Schiffe unter päpstlicher Flagge
Im 21. Jahrhundert Schiffe des Papstes auf den Meeren? So kurios es erscheinen mag, aber die Frage hat durchaus ihre Berechtigung.
Im Norden der Vatikanstadt, fast ein wenig den Blicken ihrer Besucher entzogen, befindet sich die „Fontana di Galera“ (siehe Foto), der Galeerenbrunnen, ein Kleinod aus der Zeit Pauls V. (1605-1621). Der Brunnen beherbergt eine aus Bronze und Blei hergestellte Nachbildung eines päpstlichen Kriegsschiffes: einen prächtigen, mit Matrosenfiguren bemannten und kleinen Kanonen ausgerüsteten Dreimaster.
Kardinal Maffeo Barberini, der spätere Papst Urban VIII. (1623-1644), schuf für dieses kleine Meisterwerk der Baukunst ein Distichon, einen zweizeiligen Vers: „Die päpstlichen Kriegsschiffe speien keine Flammen, sondern süßes Wasser, in dem das Feuer des Krieges erlöscht“. Die Worte des Barberini-Papstes sind keine Beschönigungen, sie weisen auf die Mission der fast tausendjährigen Geschichte der päpstlichen Flotte hin.
Schutz statt Eroberung
Die Marine der Päpste war eine Defensivflotte, sie wurde zum Schutz der Menschen, die der Kirche anvertraut waren, geschaffen. Zu Eroberungszwecken stieß sie nie in See. Die Päpste waren seit dem frühen Mittelalter gezwungen, die Küsten ihres Hoheitsgebietes gegen die Einfälle der Sarazenen zu schützen. Die Anfänge einer päpstlichen Marine lassen sich daher bis in die zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts zurückverfolgen.
Die Schiffe der Päpste kämpften fast ausschließlich gegen die Expansionspolitik islamischer Herrscher und gegen die Raubzüge von Piraten – eine Plage, der man sich in Rom seit der Antike unentwegt ausgesetzt sah. Die Flotte des Papstes vermochte im Laufe der Jahrhunderte eine Reihe von Erfolgen zu vermelden: So trug man 1571 zum Sieg von Lepanto bei. Dadurch gelang es, der Bedrohung des Abendlandes durch das Osmanische Reich Einhalt zu gebieten.
Im 19. Jahrhundert kam es dann zu freundschaftlichen Beziehungen mit dem einstigen Gegner. 1823 war in der Ewigen Stadt die Basilika St. Paul vor den Mauern das Opfer eines verheerenden Brandes geworden. Völker und Staaten aus der ganzen Welt halfen beim Wiederaufbau mit. Mehmet Ali, der Vizekönig von Ägypten, bot dem Papst Marmor aus dem einstigen Pharaonenreich an. In einer abenteuerlichen Expedition holten päpstliche Schiffe das Geschenk des muslimischen Potentaten nach Rom.
Als 1870 der alte Kirchenstaat durch die staatliche Einigung Italiens von der Landkarte Europas verschwand, schien damit die mehr als 1.000-jährige Existenz einer päpstlichen Marine für immer beendet. Ebenso mussten die Handelsschiffe, die sich im Besitz von Bürgern des Kirchenstaates befanden, die gelbweiße Flagge des Heiligen Vaters streichen: Ihre Eigner galten nun als Untertanen des italienischen Königs. Gut sechs Jahrzehnte später kam es zur Aussöhnung Italiens mit dem Papst. Der Vatikanstaat entstand. Ein neues Kapitel wurde aufgeschlagen.
Päpstliche Hilfstransporte?
Während des II. Weltkrieges war der Vatikan mit großem Engagement bemüht, die Leiden der Bevölkerung in den verschiedensten Ländern zu lindern – sei es durch diplomatische Interventionen, mit beträchtlichen Geldmitteln oder durch die Versorgung mit Medikamenten und Lebensmitteln. Von Frankreich aus wurde ein ungewöhnliches Ersuchen an den Vatikan herangetragen.
1942 war der Apostolische Nuntius im nicht vom Deutschen Reich besetzten Frankreich zu dessen Staatschef Marschall Pétain bestellt worden, der ihm zwei Dokumente übergab. Es handelte sich um den Entwurf eines Briefes des Marschalls an den Papst sowie um eine erläuternde Note. In seinem Brief an Pius XII. (1939-1958) schlug Marschall Pétain die Bildung einer Flotte des Vatikans vor, für die er dem Papst Schiffe zur Verfügung stellen wollte.
