007 im Vatikan
Von Päpsten im Visier der Geheimdienste berichtet unser Thema des Monats.
Im Hollywood-Blockbuster „Spectre“ war James Bond als „007“ zum 24. Mal für den britischen MI6 in gefährlicher Mission unterwegs. In Rom kam es zu einem halsbrecherischen Autorennen; der Topagent Ihrer Majestät lieferte sich in einem Aston Martin mit einem Jaguar C-X75 auf der Via della Conciliazione und in den engen Straßen des Borgo ein atemberaubendes Duell.
In dem spektakulären Action-Thriller verblieb „007“ auf italienischem Boden. Der Vatikan diente ihm nur als imposante Kulisse. Dabei war der Vatikan in seiner langen Geschichte in weitaus mehr Agenten- und Spionagetätigkeiten verwickelt als die Geheimdienste Großbritanniens. „Der Heilige Stuhl“, so ein Mitarbeiter des Päpstlichen Staatssekretariates, „ist eine Institution, die auf eine fast 2.000 Jahre alte Existenz zurückblicken kann und weiß, und es auch erfahren hat, dass Spionage nun einmal zur Geschichte der Menschheit gehört, so wie das Salz in die Suppe.“
Spionage mit Tradition
Bereits das Alte Testament kann eine ganze Reihe von „Abhöraffären“ und „Spionageaufträgen“ vorweisen – „Der Herr sprach zu Mose: Schicke einige Männer aus, die das Land Kanaan erkunden“, heißt es im Buch Numeri (13,1). Im Buch Genesis (42,9) fährt Josef seine Brüder an: „Spione seid ihr. Um nachzusehen, wo das Land eine schwache Stelle hat, seid ihr gekommen.“ In Jericho gewährt Rahab den Kundschaftern des Josua Unterschlupf und Unterstützung (Jos 2,9). Auch dem Neuen Testament ist das „Nachrichtengewerbe“ nicht unbekannt. So versucht Herodes, die Magier zur Ausforschung des neu geborenen Messias zu missbrauchen (Mt 2,7-8). Die Evangelisten schildern Judas Ischariot als Informanten des Hohen Rates. Im Englischen ist „Judas“ daher nicht ohne Grund die Bezeichnung für einen Türspion, für eine Vorrichtung, durch die man von innen unerkannt nach außen blicken kann.
Christliche Geheimschrift
Auf dem Wiener Kongress, der in den Jahren 1814 bis 1815 tagte, wies der damalige Staatssekretär des Papstes, Kardinal Ercole Consalvi, gegenüber dem Fürsten Metternich darauf hin, dass sich schon die ersten Christen einer Geheimschrift bedient hätten. Der Kardinal spielte auf das Zeichen des Fisches an, mit dem sich die Anhänger Jesu Christi in den Zeiten der Verfolgung untereinander offenbarten. Die Buchstaben des Wortes „ICHTHYS“ (Fisch) standen für „Iesous Christos, Theou Yios, Soter“ (Jesus Christus, Gottes Sohn, Erlöser). Aber auch schon das Volk des ersten Bundes hatte sich im 6. Jahrhundert vor Christus einer Geheimschrift, des „Atbash“, bedient. Sie erfolgte durch die Umkehrung des Alphabets. So wurde im Buch Jeremia 25,26 das Wort „Babel“ zu „Sheshak“ verschlüsselt.
Kryptographische Entwicklungen
Die Päpste nutzten für ihre Korrespondenz schon sehr früh Geheimschriften; sie griffen auf solche zurück, die aus der vorchristlichen Antike überliefert waren. So hatte Julius Cäsar Briefe, in denen er etwas vertraulich übermitteln musste, in einer Geheimschrift verfasst. Ausgangspunkt war das Alphabet, bei dem jeder Buchstabe durch einen neuen Buchstaben ersetzt wurde, nämlich den, der um drei Stellen versetzt ist. So wird zum Beispiel aus einem „A“ ein „D“. Die Verschiebeschrift des Cäsar wurde von der päpstlichen Kanzlei aber nicht einfach übernommen, sondern modifiziert. Das erste Buch in Europa über die Lehre von den Geheimschriften stammte aus der Feder des Mathematikers und Franziskaners Roger Bacon (1214-1295). Eine Geheimschrift, die Gabriele de Lavinde am Ende des 14. Jahrhunderts für einen Gegenpapst, Klemens VII. (1378-1394), geschaffen hatte, fand später auch an der Römischen Kurie Verwendung.
