Ökumene: Realität und Hoffnung
Entweder zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten oder im Zeitraum 18.-25. Januar wird Jahr für Jahr die „Gebetswoche für die Einheit der Christen“ gefeiert. Für den Sendboten blickt unser Autor auf dieses Gebetsanliegen und den Stand der Ökumene.
Seit über 70 Jahren hält die „Arbeitsgemeinschaft der Christlichen Kirchen Deutschlands“ (ACK) das Herzensanliegen Jesu Christi aus dem Abendmahlsaal wach: die Einheit der Seinen. Es geht darum, in seiner Nachfolge zu leben, immer mehr Jüngerin/Jünger zu werden – miteinander, nicht neben- oder gegeneinander! Die ACK steht nicht so sehr im Rampenlicht der Öffentlichkeit wie die Deutsche Bischofskonferenz oder die Evangelischen Landeskirchen; sie wirkt meines Erachtens eher im Verborgenen und taucht an bestimmten Terminen im Laufe des Kirchenjahres deutlich auf. Ihre besondere Aufmerksamkeit gilt Jahr für Jahr der Vorbereitung und Durchführung der Gebetswoche für die Einheit der Christen zwischen dem 18. und 25. Januar.
Miteinander auf ein Ziel hin
Bevor wir uns dem Schwerpunktthema 2021 zuwenden und nach seiner Bedeutung für unsere ökumenische Praxis fragen, dürfen wir etwas Geschichtliches und Grundsätzliches der ACK in Erinnerung bringen. Wir sind dankbar für die heilsame Unruhe, die sie wachhält, gegen die Gefahr von Selbstbezogenheit und Resignation! Pfarrer Martin Niemöller war von 1948 bis 1964 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft, die aus den Erfahrungen eines mangelnden gemeinsamen Zeugnisses der getrennten Kirchen während der NS-Diktatur erwachsen ist. In der Charta Oecumenica ist entsprechend der Heiligen Schrift das Bekenntnis zu Jesus Christus als Gott und Heiland festes Fundament, das zum gemeinsamen Zeugnis und Handeln führt. Konkret zeigt sich dies in Gebet und Begegnung, theologischem Austausch, dem Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung, interreligiösem Dialog sowie der Sorge um die verfolgten Christinnen und Christen.
Ohne die Arbeitsgemeinschaft gäbe es wohl keinen Ökumenischen Schöpfungstag Anfang September oder keine Ökumenische Friedensdekade im November jeden Jahres. Es wäre verfehlt, sie gleichsam nur in eine fromme Ecke zu stellen. Am 24. Juli 2020 wurde die Hagia Sophia in Istanbul zu einer Moschee umgewandelt. Hier erhob die ACK ihre Stimme und erklärte den leidvollen Vorgang als „geistliche Enteignung“. 2019 hat Radu Constantin Miron den Vorsitz der ACK von Bischof Karl-Heinz Wiesemann aus Speyer übernommen. Der orthodoxe Erzpriester benutzt für die ökumenischen Anliegen das Bild vom „Pilgerweg mit unterschiedlichen Mitwandernden, an unterschiedlichen Orten, mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten auf ein Ziel zu“. Über dieses Ziel „Einheit“ gibt es allerdings verschiedene Visionen unter den Konfessionen, sie reichen von der Wiederherstellung der sichtbaren Einheit bis zum Modell der versöhnten Verschiedenheit. So gehört zu den gemeinsamen Gebetsanliegen auch die Bitte um das Zusammenwachsen dieser Vorstellungen auf die eine Kirche Jesu Christi hin. Zum sehnsuchtsvollen Blick nach vorne gehören Gebet und Dialog zur Überwindung der Spaltungen, alter Wunden und Mängel, die die gemeinsame Glaubwürdigkeit und Sendung verdunkeln. Wir sind dankbar für die wechselseitige Anerkennung der Taufe bei der Versammlung der ACK in Magdeburg am 29. April 1996 – ein wesentlicher Schritt aufeinander zu! Es lohnt sich, auf der Homepage der ACK die Mitgliederliste anzuschauen – 17 an der Zahl, sowie die Namen der Gäste und Beobachter (www.oekumene-ack.de). Eine konfessionskundliche Entdeckung und Einladung zur gegenseitigen Wertschätzung! Wie steht es um mein Interesse an konkreten Menschen, die zur Heilsarmee, den Mennoniten, den evangelischen Freikirchen gehören, ihren christlichen Überzeugungen und Glaubensvollzügen?!
