Letzte Ruhestätte - endlich

27. September 2017 | von

Der Krimi um den Leichnam des heiligen Antonius geht in die nächste Runde und findet schließlich doch noch ein versöhnliches Ende.

Inzwischen war schon der dritte Tag, und der Provinzialminister, dem klar geworden war, dass es ihm allein nur schwerlich gelingen würde, dem Betreiben so vieler Personen standzuhalten, vor allem da das Interesse eines ganzen Dorfes damit verbunden war, wurde beim Bürgermeister vorstellig und bat – als der Gemeinderat zusammengekommen war – die Anwesenden um ihre Meinung und ihre Unterstützung. Mit Zustimmung aller befahl der Bürgermeister, dass der Ort, wo der heilige Körper lag, streng bewacht werden solle, damit niemand den Brüdern Gewalt antun könne. Weiter verbot er bei einer Strafe von 100 Lira, in diesem Ort und seiner Umgebung Waffen zu tragen, bis bekannt wäre, was der Bischof und der städtische Klerus, denen die Entscheidung zustand, gemäß dem Gesetz entschieden hätten. 

Seilschaften der Nonnen
Am vierten Tag nach dem Tod des seligen Antonius diskutierte der Bischof, der die Kleriker der Stadt zusammengerufen hatte, mit ihnen aufrichtig und gewissenhaft, welches der beste Weg sei, den Frieden unter den Bürgern zu wahren und zugleich das Recht der Brüder zu achten. Nachdem die Ältesten und Erfahrensten um ihre Meinung gefragt worden waren, begann die Debatte. Aber, wie wir schon früher gesagt hatten, stellte sich heraus, dass die einflussreichsten Personen, die durch die Machenschaften der Nonnen voreingenommen waren, sich zu deren Gunsten äußerten. 

Schlussplädoyer des Provinzials
Daraufhin erhob sich der Provinzialminister, der mitten unter den Brüdern saß, bat mit einem Handzeichen um Ruhe und sagte: „In Übereinstimmung mit den Ältesten glaube ich, dass jene, die auf beide Waagschalen nur Gefühlsgründe legen und der Vernunft keinen Platz einräumen, die Gerechtigkeit und Nachgiebigkeit nicht unparteiisch abwägen. Ich gestehe ihnen zu, dass sie Eifer für Gott haben mögen, aber nicht gemäß einer erleuchteten Abwägung. Tatsächlich war Antonius nämlich Bruder unseres Ordens und er bleibt immer Mitglied unserer Gemeinschaft. Das können sie nicht verleugnen, da sie es mit ihren eigenen Augen überprüfen konnten. Deshalb erbitten wir also jemanden zurück, der sich uns anvertraut hatte, und der zu seinen Lebzeiten – wie wir wissen – vor allen anderen Begräbnisorten die Kirche der heiligen Gottesmutter vorgezogen hatte. Wenn ihr dem nun entgegenhaltet, dass er sich wegen des Gelübdes des Gehorsams, an den sein Wille gebunden war, den Begräbnisort nicht selbst wählen konnte: Wem, so fragen wir darauf, denkt ihr, dass nun die Macht und die Freiheit, den Ort zu wählen zukommt, wenn nicht dem Oberen? Da wir, auch wenn wir unwürdig sind, dieses Amt des Oberen nun innehaben, bitten wir, dass uns so viel gegeben werde, wie uns von Rechts wegen und gemäß der offenkundigen Vernunft zusteht.“

Bischöfliche Entscheidung
Nachdem der Bischof die Argumente der beiden Parteien gehört hatte, legte er endgültig fest, dass von diesem Augenblick an alles nach dem Willen des Provinzialministers zu geschehen habe. Man solle sich ihm unterstellen, der die Macht habe, alles zu entkräften oder zu bestätigen, was besprochen oder vollzogen worden war. Schließlich gab er den Klerikern den Auftrag, sich am folgenden Tag, dem fünften Tag nach dem Tod des seligen Antonius, in aller Frühe die Amtsgewänder anzuziehen und in Arcella zu versammeln. Er erneuerte dem Bürgermeister gegenüber den Auftrag, den Brüdern beizustehen und sich zur festgesetzten Zeit zusammen mit den Bewohnern in geordneten Reihen in Arcella zur Überführung des Leichnams einzufinden. 

Blinde Zerstörungswut
Der Bürgermeister, der seine Weisungen entgegennahm, stimmte diesen zu und verfügte, dass über den Fluss, der Arcella umgab, schnellstmöglich eine Brücke aus Booten und Balken angefertigt würde. Denn er fürchtete tatsächlich, dass sich die Enttäuschung der Dorfbewohner zu einer Rebellion aufwiegeln könnte, wenn die Prozession durch Capo di Ponte geführt würde. Kaum war alles ausgeführt, da rannte die Bevölkerung – zwar eifrig im Geiste, aber wütend wegen des Brückenbaus – mit Beilen und Schwertern herbei und schlug die Brücke mit fanatischer Kühnheit in Stücke. Hier hättest du ein wildes Treiben sehen können! Es glich dem Winden einer Gebärenden und hörte sich an wie das Toben eines Sturmes, während sie mit Axtschlägen die Schiffe im Wasser wie Holz im Wald zerschlugen.
Warum lange reden? Die ganze Stadt war in Aufruhr, vor allem, weil diese Missetat zur Unehre aller gereichte. Und während jene noch laut umeinander schrien, erfuhr man, dass die Bewohner des südlichen Stadtgebiets mit Waffen herbeikamen. Als die Bürger von Capo di Ponte das hörten, stellten sie sich in geordneten Schlachtreihen auf, bereit zum Kampf, sobald die Gegner ihre Häuser anrühren oder den Körper des seligen Antonius anderswohin tragen würden. 

