Auf dem Weg nach Sankt Peter…

09. Oktober 2023 | von

…und in Richtung Heiliges Jahr 2025. Zahlreiche Baustellen in Rom sind derzeit Vorboten für die erwarteten Ströme an Pilgern und Touristen im übernächsten Jahr. Dann wird traditionell ein Heiliges Jahr gefeiert. Unser Autor, ein ausgewiesener Rom-kenner, nimmt uns mit in die Ewige Stadt und ihre zahlreichen Baustellen.

 

Seit dem Jahre 1300 kennt die katholische Kirche „Heilige Jahre“. Sie wurzeln in einer Vorschrift, die dem Gottesvolk des Alten Testaments im Buch Levitikus gegeben wurde. Israel wurde dazu aufgerufen, nach siebenmal sieben Jahren ein besonderes Festjahr zu begehen: „Erklärt dieses fünfzigste Jahr für heilig, und ruft Freiheit für alle Bewohner des Landes aus!“ Jeder Grundbesitz hatte wieder in die Hände seines ur­sprünglichen Be­sitzers zu fallen, Schulden mussten erlassen werden, die Sklaven sollten ihre Frei­heit zu­rückerhalten. Im christlichen Jubiläumsjahr, das man heute in der Regel alle 25 Jahre feiert, wird der Ge­danke eines materiellen Schulden­nachlas­ses auf eine spirituelle Ebene über­tragen. Der Mensch, der seine Schuld und Unzulänglichkeit ehrlichen Herzens bereut, soll wieder frei vor Gott in seiner unendlichen Gnade stehen.

Besondere Gnaden

Die Men­schen des Mittelalters hat­ten ein starkes Sün­den- und Schuld­be­wusst­sein und sehnten sich nach der Aussöhnung mit Gott. Sie wussten, dass mit Reue und Beichte zwar die Sündenschuld getilgt wurde, aber die Sün­denstrafen noch abzubüßen waren, wenn nicht auf Er­den, dann im Fe­ge­feuer. Eine Möglichkeit, die Zeit der Sündenstrafen zu verkürzen oder sie gar zu til­gen, wurde ihnen in der Institution des Ablasses er­schlossen. An der Schwelle zum 14. Jahrhundert tauchte in der christlichen Welt das Gerücht auf, dass allen Rompilgern ein vollkommener Ablass gewährt würde. „Heilige Pforten“ in den vier Erzbasiliken Roms, vor allem jene in St. Peter, die nur während eines Heiligen Jahres offen stehen, sollten das besondere Gnadengeschenk eines Jubiläumsjahres versinnbildlichen. Ihr Durchschreiten stand und steht für ein erneuertes Glaubensleben.

Neue Fußgängerzone

2025 wird wieder ein Heiliges Jahr gefeiert werden. Zu diesem Jubiläumsjahr erwarten Rom und der Vatikan Millionen von Pilgern. Für die Besucher soll der Petersplatz aus diesem Anlass besser zugänglich gemacht werden. Die Planung sieht unter anderem eine neue große Fußgängerzone zwischen der Engelsburg und der Via della Conciliazione vor. An die 70 Millionen Euro stehen für das Projekt zur Verfügung. Im Interview mit „VaticanNews“ äußerte sich Roms Bürgermeister Gualtieri zu dem beachtlichen Unternehmen: „Es ist ein Projekt von historischer Bedeutung, natürlich auch wichtig für die Stadtentwicklung und Architekturgeschichte. Rom verwandelt sich für das Heilige Jahr, um seinen Teil beizutragen und Millionen von Pilgern aufzunehmen.“

Bisher trennt eine vielbefahrene Straße die Engelsburg und die Via della Conciliazione, die direkt zum Petersplatz führt. Das soll sich für das Heilige Jahr ändern, gab der Bürgermeister bei der Vorstellung des Projekts an. Er verwies auf eine Computersimulation, auf der die Straße fehlt und stattdessen ein großer, autofreier Platz die Engelsburg mit der Via della Conciliazione verbindet: „Es wird einen Tunnel für die Fahrzeuge geben. Es handelt sich um einen bedeutenden Ort; hier werden die Engelsburg und die Via della Conciliazione direkt mit dem Petersplatz verbunden. Meiner Meinung nach ist es an der Zeit, den Römern diesen Platz zur Fußgängerzone zu machen.“