Der Marschall wünschte, „dass diese neutrale Flotte vom amerikanischen Kontinent, unter einer weltweit geehrten Flagge, Lebensmittel und Medikamente holt, derer man in Europa so sehr bedarf“. In der Note, die dem Entwurf beigefügt war, erklärte Pétain, er sei deshalb auf die Idee gekommen, „weil allein der Vatikan, ein neutraler und verehrter Staat, solche Transporte durchführen könne, die keine der kriegsführenden Mächte völlig abzulehnen wage“.
Prinzipien unter Beweis
Der Nuntius erklärte sich bereit, seinen Vorgesetzten darüber zu berichten, unter anderem Monsignore Domenico Tardini, ein enger Vertrauter des Papstes. In dem ersten Entwurf des Berichtes, den Tardini in dieser Angelegenheit Kardinalstaatssekretär Maglione vorzulegen hatte, erlaubte er sich scherzhaft die Anmerkung: „Im Falle einer positiven Antwort könnte man: 1. Einen Wettbewerb für den Posten des Admirals ausschreiben. 2. Einen Artikel für den ‚Osservatore Romano’ [die Tageszeitung des Vatikans] vorbereiten: ‚Vom Fischerboot des heiligen Petrus zur vatikanischen Flotte’“.
Tardini strich dann jedoch seine Worte mit Bleistift durch und machte sich daran, in angemessenerer Form darüber nachzudenken. Das Ergebnis fasste er in einer Note zusammen: Vom idealen Standpunkt aus könne man die Geste des Marschalls als das Eingeständnis der sehr großen Wertschätzung sehen, die heute mehr als jemals zuvor dem Heiligen Stuhl entgegengebracht werde. Würde er diese Initiative aufgreifen, hätte der Vatikan Gelegenheit, seine Prinzipien unter Beweis zu stellen und zu zeigen, dass er in der Lage ist, wohltätigen Zwecken zu dienen.
Völkerrechtliche Schwierigkeiten
So fiel die offizielle Antwort, die Kardinalstaatssekretär Maglione dem Nuntius in Frankreich mitteilte, nicht so negativ aus, wie es die ersten Reaktionen vermuten ließen, die der Vorschlag des Marschalls ausgelöst hatte. Der Brief des Staatssekretärs gab eine Schilderung der vom Heiligen Stuhl unternommenen Bemühungen, dem durch eine Blockade ausgehungerten Griechenland zu helfen. Bei dieser Hilfsaktion hatte sich der Vatikan nicht nur verbalen Drohungen ausgesetzt gesehen, man hatte sogar Gewaltakte gegen den neutralen Helfer vorgenommen.
Es waren aber nicht in erster Linie die zeitpolitischen, militärischen Gegebenheiten, die einen Einsatz von Schiffen unter der Flagge des Papstes unmöglich machten, sondern vielmehr völkerrechtliche. Seit den Lateranverträgen (1929), die zur Gründung des souveränen Vatikanstaates geführt hatten, war es dem Vatikan zwar prinzipiell wieder möglich, Schiffe unter seinen Hoheitszeichen die Weltmeere befahren zu lassen, doch um in den Genuss dieser Rechte zu kommen, hätte der Vatikanstaat laut Völkerrecht (Konvention von Barcelona, 1921) ein Schifffahrtsregister auf eigenem Territorium an einem Ort, der gewissermaßen den „Heimathafen“ darstellte, besitzen und die Bekanntmachung dieses Registers den Unterzeichnern der Konvention von Barcelona mitteilen müssen.
Wieder unter päpstlicher Flagge
Papst Pius XII. behielt die Angelegenheit im Gedächtnis. Schon kurz nach dem Krieg beauftragte er die Päpstliche Kommission für den Staat der Vatikanstadt und die „Consulta dello Stato“ (Staatskonsult des Kirchenstaates), die rechtlichen Voraussetzungen für einen solchen Schritt einzuleiten. Am 15. September 1951 erließ in seinem Namen die Päpstliche Kommission für den Staat der Vatikanstadt ein Dekret über die Meeresschifffahrt unter der Flagge des Vatikanstaates.
