: Mein eigenes Suchen wird immer wieder durchkreuzt von den Interessen der anderen. Denn die Verwandten lassen Fernando kaum in Frieden. Immer wieder tauchen sie an der Klosterpforte auf, überraschen ihn mit Besuchen, lenken ihn von dem ab, worauf es ihm nun eigentlich ankommt. Fernando zieht die Reißleine: Er bittet seine Oberen, dass sie ihn doch nach Coimbra in das Kloster Santa Croce versetzen mögen. Die gut 200 Kilometer Distanz zur Heimat würden wohl für etwas mehr Ruhe sorgen...

Schätze für die Zukunft

Die neu gewonnene Stille nutzt Fernando eifrig. Nahezu ständig ist er nun in der reichen Bibliothek der Augustiner-Chorherren zu finden: „Nie unterbrach er die Lektüre der Heiligen Schrift”, so stellt sein Biograf im Blick auf seine „große Hingabe zum Studium” fest. Fernando erwirbt sich ein umfassendes Wissen. Er reift zu einem gebildeten, jungen Ordensmann heran – zu einem, dem man gewiss auch im Kloster noch so einiges zutraut. Besonders wichtig ist ihm die Heilige Schrift und deren genaue Kenntnis. Papst Gregor IX. wird ihn später gar als die „Schatztruhe der Heiligen Schrift” bezeichnen: Sollte die Bibel einmal verloren gehen, Fernando könnte sie wohl mühelos aus dem Gedächtnis heraus wieder aufzeichnen. Der fleißige Bibel-Leser lernt in dieser Zeit eine weitere wichtige Lektion seines Suchens: Was ich einmal gesucht und gefunden habe, bleibt mir wie ein kostbarer Schatz erhalten. Zeit seines Lebens wird er von seiner intensiven Zeit in der Bibliothek von Coimbra profitieren.

Gerufen von einer neuen Sehnsucht

Denn die letzte Station ist das beschauliche Augustinerkloster keineswegs. Dass er selbst mit seinem Suchen noch nicht am Ziel ist, spürt er, als er mit den sterblichen Überresten der „franziskanischen Erstlingsmärtyrer” in Berührung kommt. Am 16. Januar 1220 werden Berardo, Pietro, Accursio, Adiuto und Ottone in Marokko ermordet. Fernando spürt die Sehnsucht, auch sein eigenes Leben so radikal für Jesus einzusetzen: „O, dass der Allerhöchste doch auch mich in den Kreis seiner heiligen Märtyrer aufnähme! Wenn doch der Krummsäbel des Henkers auch mich treffen würde, während ich auf den Knien meinen Hals im Namen Jesu hinhalte! Ob ich die Gnade haben werde, das zu erleben? Werde ich einen solch glücklichen Tag genießen dürfen?” Es folgt ein längeres inneres Ringen, die Kontaktaufnahme mit den Brüdern des heiligen Franziskus, die Bitte an seinen Abt, den Orden verlassen zu dürfen, um sich der neuen Bewegung anzuschließen und schließlich ein erneuter Sprung ins Ungewisse. Die abgesicherte Existenz als Augustiner-Chorherr gibt er auf, um sich der noch jungen franziskanischen Gemeinschaft anzuschließen. Und er weiß wohl: Jedes Suchen birgt immer auch ein Risiko – man muss es eingehen, um ans nächste Ziel zu kommen.

Scheitern auf ganzer Linie?

Am nächsten Ziel wartet auf Antonius aber eine erneute „Überraschung”: Er gelangt zwar nach Marokko, es ereilt ihn dort aber nicht das ersehnte Martyrium als unerschrockener Zeuge des Glaubens, sondern eine hartnäckige Erkrankung. Alles auf eine Karte gesetzt – und nichts gewonnen. Er muss sich wohl damit auseinandersetzen: So manches Suchen verläuft im Sand.
Und auch die Rückreise nach dem gescheiterten Missionsversuch unter den Muslimen gerät gewissermaßen zur Irrfahrt. Statt im heimischen Portugal strandet er nach heftigen Stürmen in Sizilien: gescheitert, gestrandet und trotzdem noch nicht am Ende. Die franziskanische Bewegung hat längst ganz Italien erfasst. Bei „seinen” Brüdern findet er in Sizilien Aufnahme und bald nimmt man ihn mit zum Generalkapitel nach Assisi. Wieder eine unerwartete Wende, und spätestens jetzt weiß er: Sein Suchen führt ihn immer wieder dorthin, wo er gar nicht selbst bewusst und aktiv gesucht hat. Es scheint vielmehr so zu sein: In all seinem Suchen wird er geführt.

