Wie hältst du es mit Gender?
Mit einer neuen Gretchenfrage christlichen Glaubens beschäftigt sich unser Thema des Monats. Nicht zuletzt durch die Gender-Diskussion wird das christliche Menschenbild, für das die Schöpfung des Menschen als Mann und Frau durch Gott zentral ist, auf die Probe gestellt.
Gender: Ein Begriff, der für Diskussionen sorgt. Weil er für Fragen nach dem Verhältnis von Frauen und Männern steht: für die Frage, was es heißt, Frau oder Mann zu sein; für die Frage, wer und was die Rollen von Mann und Frau bestimmen und wie mit geänderten Rollenvorstellungen umgegangen werden kann. Auf diese Fragen finden sich in unserer Gesellschaft sehr verschiedene Antworten. Gender ist deshalb ein umstrittener Begriff.
Gender – ein umstrittener Begriff
In der Kirche gibt es nicht wenige Stimmen, die hinter dem Begriff „Gender“ eine Ideologie sehen, die mit dem Glauben unvereinbar ist. So schrieb etwa der kolumbianische Kardinal Alfonso López Trujillo, die „Gender-Ideologie“ sei einer der zentralen Gründe für die „Krise der Ehe als religiöse und zivile Einrichtung.“ Er kennzeichnete die Gender-Ideologie als eine falsche Theorie, die die sexuelle Identität des Geschlechts (gender) als Ergebnis sozialer Übereinkunft versteht. Ganz ähnlich spricht auch Papst Franziskus von einer problematischen „Indoktrinierung der Gender-Theorie“.
Doch es gibt auch andere Stimmen: So veröffentlichte die Deutsche Bischofskonferenz im Jahr 2016 das Faltblatt „Geschlechtersensibel – Gender katholisch gelesen“. Hier werden die zentralen Begriffe und Inhalte der Gender-Debatte erläutert. Bei der Präsentation des Flyers sprach der Essener Weihbischof Ludger Schepers von einer Angst, „die sich bei der ‚aufgeladenen Debatte‘ über Geschlechtergerechtigkeit zeige.“ Und dass es darum gehe, diese Angst abzubauen, weil der Begriff Gender auf wichtige Fragen hinweise.
Was ist Geschlecht?
Der Begriff Gender hinterfragt zunächst einmal das alltägliche Verständnis von Geschlecht. Diese geht, so die Psychologin Barbara Stiegler, von fünf zentralen Annahmen aus: „1. Ob jemand Mann oder Frau ist, wird durch körperliche Merkmale eindeutig bestimmt. 2. Es gibt nur zwei Geschlechter. 3. Jeder Mensch ist entweder Mann oder Frau. 4. Ein Mensch ändert sein Geschlecht nicht. 5. Das Geschlecht eines Menschen prägt sein Verhalten.“
Im Gegensatz zu diesem Verständnis hat sich in der Wissenschaft seit den 1960er Jahren eine Unterscheidung durchgesetzt: Zwischen dem biologischen Geschlecht des Menschen (als sex bezeichnet) und dem sozialen Geschlecht des Menschen (gender). Vor allem kultur- und sozialwissenschaftliche Forschungen machten darauf aufmerksam, dass geschlechtsspezifische Klischees und Geschlechterrollen sozial konstruiert sind. Sie sind nicht von Natur aus gegeben, sondern kommen „durch gesellschaftliche Strukturierungen, Aushandlungen und Bedeutungszuschreibungen zustande“, wie die Soziologin Carolin Küppers schreibt. Gender hilft, die traditionelle Über- und Unterordnung von Frau und Mann in den Blick zu nehmen.
Auch die biologische Forschung zeigt, dass die Bestimmung des Geschlechts keineswegs so einfach und eindeutig ist, wie vielfach getan wird. Denn Geschlecht ist mehr als Mann-Sein oder Frau-Sein. Biologisch ist Geschlecht vielmehr vierfach bestimmt: Durch die Chromosomen (XX, XY), durch innere Fortpflanzungsorgane, durch bestimmte Hormone sowie durch die Genitalien und sekundären Geschlechtsmerkmale. In allen Bestimmungen kann es ganz unterschiedliche Ausprägungen geben. Beispielhaft dafür steht das Phänomen der Intersexualität. Hier können Menschen aufgrund ihrer körperlichen Merkmale nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden. Oder die Transsexualität, bei der sich Menschen im falschen Körper fühlen.
