Kreisverkehr oder Weg in die Zukunft?

02. November 2021 | von

 

Der Synodale Weg in Deutschland wird bald zwei Jahre alt. Dreht man sich mit den immer gleichen Themen im Kreis? Weckt man Erwartungen, die sich nicht erfüllen lassen? Wie findet die Kirche in der „westlichen Welt“ einen guten Weg in die Zukunft? Wir geben einen Überblick über die bisherigen Schritte des Gesprächsprozesses.

Kaum ein Thema, um das es derzeit in der katholischen Kirche geht, das nicht irgendwie im Zusammenhang mit dem großen Verbrechen „Missbrauch“ stünde. So ist es auch mit dem „Synodalen Weg“, der seit bald zwei Jahren in Deutschland beschritten wird und der bisweilen die Gemüter erhitzt. Im September 2018 wurde die MHG-Studie veröffentlicht, die über mehrere Jahre hinweg den „sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ untersucht hatte. Ausgewertet wurden fast 40.000 Personalakten aus der Zeit zwischen 1946 und 2014. Die Zahlen sind nach wie vor erschreckend: Insgesamt wurden 1.670 Kleriker beschuldigt. 3.677 Kinder und Jugendliche wurden sexuell missbraucht. Und statistisch gesehen: 4,4 Prozent aller Kleriker der deutschen Bistümer, deren Personalakte untersucht wurde, waren mutmaßlich Missbrauchstäter. Die Autoren der Studie untersuchten auch die Bedingungen, die den Missbrauch beförderten, gaben eine ganze Reihe von Handlungsempfehlungen und hielten schließlich fest: „Asymmetrische Machtverhältnisse und ein geschlossenes System, wie es bei der katholischen Kirche vorherrscht, können einen sexuellen Missbrauch begünstigen.“

Offene Debatten, verantwortliche Teilhabe

Ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung beschlossen die deutschen Bischöfe nicht zuletzt deshalb während ihrer Frühjahrs-Vollversammlung im März 2019 einstimmig, einen „Synodalen Weg“ zu gehen, um die Situation der Kirche gründlich zu beleuchten und Wege in die Zukunft zu suchen. Kardinal Reinhard Marx, damals noch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, erklärte in der Abschluss-Pressekonferenz, dass man entschieden habe, „einen verbindlichen Synodalen Weg als Kirche in Deutschland zu gehen, der eine strukturierte Debatte ermöglicht und in einem verabredeten Zeitraum stattfindet, und zwar gemeinsam mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Wir werden Formate für offene Debatten schaffen und uns an Verfahren binden, die eine verantwortliche Teilhabe von Frauen und Männern aus unseren Bistümern ermöglichen. Wir wollen eine hörende Kirche sein. Wir brauchen den Rat von Menschen außerhalb der Kirche“.

Strukturierte Beratungen

Oberstes Organ ist die zwei Mal jährlich tagende „Synodalversammlung“. Ihr gehören die Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz an, darüber hinaus 60 Mitglieder des Zentralkomitees der deutschen Katholiken sowie weitere Vertreter/innen geistlicher Dienste und kirchlicher Ämter, junge Menschen und Einzelpersönlichkeiten – insgesamt 230 Personen. Die Arbeit der großen Versammlung wird von vier „Synodalforen“ begleitet, nämlich: „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag“ / „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ / „Priesterliche Existenz heute“ / „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“.

Am 1. Adventssonntag 2019 wurde der Synodale Weg offiziell begonnen. Die erste Synodalversammlung fand in Frankfurt/Main statt – und wurde dann im Frühjahr 2020 wegen der Corona-Pandemie recht bald ausgebremst. Statt einer großen Konferenz behalf man sich im September 2020 mit fünf Regionen-konferenzen, bevor man sich vor wenigen Wochen, Anfang Oktober 2021, wieder „real“ in Frankfurt treffen konnte.