Unerwartet gefunden

Beim Generalkapitel gehört der Unbekannte aus Portugal aber keineswegs zu den „Gesuchten”. Am Ende, als alle Brüder auf ihre neuen Aufgaben verteilt sind, stellt der Biograf mitleidig fest, dass Antonius übrigbleibt, weil er „wie ein blutiger Anfänger erschien und zu nichts gut war.” „Gefunden” wird er trotzdem: Br. Graziano nimmt sich seiner an und versetzt ihn in die Einsiedelei von Montepaolo. Was er dort findet, hat Antonius zunächst wohl nicht gesucht: Die Einsiedelei bietet viel Raum für Stille und Besinnung. Vielleicht kann hier der noch junge Minderbruder die Ereignisse der letzten Zeit verarbeiten und im Gebet meditieren, tiefer hineinwachsen in die franziskanische Spiritualität. Erst wieder gegen Ende seines Lebens wird er in solcher Ruhe und Abgeschiedenheit sein und dabei verinnerlichen: Jedes suchende Leben braucht auch Phasen der Stille – Zeiten, das Erlebte verarbeiten zu können.
Doch auch diese Phase ist bei Antonius wieder nur von kurzer Dauer. Bei einer Priesterweihe wird ein Prediger gesucht. Wo andere Ausreden vorbringen, stellt Antonius sich zur Verfügung. Und in diesem Augenblick ist eines der größten Predigttalente des Mittelalters entdeckt. Offensichtlich ist seine spontane Predigt ein durchschlagender Erfolg. Und aus dem bis dato unbekannten Ausländer wird in den nächsten Jahren ein gefragter Ordensmann: Antonius wird als Prediger gegen die Ketzer eingesetzt. Seine pastoralen Reisen führen ihn bis nach Südfrankreich. Er übernimmt die Verantwortung eines Oberen und landet schließlich in Padua, wo er sich mit seiner berühmten Predigtreihe während der Fastenzeit des Jahres 1231 unsterblich macht. Tausende Menschen hängen an seinen Lippen, gewinnen neuen Zugang zur Frohen Botschaft, kehren von ihren Irrwegen um. Und Antonius ist Gottes wirksames Werkzeug: Er hat seinen Platz im Leben gefunden, wo er zunächst eigentlich gar nicht gesucht hat – er wurde geführt und er wurde gefunden.

Gesucht – bis in unsere Zeit

Erschöpft von den Strapazen seines bewegten Lebens zieht Antonius sich nach Ostern 1231 in das ruhigere Camposampiero zurück. Er findet Erholung in einem kleinen Baumhaus, das ihm dank eines großzügigen Grafen in einem Nussbaum errichtet wird. Doch sein Körper ist zu schwach – auf dem Weg zurück nach Padua stirbt er am 13. Juni des Jahres 1231. Und wenn man so will, geht das Suchen auch nach seinem Tod noch weiter. Denn es entbrennt ein heftiger Streit darüber, wo der Leichnam bestattet werden soll. Die Stadtbewohner setzen sich in diesem unwürdigen Gezeter schließlich durch – und Antonius findet seine letzte Ruhe beim Konvent der Minderbrüder in Padua. Doch ist es wirklich Ruhe?
Bald setzen die Pilgerströme ein. Auch nach seinem Tod vertrauen unzählige Menschen auf seine Fähigkeit, Wunder zu bewirken. Millionen von Gläubigen strömen Jahr für Jahr in die Basilika, um ihre Not und Sorge bei Antonius „abzulegen”, und selbst in der „Corona-Zeit” mit ihren Beschränkungen reißt das Gebet der Antonius-Verehrer/innen nicht ab. Antonius ist mit seiner Fürsprache gesucht wie eh und je.
Wer 800 Jahre später auf das Suchen dieses Heiligen schaut, der darf aber nicht nur auf dessen Fürsprache vertrauen, sondern sich gewiss auch für sein eigenes Leben und Suchen zusagen lassen: Den richtigen Platz im Leben findet man selten auf Anhieb. Die Suche ist verbunden mit Ausprobieren, mit Risiko, mit Irrwegen und bisweilen auch mit Scheitern. Es gilt, durchzuhalten und nicht aufzugeben – und da zu sein, wenn das Leben einen schließlich findet. Die Kunst dürfte sein: Nicht nur selber Gott zu suchen, sondern sich von ihm auch finden lassen.

Zuletzt aktualisiert: 07. Juni 2021
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