Prächtiges Zeichen der Versöhnung

Vor mehr als 80 Jahren begannen in Rom die Arbeiten an einem gewaltigen Unterfangen, dem Bau der Via della Conciliazione. Für die neue Prachtstraße wurde das dem Vatikan vorgelagerte Stadtviertel neu gestaltet. Paläste, Kirchen und Wohnhäuser fielen der Spitzhacke zum Opfer. Berühmte Architekten entwarfen Pläne, die von manchen bejubelt, von anderen beklagt wurden. „Ströme von Tinte“ seien in den polemischen Auseinandersetzungen geflossen, hieß es in einem Zeitungskommentar aus dem Jahre 1937. 

Die Geburtsstunde der Via della Conciliazione lässt sich auf den Tag genau datieren. Ein Großprojekt seiner Stadterneuerung war für Benito Mussolini die Freilegung und die Renovierung der Engelsburg gewesen. An dem Tag, an dem der faschistische Diktator den Park bei der Engelsburg der Öffentlichkeit übergab (21. April 1934), ging er nach der Einweihungsfeier mit seiner Begleitung bis zu der Ufermauer des Tibers, die gegen St. Peter blickt. Von dort sah er nur einen Teil der Kuppel der Vatikanischen Basilika. Alles Übrige wurde durch die Gebäude zwischen den beiden Stadtteilen Borgo Vecchio und Borgo Nuovo verdeckt.

Spontan teilte er mit, dies könne so nicht bleiben. Und schon in kürzester Zeit lagen Pläne für ein gewagtes Straßenprojekt vor. Der Vatikan konnte sich dem von Mussolini mit Geschick vorgetragenen Ansinnen einer „Via della Conciliazione – Straße der Versöhnung“ kaum verschließen. Sie sollte gut 60 Jahre nach dem Ende des alten Kirchenstaates ein Zeugnis der Versöhnung des Heiligen Stuhls mit dem Königreich Italien sein.

Heftige Diskussionen

Der Plan der Architekten behielt auf beiden Seiten der geplanten Straße die damalige Linienführung des Borgo Nuovo und des Borgo Vecchio bei: Die Linie des Borgo Nuovo wich jedoch von der Achse der Peterskirche ab, die des Borgo Vecchio verlief mit ihr parallel. Wegen dieses asymmetrischen Verlaufs der beiden Seiten entstand die Idee eines sogenannten „nobile interrompimento“, eines „edlen Porticus“, der dem Petersplatz vorgelagert war.

Man griff eine Idee auf, die Gian Lorenzo Bernini (1598-1680) zur Vollendung des Petersplatzes geplant hatte. Der berühmte Baumeister in päpstlichen Diensten wollte ursprünglich eine dritte Kolonnadenreihe zwischen der Öffnung der beiden schon vorhandenen setzen. 1937 sollte dann ein triumphbogenartiger Bau als Prachteingang zum Bezirk der Basilika dienen. Der Vorschlag eines „interrompimento“ rief – wie vor Jahrhunderten die Idee einer dritten Kolonnadenreihe – heftige Auseinandersetzungen hervor. In kämpferisch geführten Diskussionen trat das eigentliche technische Problem in den Hintergrund. Es wurde vielmehr die grundsätzliche Frage erörtert, ob es in architektonischer, ästhetischer, religiöser und politischer Hinsicht ratsamer sei, die Straße ganz offen zu lassen oder aber sie abzuschließen.

Unverstellter Blick

Die ganz offene Straße entsprach dem Wunsch, das grandiose Bild der Basilika und der Kuppel Michelangelos ohne jedes Zwischenstück in seiner ganzen Größe zu sehen, den Anblick des Ganzen und jeder Einzelheit ungehindert genießen zu können. Die Befürworter machten zudem geltend, dass die Trennung der beiden Bezirke, des der Kirche und des der Stadt, einer gesunden christlichen Auffassung gegenseitiger Durchdringung widersprechen würde. Der schon in einem Modell dargelegten Absicht, den Petersplatz einer Trennung von der Straße zu unterwerfen, wurde letztendlich eine Absage erteilt.