Kritische Stimmen

Nicht alle Katholikinnen und Katholiken in Deutschland stehen hinter dem Synodalen Weg. Selbst unter den Bischöfen, die den Prozess ursprünglich einstimmig initiiert hatten, gibt es einige Kritiker. Einer der frühesten Kritiker war der sich mittlerweile im Ruhestand befindliche Augsburger Bischof Konrad Zdarsa. Er bezeichnete den „Synodalen Weg“ als „Unsinn“ und „Etikettenschwindel“ – harte Urteile, auch wenn er sich dabei vor allem auf den „griechischen Wortsinn“ bezog und den Begriff „Synodaler Weg“ kritisierte, den er für eine Dopplung hält. Sein Amtsnachfolger in Augsburg brachte jüngst eine Sorge in eine andere Richtung zum Ausdruck: „Wir alle dürfen nicht schlafen, um uns dann beim Erwachen verdutzt die Augen zu reiben, weil sich die katholische Kirche auf dem Synodalen Weg in eine de facto evangelische Landeskirche transformiert hat.“ Und auch der Kölner Rainer Maria Kardinal Woelki betont regelmäßig, dass er im Synodalen Weg ein Spaltungsrisiko erkenne. Bischof Rudolf Voderholzer aus Regensburg hingegen befürchtet, dass „durch das Wecken von bestimmten Erwartungen und Hoffnungen nur noch mehr Frustration erzeugt wird.“ Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Synodalen Weg sieht er bestimmte Argumente dort nicht ausreichend gewichtet und hat vor einigen Wochen eine eigene Homepage online geschaltet, um „Alternativtexte“ zu veröffentlichen. Denn er ist sich mit einigen Gleichgesinnten einig: „Wir gehen den Synodalen Weg mit, kommen aber mehr und mehr zu der Überzeugung, dass er in den bisher gefahrenen Gleisen nicht ans Ziel führen kann. Wir sind der Überzeugung, dass nur ein Synodaler Weg gut und zielführend ist, der mit und in der ganzen Kirche gegangen wird.“

Päpstliche Begleitung

Vielleicht hat man auch in Rom die deutsche Initiative mit aufmerksamer Sorge beobachtet, jedenfalls wandte sich Papst Franziskus im Juni 2019 mit einem eigenen Schreiben „an das pilgernde Volk Gottes“ in Deutschland. Neben der Dankbarkeit der Weltkirche für den deutschen Beitrag im kirchlichen Leben teilt er die Sorge um „die zunehmende Erosion und den Verfall des Glaubens“. Ausdrücklich heißt er den eingeschlagenen Weg der Bischöfe gut, warnt aber davor, „zu glauben, dass die Lösungen der derzeitigen und zukünftigen Probleme ausschließlich auf dem Wege der Reform von Strukturen, Organisationen und Verwaltung zu erreichen sei, dass diese aber schlussendlich in keiner Weise die vitalen Punkte berühren, die eigentlich der Aufmerksamkeit bedürfen.“ Eindrücklich mahnt er dazu, „den Primat der Evangelisierung zurückzugewinnen“ und wünscht den Gläubigen in Deutschland: „Das Evangelium der Gnade mit der Heimsuchung des Heiligen Geistes sei das Licht und der Führer, damit ihr euch diesen Herausforderungen stellen könnt.“ Denn: „Sooft eine kirchliche Gemeinschaft versucht hat, alleine aus ihren Problemen herauszukommen, und lediglich auf die eigenen Kräfte, die eigenen Methoden und die eigene Intelligenz vertraute, endete das darin, die Übel, die man überwinden wollte, noch zu vermehren und aufrechtzuerhalten.“