Die Geschlechterforschung führt schließlich auch dazu, dass im Bereich der Medizin noch genauer auf das Geschlecht geachtet wird. Nach und nach ist deutlich geworden, dass es für bestimmte Krankheiten eine wichtige Rolle spielt, dass Medikamente und Therapien nicht bei allen Menschen in gleicher Weise wirken, dass eine geschlechtsspezifische Erforschung und Behandlung von Krankheiten nötig ist.
Ziele der Genderforschung
Die grundlegende Diskussion um das Geschlecht entstammt der Genderforschung, die auf Englisch Gender Studies heißen. Das wissenschaftliche Interesse dieser Forschung ist vielfältig und folgt unterschiedlichen Theorieansätzen. Insgesamt aber steht im Mittelpunkt der Genderforschung die Frage nach der Gerechtigkeit. Denn erst durch die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen wird es möglich, Fragen der sozialen Ungleichheiten zu erforschen. Etwa, wenn es um die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern geht. Oder um unterschiedliche Chancen, die Jungen oder Mädchen in der Schule haben. Oder etwa bei der Frage, wie gut Männer und Frauen Familie und Beruf unter einen Hut bringen können. Zugleich werden in der Forschung Strategien entwickelt, die die soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu bewältigen versuchen.
Der Geschlechteransatz konnte auch zeigen, dass Geschlecht und Geschlechterrollen stark an den Körper und an die Art und Weise, wie Körper in der Öffentlichkeit präsentiert und wahrgenommen werden, gebunden sind. Etwa in der Werbung. Auch das untersucht die Genderforschung.
Deutlich wird in vielen Untersuchungen, dass Geschlecht und Geschlechterrollen gesellschaftlich gemacht werden. Die Idee, dass Frauen zu Hause bleiben sollen, das Vorurteil, dass Männer für Führungspositionen besser geeignet sind, die Tatsache, dass es schwer für Frauen ist, in der Wissenschaft Karriere zu machen, zeigt, dass es eine soziale Konstruktion von Geschlecht gibt. Hier haben in den letzten Jahren vor allem solche Theorien an Bedeutung gewonnen, die Geschlecht als etwas begreifen, das interaktiv konstruiert wird, das im Handeln entsteht. Indem man sich eben geschlechtsspezifisch – oder auch nicht – verhält. In der Fachsprache heißt das: doing Gender.
Schließlich zielt die Genderdebatte auch auf eine konkrete politische Gleichstellungs- und Gerechtigkeitspolitik. Hier ist die Gender-Kategorie nicht nur eine Theorie, sondern steht vielmehr für ein Konzept zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit. Im Allgemeinen wird das mit dem Begriff des Gender Mainstreaming gebündelt. Die Forderung: Fragen, die mit dem Geschlecht zu tun haben, sollen in den Mainstream (engl. Hauptströmung) einfließen. Die angestrebte Norm: Die Gleichstellung von Frauen mit Männern und darüber hinaus von allen Menschen in ihrer jeweils eigenen Geschlechtsidentität. Gender steht hier als Begriff dafür, dass geschlechtsbezogene Diskriminierung überwunden werden muss.
Gender als Kategorie der Herausforderung
Die Genderdebatte fordert Theologie wie Kirchen heraus. Auf verschiedenen Ebenen. Das betrifft zunächst einmal die An-
thropologie, die Rede vom Wesen des Menschen und seinem Geschlecht. Einerseits gehört die Überzeugung zum Glauben, dass Mann und Frau Ebenbilder Gottes sind. Andererseits geht das kirchliche Lehramt von einem Geschlechterideal aus, das durch die Erschaffung des Menschen als Mann und Frau von Anfang an in seiner Struktur festgelegt wurde. Dass damit das Geschlecht an bestimmte, von Natur aus vorgegebene Rollen und Aufgaben gekoppelt ist, bestreitet auch die theologische Geschlechterforschung.
Auch in sexual- und beziehungsethischer Perspektive ist die Debatte um Gender wichtig. Sie lässt fragen, wie Ehe und Partnerschaft aussehen, was Elternschaft und Familie heißt. Gefragt wird hier etwa, ob die Alleinstellung heterosexueller, dauerhafter und sakramental geschlossener Ehen wirklich begründbar ist.
Die Genderdebatte betrifft aber auch die Ämter und die Struktur der Kirche. In ihr zeigt sich eine bestimmte Geschlechterordnung. In der katholischen Kirche etwa können nur Männer Priester werden. Mit welchem Recht, so wird gefragt? Was ist der Vorzug, den dieses eine Geschlecht genießt?