Als „Vater der Kryptographie“ gilt Leon Battista Alberti (1404-1472), der als Abbreviator (Schreiber) in päpstlichen Diensten stand. Er entwickelte eine Vielzahl von Verschlüsselungsmethoden. Mit der nach ihm benannten „Alberti-Scheibe“ schuf er einen einfachen, aber effektiven Chiffrierapparat. Zwei gegeneinander drehbare Scheiben mit Alphabeten ermöglichten Verschlüsselungen, basierend auf dem Cäsar-Code. Absender und Adressat mussten sich nur auf einen Zeigebuchstaben geeinigt haben. Die „Alberti-Scheibe“ fand bis in die Neuzeit hinein Verwendung; im amerikanischen Bürgerkrieg wurde sie von der Armee der Südstaaten genutzt. Und die heutige Nationale Sicherheitsbehörde der USA, die in die Schlagzeilen geratene „NSA“, führte die Scheibe jahrzehntelang in ihrem Siegel und Emblem.
Verschlüsselte Aktivitäten
Immer mehr kam die „Cifra per chiave“ (Schlüsselchiffre) zur Anwendung. Man schrieb die Buchstaben eines Schlüsselwortes senkrecht untereinander, vervollständigte dann in waagerechter Linie das gewöhnliche Alphabet, mit dem jeweiligen Buchstaben des Schlüsselwortes beginnend, bis zu seiner Wiederkehr und setzte dann über die entstandenen senkrechten Buchstabenreihen je eine Zahl, einen Buchstaben oder eine Figur. Die Schrift wurde um so schwieriger zu entziffern, je größer das Schlüsselwort war. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wirkte Matteo Argenti (1562-1616) als päpstlicher Chiffrensekretär in Rom. Durch den Einsatz von Gitter- und Netzchiffren setzte er eine weitere Hürde in der Dechiffrierung von Texten ein.
1814 wurden die Aufgaben des Chiffrensekretärs einem Prälaten im Päpstlichen Staatssekretariat, der im Rang eines Erzbischofs stand, übertragen. Amt und Titel wurden nach dem II. Vatikanum (1962-1965) abgeschafft. Chiffrierung und Dechiffrierung der vertraulichen Korrespondenz der Päpste blieben jedoch weiterhin dem Staatssekretariat anvertraut. Bereits Jahrzehnte zuvor waren neue Wege in der Übermittlung chiffrierter Botschaften beschritten worden. Pius XI. (1922-1939) hatte 1931 Radio Vatikan begründet. Von Anfang an nutzte er seinen Rundfunksender auch als Möglichkeit, um die Apostolischen Nuntien überall auf der Erde schnell und sicher zu instruieren. Jede päpstliche Vertretung im Ausland erhielt eine festgesetzte Zeit zugewiesen, in der man ihr verschlüsselte Nachrichten mitteilte.
Übermittlungspannen und Konsequenzen
Die Jahre des Zweiten Weltkrieges konnte die Chiffrier-Abteilung des Staatssekretariates nicht als Ruhmesblatt in ihrer Geschichte verbuchen. Kein einziger Code des Vatikans sollte vor der Entschlüsselung sicher bleiben. Depeschen gingen aus Versehen mit einem veralteten oder als unsicher geltenden Code an die Nuntiaturen. Und viel zu vielen Personen außerhalb der Chiffrier-Abteilung war der jeweils verwendete Code bekannt. Zudem fanden sich im Staatssekretariat, unter den Angestellten des Telegrafenamtes und bei Radio Vatikan Informanten, die für ausländische Geheimdienste arbeiteten.
Nach dem Ende des Krieges versuchte man aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Insider berichteten 1973 über das Vorgehen im Staatssekretariat: „Die Chiffre wird gegenüber der restlichen Kurie streng geheim gehalten. Sie ist nur den Beamten des Staatssekretariates und den Nuntiaturen bekannt. Erst nach ihrer Vereidigung wird sie neuen Mitarbeitern mitgeteilt. Wollen andere Kurienbehörden chiffrierte Meldungen durchgeben, so müssen sie sich an das Staatssekretariat wenden. Auch den Bischofskonferenzen steht die Chiffre nicht zur Verfügung. Größere Außenposten besitzen moderne Anlagen zur Chiffrierung und Dechiffrierung.“
Wanzen im Vatikan
Mit dem Aufkommen einer vatikanischen Ostpolitik wurden vermehrt „Wanzen“ (Abhörgeräte) im Vatikan entdeckt. Ab den siebziger Jahren bestand dann vor allem für die Papstwahlversammlungen die Gefahr illegaler Nachrichtenbeschaffung. 1978 war man noch Stunden vor dem Einzug der Kardinäle ins Konklave fündig geworden. Papst Johannes Paul II. (1978-2005) ordnete daher 1996 an, dass die Verantwortlichen „unter Zuhilfenahme der Erfahrung zweier vertrauenswürdiger Techniker darauf zu achten haben, dass die Geheimhaltung in den genannten Räumen [dem vatikanischen Gästehospiz ‚Domus Sanctae Marthae’], insbesondere in der Sixtinischen Kapelle, in der die Wahlhandlungen stattfinden, gesichert ist, indem sie sich vergewissern, dass kein Aufnahme- oder audiovisuelles Sendegerät von wem auch immer in die genannten Räume eingeführt wird“.