Weitblick und Sinn für die Kirche

Gleichzeitig ermutigt Papst Franziskus dazu, die Lage der Kirche aufmerksam zu untersuchen: „Die anstehenden Herausforderungen, die verschiedenen Themen und Fragestellungen können nicht ignoriert oder verschleiert werden; man muss sich ihnen stellen, wobei darauf zu achten ist, dass wir uns nicht in ihnen verstricken und den Weitblick verlieren, der Horizont sich dabei begrenzt und die Wirklichkeit zerbröckelt.“ Die Gemeinschaft mit der Weltkirche und der „Sinn für die Kirche“ könne dabei eine integrierende Funktion einnehmen. Denn: „Der Sensus Ecclesiae befreit uns von Eigenbrötelei und ideologischen Tendenzen“. Und wohl schon ahnend, dass man sich bei solch einem Prozess nicht immer einig sein würde, mahnt er: „Deshalb achtet aufmerksam auf jede Versuchung, die dazu führt, das Volk Gottes auf eine erleuchtete Gruppe reduzieren zu wollen, die nicht erlaubt, die unscheinbare, zerstreute Heiligkeit zu sehen, sich an ihr zu freuen und dafür zu danken.“

Neben der Ermutigung für die Beratungen in Deutschland hat Papst Franziskus mittlerweile einen weltweiten synodalen Prozess gestartet: Im vergangenen Monat startete unter dem Motto „Für eine Synodale Kirche: Gemeinschaft, Partizipation und Mission“ der zweijährige Weg auf der 16. Generalversammlung der Bischofssynode im Jahr 2023. Geplant ist eine umfassende Beteiligung von Pfarreien, Ordensgemeinschaften, Verbänden und Diözesen auf der ganzen Welt (siehe dazu auch unser Interview mit Sr. Nathalie Becquart in dieser Ausgabe).

Auf dem Weg ins Schisma?

Die mediale Öffentlichkeit nimmt im Synodalen Weg vor allem die Themen wahr, die für Auseinandersetzung und erhitzte Gemüter sorgen. So hat die knappe Mehrheitsentscheidung, dass die Frage, ob die katholische Kirche überhaupt geweihte Priester braucht, beim Synodalen Weg diskutiert werden soll, für einiges an Furore gesorgt. Wer hier aber bereits die katholische Kirche, wie wir sie kennen, über dem Abgrund sieht, kann sich durch einen Blick in die Satzung des Synodalen Wegs beruhigen. Dort heißt es in Artikel 11, Absatz 5: „Beschlüsse der Synodalversammlung entfalten von sich aus keine Rechtswirkung. Die Vollmacht der Bischofskonferenz und der einzelnen Diözesanbischöfe, im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit Rechtsnormen zu erlassen und ihr Lehramt auszuüben, bleibt durch die Beschlüsse unberührt.“ Ganz davon abgesehen, dass der Synodale Weg das Priestertum keineswegs abschaffen kann, wäre dies eine „Entscheidung“, die weltkirchlich und nicht national begrenzt zu treffen wäre.

Drei Katholiken aus dem Bistum Essen wurde es aber bereits im Mai 2021 zu bunt. In einem formellen Schreiben wandten sie sich an die Glaubenskongregation. Mit ihrem „Dubium“ wollen sie prüfen lassen, ob sich die Kirche in Deutschland bereits im Schisma befinde und sich damit von Rom abgespalten habe. Ob sie freilich jemals eine Antwort erhalten werden, steht in den Sternen.