Angesichts dieser Fragestellungen ist es keineswegs übertrieben, den Genderdiskurs auch als Zukunftsdiskurs der Kirche zu begreifen. Denn es steht nicht weniger auf dem Spiel als die Frage, wie sehr sich Kirche und Glaube mit gewandelten gesellschaftlichen Vorstellungen, neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Anfragen an tradierte Konzeptionen, etwa des Verständnisses von Mann und Frau, auseinandersetzen kann – und wie der Glaube auch in eine solche gewandelte Wirklichkeit weitergesagt werden kann.
Bemerkenswert ist die teils radikale Gegnerschaft zu Gendertheorien und Gendermainstreaming innerhalb der Kirche aus mindestens zwei Gründen.
Zum einen etablierte sich nach dem II. Vatikanischen Konzil eine eigene theologische Geschlechterforschung, die die Impulse der Genderforschung kritisch-begleitend aufgegriffen hat.
Zum anderen richteten viele Diözesen in den letzten Jahrzehnten Referate und Angebote ein, die sich explizit mit Fragen des Geschlechts, der Geschlechter und der Geschlechtlichkeit auseinandersetzen. Entdeckt wurde etwa, dass sich Frauen- und Männerspiritualität durchaus unterscheiden kann. Und dass mittlerweile auch Frauen in Führungsrollen in kirchlicher Verwaltung angekommen sind, zeigt, dass sich hier Kirche und ihre traditionellen Geschlechtsvorstellungen durchaus geändert haben.
Kurz: Geschlechterfragen spielen mittlerweile eine selbstverständliche Rolle in der Kirche. Mehr noch: Es finden sich eine Vielzahl lehramtlicher Schreiben und Initiativen, die selbst die Forderung nach einer Gleichstellung der Geschlechter erheben. Schon in der Enzyklika Familiaris consortio argumentiert Johannes Paul II. 1981, dass Frauen das Recht auf den gleichen Zugang zum öffentlichen Leben – in Politik und Gesellschaft – besitzen wie Männer. Mehr noch: Eine spezifische Rolle der Frau als Ehefrau und Mutter, wie sie traditionell in vielen Kulturen festgeschrieben war, ist nach Ansicht des Papstes falsch.
Gender – Kirche – Moderne
Deutlich wird an diesen Aussagen: Der Diskurs über Geschlecht in der Kirche ist von seiner Genese wie seinen Themen her vielgestaltiger, als es viele ‚Genderkritiker‘ wahrnehmen wollen. Die Auseinandersetzungen mit der Kategorie Gender muss zudem auch als Chance für die Kirche begriffen werden. So heißt es in der Broschüre Gender, Gender Mainstreaming und Frauenverbandsarbeit des Katholischen Deutschen Frauenbundes: „Ein genderbewusstes Denken und Handeln hinterfragt Engführungen, festgefahrene Rollenzuweisungen und Vorurteile. Es hat deshalb ein ideologiekritisches und befreiendes Potenzial, das es ermöglicht, ungerechte Geschlechterverhältnisse zu verändern.“
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die oft polemische Ablehnung von Gender nicht eigentlich für eine grundsätzliche Haltung steht: die Ablehnung der Moderne und einer säkularen und pluralen Gesellschaft. Deshalb ist es naheliegend, die Frage nach Gender als eine ‚Gretchenfrage‘ christlichen Glaubens zu verstehen. Die Antwort auf die Frage „Wie hältst du es mit Gender?“ wird auch darüber entscheiden, ob Kirche im 21. Jahrhundert den Glauben noch glaubwürdig verkünden und weitersagen kann. In einer Welt nämlich, in der sich althergebrachte Rollenbilder auflösen, in der nach der Gleichstellung von Mann und Frau gefragt wird, in der es eine Frage der Gerechtigkeit ist, dass Frauen und Männer gleiche Möglichkeiten und Chancen besitzen. Und wenn Gerechtigkeit eine zentrale, biblisch-ethische Forderung des christlichen Glaubens ist, dann muss sich Kirche und Glaube mit der Kategorie Gender auseinandersetzen.
Unser Autor:
Thomas Laubach (Weißer), geb. 1964, Dr.theol.habil., Studium der Katholischen Theologie und Germanistik in Bonn und Tübingen, lange Jahre Senderbeauftragter der Katholischen Kirche beim SWR Mainz, seit 2012 Professor für Theologische Ethik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Autor zahlreichen moderner Liedtexte (u.a. „Da berühren sich Himmel und Erde“).