Störsender zur Abwehr
Zum Konklave des Jahres 2005 hatte sich das Gendarmeriekorps des Vatikanstaates dann die Voraussetzungen verschafft, mit Effizienz gegen Lauschangriffe vorzugehen. Im Vorfeld der Papstwahl von 2013 berichtete der italienische Abhörspezialist Francesco Polimeni, dass der Technologiesprung seit dem vergangenen Konklave enorm sei: „Inzwischen hat die kleinste Wanze auf dem Markt eine Größe von 0,8 Millimeter mal einem Zentimeter. Die könnte man sogar in einem Zuckerwürfel verstecken, wenn man ein Loch hineinbohrt.“ Eine Firma, die sich auf das Auffinden elektronischer Spione spezialisiert hatte, wies darauf hin, dass moderne Laser-Mikrofone akustische Signale aus einer Entfernung von 400 Metern registrieren können, indem sie winzige Vibrationen von Fensterglas oder anderen Oberflächen erfassen und in Sprachdateien umwandeln.
Die Techniker der vatikanischen Gendarmerie stellten sich den Herausforderungen. Es wurden unterschiedliche Abwehrmaßnahmen, meist aus dem Bereich des Militärs, ergriffen. Nicht alle wurden bekannt, aber vor allem „GSM-Jammer“ kamen zum Einsatz. Jammer sind leistungsstarke Störsender, die das „Global System for Mobile Communication“, einen internationalen Standard für Mobilfunknetze, außer Kraft setzen. Die Wirkung dieser Geräte wurde als so gravierend gesehen, dass sich der Vatikan gezwungen sah, ihren Einsatz auch den Verantwortlichen für die Überwachung des Luftraums über Rom mitzuteilen.
Ein Rettungshubschrauber über dem päpstlichen Gästehospiz oder in der unmittelbaren Nähe der Sixtina hätte mit seiner Steuerung massive Schwierigkeiten bekommen – und abstürzen können. Die Wirksamkeit der Störsender durften auch die Mitarbeiter der Römischen Kurie, die sich in der Nähe des Gästehospizes und der Sixtina aufhielten oder dort arbeiteten, erfahren. Ihre Handys waren nicht zu gebrauchen. Es gab Monsignori, die sich bei den Ordnungshütern über die Blockade ihrer Mobiltelefone und Internetzugänge via Satellit beklagten. „Ein geringer Preis für ein erfolgreiches Konklave“, kommentierten die Gendarmen mit einem höflichen Lächeln die Beschwerden.
Abhören leicht gemacht...
Im Kirchenstaat weiß man, dass im Alltag Lauschangriffe diverser Nachrichtendienste, aber auch von Privatpersonen, immer schwerer zu verhindern sind. Insider aber sehen die nötige Geheimhaltung in der Arbeit des Vatikans vor allem durch menschliches Versagen gefährdet. Im Borgo und rund um St. Peter genügt es, in Bars, Trattorien und Restaurants einzukehren, die von Kardinälen, Bischöfen, Monsignori und Mitarbeitern der Kurie aufgesucht werden, um dann dort ein Bibelwort zu beherzigen: „Wer Ohren hat, der höre“ (Mt 11,15).
Unser Autor:
Ulrich Nersinger, Jahrgang 1957, ist als Journalist und Schriftsteller regelmäßiger Autor des Sendboten, aber auch anderer Medien wie zum Beispiel des Osservatore Romano. Er studierte Philosophie in Bonn, Wien und Rom sowie am Päpstlichen Institut für Christliche Archäologie. Er gilt als ausgewiesener Kenner des Vatikans und des Papsttums.