Bevor es zu spät ist…

Vielleicht täuschen die ganzen Polarisierungen darüber hinweg, dass es tatsächlich größtenteils gelingt, unterschiedliche Meinungen an einen Tisch zu bringen, keine Themen von vornherein auszuschließen (wie noch beim „Gesprächsprozess“ von 2011 bis 2015) und respektvoll miteinander zu sprechen. Einer der 18 „Beobachter“ des Synodalen Wegs, der Luxemburger Théo Péporté, staunt angesichts der Auseinandersetzungen mit kritischen Kirchenthemen: „Da sind Auseinandersetzungen ganz normal. Gleichzeitig gibt es für den vom Präsidium eingeschlagenen Reformkurs offensichtlich eine deutliche Mehrheit. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass abweichende Stimmen unterdrückt werden. Sie kommen zu Wort wie alle anderen und werden auch respektiert. Dort, wo die Reformanliegen konkret werden, nimmt auch der Widerspruch zu, das konnten wir bereits sehen. Aber das gehört wie gesagt dazu, und ich bin sehr zuversichtlich, dass der Prozess zu einem guten gemeinsamen Ziel führen kann.“ Er spricht gar von einem „Modellcharakter“ und der dringenden Notwendigkeit, sich mit anliegenden Themen auseinandersetzen, solange die Gesellschaft für kirchliche Themen (noch) offen ist – in seiner Heimat sei das bereits zu spät: „Die meisten Menschen haben mit der Kirche abgeschlossen und interessieren sich nicht mehr für mögliche Reformen. Auch in den öffentlichen Medien wird kaum noch über die Kirche berichtet. Ich kann die deutschen Katholiken deshalb nur ermutigen, die gesellschaftlichen Verbindungen, die sie noch haben, nicht abbrechen zu lassen.“

Persönliche Schlussbemerkung

Wenn mich gelegentlich Brüder aus dem Ausland zum Synodalen Weg fragen, dann ist diese Frage nicht selten begleitet von einem etwas spöttischen Blick: Vor 500 Jahren haben „die Deutschen“ Martin Luther hervorgebracht und jetzt sorgen sie schon wieder für eine Revolution… Mein Haupteinwand gegen solche Kommentare: Ich bin davon überzeugt, dass nicht die Mitglieder der Synode Themen vom Zaun brechen – ich nehme vielmehr wahr, dass die strittigen Themen einfach da sind und dass sie gären. Vom Umgang mit Homosexuellen über die Priesterweihe der Frau bis zur gerechten Beteiligung aller am Leben und an Entscheidungen der Kirche: Hier haben sich Gesellschaft und Kirche in den letzten Jahrzehnten auseinanderentwickelt. Und längst ist die Kirche nicht mehr die Instanz, die Themen setzt und Meinungen prägt. Das muss man nicht gutheißen, aber wahrnehmen muss man es schon. Und da ist es wohl höchste Zeit, die Schere nicht noch weiter auseinander gehen zu lassen. Viel zu viele Menschen haben in den letzten Jahren der Kirche den Rücken zugekehrt.

Sehr erschreckt hat mich eine treue, engagierte Ordensfrau, die vor einiger Zeit zu mir gesagt hat: „Wenn ich gleichzeitig Ordensschwester bleiben und aus der Kirche austreten könnte – ich würde austreten!“ Solche Aussagen, auch wenn sie doch sehr theoretisch sind, muss man erst einmal verdauen… Polemische Kommentare, wie sie bisweilen zu hören sind – „Dann sollen halt alle gehen und es bleibt der richtig katholische Rest!“ – ich glaube, sie bringen nicht weiter und sind obendrein falsch. Gott will alle Menschen erreichen, nicht nur einen immer kleiner werdenden Kreis von Auserlesenen. Ich bin überzeugt: Der Synodale Weg ist der aufrichtige Versuch, als Kirche glaubwürdig und missionarisch in die Zukunft zu gehen. Und was Papst Franziskus in seiner Eröffnungspredigt für die Bischofssynode gesagt hat, würde man auch dem Prozess in Deutschland wünschen: „Alles ändert sich, wenn wir zu echten Begegnungen mit Ihm [Gott] und untereinander fähig sind. Ohne Formalitäten, ohne Täuschung, ohne Tricks“. Dann werden die Beratungen wirklich zu einem Suchen nach den „Zeichen der Zeit“ und einem gemeinsamen Ringen, wie wir in dieser Welt und zu dieser Zeit das Evangelium leben können.

Zuletzt aktualisiert: 02. November 2021
Kommentar