Liebe – und reiche Frucht
Nehmen wir die bevorstehende, traditionelle Gebetswoche im Januar näher in den Blick! Sie wird eröffnet mit einem Gottesdienst in der evangelisch-lutherischen Hauptkirche St. Petri in Hamburg am Sonntag, den 24.01.2021 um 17.00 Uhr. Gleichzeitig wird das ökumenische Jahr 2021/22 eingeläutet. Die Evangelische Allianz macht sich das Anliegen der Einheit der Christen die Woche davor vom 10.-17.01. zu eigen. Für die katholische Kirche ist die Pfingstnovene ebenfalls ein besonderer Ort für das Herzensanliegen Jesu. Konkurrierend, ergänzend?
Die monastische Schwesterngemeinschaft von Grandchamp kümmert sich 2021 um die Vorbereitung der Gebetstexte unter dem Motto: „Bleibt in meiner Liebe und ihr werdet reiche Frucht bringen“ (Joh 15,8f.). Die Kommunität in der französischsprachigen Schweiz besteht heute aus 50 Schwestern unterschiedlicher Kirchen und verschiedener Länder. Seit dem Besuch von Frère Roger 1940 ist der ökumenische Aufbruch eng mit Taizé verbunden. Er schreibt einmal: „Es gibt keine Freundschaft ohne reinigendes Leiden. Allein das Kreuz erlaubt uns, die unergründliche Tiefe der Liebe zu erkennen.“ Christus in uns ist die Quelle für das Engagement dieser bunten Gemeinschaft für Einheit und Versöhnung der Christen und der ganzen Menschheitsfamilie, sowie der Ehrfurcht vor der Schöpfung. Ihr tägliches Gebet verbindet Spiritualität mit Solidarität: „Bete und arbeite dafür, dass sein Reich komme. Lass in deinem Tag Arbeit und Ruhe von Gottes Wort belebt werden. Bewahre in allem die innere Stille, um in Christus zu bleiben. Lass dich durchdringen vom Geist der Seligpreisungen: Freude, Einfachheit, Barmherzigkeit.“ Sind diese letzten Zeilen nicht auch ganz nah an franziskanisch-klarianischer
Spiritualität?! Im Grunde ist es der gleiche Geist Gottes, der wie der Saft im Weinstock durch alle Reben strömt und Frucht bringen will – nicht dürftig, sondern überreich! Der Geist Gottes hilft zum Einklang mit sich selbst, zur Bewältigung der ureigenen Lebensaufgabe bis ins Sterben hinein: der Aussöhnung mit sich, wobei das Sich-selbst-Vergeben im Namen des Heilandes gar nicht leicht fallen kann. Der Geist Gottes treibt an, sich gegen Unrecht und Unterdrückung von Menschen einzusetzen und einen achtsamen Umgang mit den Mitgeschöpfen zu pflegen.
Liturgische Vorlagen zur Gebetswoche
Die Schwestern haben ein Gebetsmodell für die Einheitswoche entwickelt, das ihren drei Vigilien nachgebildet ist. Schriftlesung und Fürbitten sind Grundelemente der Liturgie. Eine fünfminütige Stille – der Friedensgruß – eine Bewegung aus dem Kreis stehend in die Mitte zur Osterkerze hin: Das sind drei besondere symbolische Augenblicke im Ablauf. Dazu erklingt der Liedruf: „Komm, göttliches Licht, erleuchte die Erde, erfüll´ unsere Herzen, nimm Wohnung in uns.“ Eine Kollekte am Ende des Gottesdienstes ist Ausdruck der Zuwendung zum Nächsten. Die Spendenprojekte unterstützen 2021 Kinder im Südsudan, behinderte Menschen und Kriegsgeschädigte in Homs/Syrien und die Gefängnisseelsorge im Kanton Genf. Vielleicht wird in Corona-Zeiten eine solche Liturgie nur sehr begrenzt stattfinden können; es bleibt dann die Idee, in der eigenen Wohnung ein Hausgebet wie im Advent zu gestalten. Vorlagen für diese Feier bietet die ACK auf ihrer Internetseite. Persönlich kann man sich einklinken und mitbeten durch das innige „Du in mir, ich in dir“ – ein Gehen mit den Füßen, das ich bei einem Fastenkurs in unserem Bildungshaus Kloster Schwarzenberg gelernt habe.
Zwischen Geduld und Verzweiflung
Aus dieser inneren Verbundenheit wächst die Geduld, sich durch die jüngsten Auseinandersetzungen auf dem Feld der Ökumene in Deutschland nicht entmutigen zu lassen. Mitunter steht man bei allem Gemeinsamen vor Ort ratlos vor schwer überwindbaren Mauern zwischen den Kirchen und christlichen Gruppen im Grundverständnis von Kirche, Amt und Abendmahl/Eucharistie. Ganz zu schweigen von innerkonfessionellen Mauern, wo man schnell geneigt ist, einander die Rechtgläubigkeit abzusprechen und in der „eigenen Blase“ Gleichgesinnter zu bleiben!
Gemeinsam am Tisch des Herrn?