Tränenreiches Finale
Weil die Brüder die Zerstörung der ganzen Stadt herannahen sahen, erfasste sie große Bestürzung und unter Tränen riefen sie verzweifelt aus: „Wir Elenden! Durch unsere Schuld ist solcher Aufruhr ausgebrochen. Wir haben den Anlass gegeben, dass die ganze Stadt gleichsam vernichtet wird, wenn der Herr sie nicht beschützt. Wie werden wir weiter leben können, wenn so viele Tausend Menschen wegen der Verteidigung unserer Sache sterben werden? Erhöre uns, Herr! Beruhige dich, Herr! Wende dein Angesicht uns zu und komm zu Hilfe! Warum wendest du dein Augenmerk von uns ab und vergisst uns völlig? Hast du kein Erbarmen mit uns in dieser Not? Wir wollten den Frieden bewahren, gekommen ist die Aufregung. O unser Gott, wir flehen dich an: um deiner Güte willen erhöre deine Kinder. Du mögest nicht die Zerstörung dieser Stadt wollen!“
Als die ehrwürdigen Mägde Jesu hörten, was sich gerade ereignete, da begannen auch sie in gleicher Weise zu klagen und bezeichneten sich selbst als die Schuldigen an der Situation. Immer stärker wurden ihre Bitten, und unter zahlreichen Tränen baten sie, dass man den heiligen Leichnam wegbringen möge, den ihnen zu überlassen sie vorher noch mit höchster Begierde gefordert hatten. Menschen beiderlei Geschlechts und aus allen Altersklassen und aus jedem Stand erbaten mit beklommenem Herzen die Barmherzigkeit Gottes.

Göttliches Eingreifen
Und Gott, der es niemals versäumt, Mitleid zu haben, kam im richtigen Augenblick zu Hilfe. Er, dessen Vorsehung niemals fehl geht, ihre Ziele zu erreichen, hatte es tatsächlich geduldet, dass die Leute – um seiner größeren Ehre willen – in solche Verwirrung gerieten, um schließlich darin auf wunderbare Weise das zu vollbringen, was er verfügt hatte. Der ewig Gute würde das Schlechte in der Gemeinschaft nicht zulassen, wenn er nicht gleichzeitig wüsste, daraus einen Vorteil zugunsten der Guten zu ziehen. Der Bürgermeister konnte den Aufruhr nicht länger dulden und durch den Ausrufer ließ er die Bevölkerung vor seinem Palast versammeln. Und als der Rat versammelt war, verbannte er die, die an der Zerstörung der Brücke Schuld hatten, in den südlichen Teil der Stadt und verbot ihnen unter Schwur und mit der Androhung, alle ihre Güter zu beschlagnahmen, dass sie an diesem Tag in ihre Häuser zurückkehrten.

Letzte Ruhe
Nachdem so die Ruhe wiederhergestellt war, versammelten sich der Bischof mit seinem Klerus und der Bürgermeister mit einer beträchtlichen Zahl von Bürgern in Arcella. Sie formierten sich zu einer Prozession und geleiteten mit Hymnen, Lobliedern und geistlichen Gesängen, Capo di Ponte durchquerend, den Körper des seligen Antonius zur Kirche der heiligen Gottesmutter Maria. Bei allen herrschte wunderbarer Jubel. Die Regierenden und die Ältesten bückten sich, um die Totenbahre auf ihren Schultern zu tragen und es schätzte sich glücklich, wem es gelang, sie auch nur zu berühren.
So zahlreich war die heraneilende Bevölkerung, dass viele wegen des Gedränges nicht mit den anderen durch die Stadtmitte ziehen konnten. Deshalb suchten sie sich einen Weg über Plätze, Winkel und Vororte der Stadt, um so der Prozession zuvor zu kommen. Alle trugen in ihren Händen so viele Kerzen wie möglich, und das Lichtermeer war so groß, dass der Eindruck entstand, die ganze Stadt würde brennen.
Als man nach der Prozession die Kirche der Gottesmutter Maria erreicht hatte, und nachdem der Bischof feierlich eine Messe zelebriert hatte, verschloss er ehrwürdig den Körper des seligen Antonius im Grab und nachdem er die entsprechenden Bestattungsrituale vollzogen hatte, kehrten alle voller Jubel in ihr eigenes Zuhause zurück.
 

 

Zuletzt aktualisiert: 08. Oktober 2017
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