Die Verwaltung der „päpstlichen Schifffahrt“ erfolgt seitdem in einem Büro des Governatorates (Gouverneursbehörde) des Vatikanstaates, das damit den „Heimathafen“ darstellt. Dort wird das „Registro Navale Vaticano“ (Vatikanische Schifffahrtsregister) geführt, in das die Schiffe des Staates, aber auch die eventueller privater Reeder, eingetragen werden. Die Schiffe haben einen von der Päpstlichen Kommission genehmigten Namen zu tragen, der an Bug und Heck, gefolgt von dem Schriftzug „Città del Vaticano“, stehen muss. Sie müssen sich ferner der vatikanischen Fahne in den Farben Weiß und Gelb bedienen; die Staatsschiffe haben außerdem das offizielle Staatswappen zu tragen. Das Dekret der Päpstlichen Kommission regelt in 31 Artikeln die verschiedensten Aspekte einer möglichen vatikanischen Schifffahrt; es stellt Normen für den Kapitän, den Schiffskaplan und die Besatzung auf, legt die Bestimmungen für die Führung des Schiffes dar und behandelt ausführlich die auf See möglichen Strafrechtsumstände, die der vatikanischen Gerichtsbarkeit unterliegen.
Gescheiterte Flüchtlingshilfe
Von Februar bis April 1958 fand in Genf (Schweiz) eine Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen statt. Das dort formulierte Protokoll über die obligatorische Beilegung von maritimen Streitigkeiten unterschrieb der Vatikanstaat am 30. April 1958. Auch bei den nachfolgenden Konferenzen, die das Internationale Seerecht betrafen, waren die diplomatischen Vertreter des Vatikans präsent. Papst Paul VI. (1963-1978) behielt die Möglichkeit, aus humanitären Gründen Schiffe unter seiner Flagge fahren zu lassen, im Auge. Während des Libanonkrieges hatte der Papst ein solches Unternehmen ernsthaft erwogen und erste Schritte zu einer Realisierung einleiten lassen, dann jedoch – aus welchen Gründen auch immer – wieder Abstand davon genommen.
2018 kam es vermehrt zu Flüchtlingsbewegungen über den Seeweg nach Europa. Auf von den sogenannten NGOs (non-govermental organizations / Nichtregierungsorganisationen) genutzten Schiffe, die sich im Mittelmeer der Seenotrettung widmeten, stieg der politische Druck. Vielen von ihnen wurden von ihrem Flaggenstaat die Registrierung entzogen. Die NGOs suchten nach kreativen Lösungen für die Flaggenproblematik. Und so kam der Vatikanstaat ins Spiel.
Der Kapitän des privaten deutschen Seerettungsschiffes „Lifeline“ wandte sich an den Heiligen Stuhl mit der Bitte, sein Schiff unter der Flagge des Vatikanstaates führen zu dürfen. Die Apostolische Nuntiatur in Deutschland teilte dem Kapitän mit, dass sein Brief an den Papst unverzüglich an den Vatikan weitergeleitet worden war: „Dort wurde Ihre Anfrage geprüft. Im Auftrag des Staatssekretariats muss ich Ihnen leider mitteilen, dass Ihrer Bitte nicht nachgekommen werden kann, weil Ihr Schiff keine tatsächliche Beziehung zum Vatikanstaat hat und dieser die eigene Zuständigkeit über das Schiff nicht ausüben kann; der Vatikanstaat kann zudem nicht die Immunität von Besatzung und Passagieren gewährleisten.“
Offene Zukunft
Der beeindruckende Galeerenbrunnen in der Vatikanstadt erfreut den Betrachter noch immer mit seinen faszinierenden Wasserspielen und gibt Zeugnis von der einst glanzvollen Geschichte der päpstlichen Marine. Ein Schiff unter päpstlicher Flagge aber sah man bisher nicht mehr auf den Ozeanen.
Vor nicht allzu langer Zeit griff der Verfasser dieses Beitrages zum Telefon und erkundigte sich im Governatorat des Vatikanstaates, ob sich im dortigen Schifffahrtsregister ein Eintrag befände. Zur Antwort erhielt er ein klares „Nein“; jedoch mit dem Zusatz: „Ma chi sa – aber wer weiß, bei der heutigen Weltlage, wer kann da einen künftigen Eintrag ganz ausschließen“.
Und vielleicht können nach der nötigen Klärung von Rechtsfragen künftig Schiffe unter päpstlicher Flagge in humanitären Notlagen Hilfe, ja ihren Beitrag leisten.