Den Umstand, dass der Borgo Vecchio parallel zur Achse von St. Peter verlief, die Seite gegen den Borgo Nuovo hin aber eine störende Abweichung aufwies, konnte beseitigt werden, indem man das Gebäude zwischen der Kirche der Traspontina und dem Palazzo Giraud-Torlonia nach vorne rückte und die anschließenden Gebäude in die gleiche Linie brachte.

Besondere Beachtung musste beim Verlauf der Straße auf deren Höhenunterschiede gelegt werden. Die Straße verlief nämlich ungleichmäßig: Sie senkte sich und stieg dann zu St. Peter hin derart an, dass sie den Sockel des Obelisken auf dem Petersplatz verdeckte, der ungefähr zwei Meter tiefer lag. Die Straße sollte nun so nivelliert werden, dass der Sockel des antiken Monuments frei sichtbar würde. Ein weiterer Höhenunterschied bestand zwischen den beiden Seiten der Straße, dem Borgo Vecchio und dem Borgo Nuovo. Dieser Unterschied betrug über einen Meter. Er konnte dadurch ausgeglichen werden, dass die Straße zum Borgo Nuovo hin um einen Meter tiefer gelegt wurde.

Lange Bauzeit, viel Aufwand

Bedingt durch politische Umstände und vor allem durch den Zweiten Weltkrieg sollten die Bauarbeiten an der Via della Conciliazione erst im Heiligen Jahr 1950 ihren Abschluss finden – und zwar ohne jenen Portikus, dessen Modelle in den tiefst gelegenen Magazinen der römischen Stadtverwaltung für ewig ruhen. Der Bau dieser Pracht- und Pilgerstraße nach St. Peter hatte viele Jahre in Anspruch genommen. Zahlreiche Häuser, Paläste und Kirchen verschwanden für immer aus dem Borgo; nicht wenige Gebäude und Palazzi wurden unter enormem Aufwand und beträchtlichen Kosten regelrecht „verrückt“.

Zu dem damaligen Unternehmen hatte Giulio Tardini 1937 in der „Illustrazione Vaticana“ geschrieben: „Was den Abbruch betrifft, der noch bis in die letzte Zeit hartnäckige Gegner gefunden hat, so sehen heute alle ein, dass es nichts mehr zu diskutieren gibt. In dieser Anhäufung von Häusern gibt es nichts, das aus zwingenden historischen oder künstlerischen Gründen erhalten bleiben müsste. Selbst der Palazzo dei Convertendi bewahrt nichts mehr von dem alten Palast Raphaels. An der Außenseite befindet sich nichts Bemerkenswertes außer dem schönen Barockbaldachin, dessen wirklich gefällige Linien jedoch wegen der Enge und des starken Verkehrs des Borgo Nuovo an dieser Stelle heute gar nicht mehr zur Geltung kommen können. Das Innere ist in unbequeme und zumeist unrationelle Wohnungen aufgeteilt“.  

Die Kritiker, die sich Giulio Tardinis beschönigenden Worten nicht anschließen wollten, fanden weder im Vatikan noch bei der italienischen Regierung Gehör. Einem Journalisten, der in einer römischen Zeitschrift beschrieb, wie sehr sich doch in vergangenen Zeiten für den Besucher der Ewigen Stadt die Peterskirche erst dann in ihrer ganzen Majestät erschloss, wenn er sich ihr durch die engen und dunklen Gassen des Borgo näherte, drohte sogar die Kündigung – hätte er nicht hohe Fürsprecher gehabt.

Zwischen Spott und Frömmigkeit

Das aktuelle Großprojekt einer Fußgängerzone zwischen Engelsburg und der Via della Conciliazione findet größtenteils Zustimmung. Doch schon haben für die Bewohner rings um das Bauprojekt die bereits begonnenen Arbeiten – mit viel Lärm verbundene Verkehrsumleitungen – zu Einschränkungen im Alltag geführt. Ein Anwohner erträgt sie in der für einen Römer typischen Mischung aus Spott und Frömmigkeit: „Vielleicht sind wir so die Ersten, die in den Genuss des Jubiläumsablasses gelangen.“

Zuletzt aktualisiert: 09. Oktober 2023
Kommentar