Während der Gebetswoche im Januar empfehle ich, einmal das Augenmerk auf konfessionsverbindende Paare zu lenken – ihre Not und Hoffnung hinsichtlich eucharistischer Gastfreundschaft! Es ist ein Versuch eines kleinen Streiflichtes auf eine hochsensible Thematik entlang einer umstrittenen Stellungnahme! „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ – so überschreibt der ÖAK (= Ökumenischer Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen) seine Überlegungen zum leidvollen Thema Abendmahl/Eucharistie. Mit Dorothea Sattler (rk) und Volker Leppin (ev) stehen zwei namhafte Persönlichkeiten aus dem wissenschaftlichen Bereich in der Leitungsverantwortung. Martin Hein, ehemaliger Bischof der evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, und Georg Bätzing, Bischof von Limburg und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, sind im Vorstand. Die Publikation vom September 2019 führt zu dem Votum, dass der Arbeitskreis „die Praxis der wechselseitigen Teilnahme an den Feiern von Abendmahl/Eucharistie in der Achtung der je anderen liturgischen Tradition als theologisch begründet“ ansieht. Das Dokument hat hohe Wellen geschlagen, zumal der 3. Ökumenische Kirchentag in Frankfurt/M. vom 12.-16. Mai 2021 bevorsteht. Leider ist coronabedingt unsicher, ob er stattfinden kann.
Kontroversen bleiben
Der Arbeitskreis zielt nicht auf eine neue Form der Liturgie; er begründet biblisch und liturgiegeschichtlich, dass die Vielfalt der Mahlfeiern dem gemeinsamen Glauben nicht entgegenstehen muss. Am Anfang der Ausführungen wird das gemeinsame Christuszeugnis beleuchtet und die Erwartung des Reiches Gottes als gemeinsamer Horizont in den Blick genommen. In den verschiedenen Mahlgestalten schenke sich der auferstandene und in der Gemeinde gegenwärtige Christus selbst, was weder durch Formen noch Regeln verstellt werden dürfe. Es wird die Vielfalt der Feierformen aufgeführt; die strittigen Kontroversen zum Amts- und Kirchenverständnis werden thematisiert mit der Perspektive: Die Gemeinschaft der Gläubigen konstituiert sich aus dem Osterereignis. Der Text verdient eine sachliche Diskussion und stellt Fragen zum eigenen Selbstverständnis. Für die katholische Kirche ist zum Beispiel eine Opfertheologie zu hinterfragen, die den Eindruck entstehen lässt, als opfere die Gemeinde Jesus Christus für Gott. Für die evangelische Kirche geht es um die ordinierte Leitung, den theologischen Umfang des Eucharistiegebets und den Umgang mit den konsekrierten Elementen nach der Abendmahlsfeier. Die römische Glaubenskongregation hat mit lehrmäßigen Anmerkungen heftig reagiert. Sie kritisiert vor allem die Deutung der Vielfalt der Ursprünge in der Gestaltung der Mahlfeiern. Sie fürchtet den Verlust der Opfertheologie und vermisst das eindeutige Bekenntnis zur Realpräsenz.
Mühevolles Ringen um Wahrheit
Wen interessiert diese Auseinandersetzung zwischen Theologie und Lehramt in Wesensvollzügen unseres Christusglaubens? Mir persönlich begegnen in der Seelsorge Menschen, die über die Teilnahme und den Empfang des Abendmahles beziehungsweise der Eucharistie nach ihrem Gewissen entscheiden, wie sie sagen, auch wenn die geltende Rechtsordnung der katholischen Kirche anderes vorgibt. Es ist nicht leicht zu vermitteln, dass hinter der Rechtsordnung das schmerzliche Wartenwollen auf die Kirchengemeinschaft als Voraussetzung für Kommunionempfang oder Gang zum Abendmahl steht. Persönlich hilft mir in der seelsorglichen Begleitung die ebenfalls umstrittene Orientierungshilfe zur Teilnahme von konfessionsverbindenden Paaren an der Eucharistie „Mit Christus gehen – der Einheit auf der Spur“ aus dem Jahr 2018. Sie ist kein Plädoyer für die allgemeine, wechselseitige eucharistische Gastfreundschaft, sondern Frucht mühevollen Ringens, die der Freiheit des Gewissens, der Wahrheit des eucharistischen Glaubens und der Einheit der Kirche dienen will. Sie bietet im Anhang einen guten Gesprächsleitfaden zum Verständnis des eucharistischen Hochgebetes zur Glaubens- und Gewissensbildung.
Wir dürfen dankbar sein, wo sich ökumenisches Engagement aus dem gemeinsamen Christusglauben und freundschaftlichen Beziehungen heraus in der Sorge um Menschen auf der Flucht, um den Lebensschutz oder Demokratie unaufgeregt erweist und Jesus Christus ein zugewandtes Gesicht gibt. Die Einheit in Christus freut mich.